Kommentar Gesundheitsreform: Ein bombiges Gesetz
Kassenmitglieder und Steuerzahler sollen also die steigenden Kosten im Gesundheitssystem schultern. Da tickt eine Bombe ganz gewaltig und es ist unklar, wann sie hochgeht.
D ie nun beschlossene Gesundheitsreform ähnelt einem Paket, aus dem ein leises Ticken dringt. Alle Umstehenden, Wirtschafts- wie Versichertenvertreter, fürchten eine Bombe. Doch niemand weiß, ob und wann der Sprengsatz explodiert und wie stark die Zerstörungen sein werden.
Kommen wird die Ausweitung der Zusatzbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, die künftig bis zu zwei Prozent des Bruttoeinkommens betragen dürfen. Das heißt: Kostensteigerungen im Gesundheitssystem werden allein die Kassenmitglieder schultern müssen, Arbeitgeber sind davon entlastet.
Der Sozialausgleich aus Steuermitteln hingegen, der übermäßige Belastungen durch den Zusatzbeitrag verhindern soll, ist bis auf Weiteres ein Versprechen. 2011 solle dieser Topf, so der Minister, nicht geöffnet werden, weil genug Geld da sei.
Und danach? In einigen Jahren könnte sich erweisen, dass ausgerechnet ein FDP-Minister den schädigenden Einfluss der Tagespolitik auf das Gesundheitssystem vergrößert hat. Denn es sind politische Entscheidungen, wie viel Geld für den Sozialausgleich zur Verfügung steht und ob der Zusatzbeitrag weiter steigen wird - keine betriebswirtschaftlichen.
Matthias Lohre ist Parlamentsredakteur der taz.
Die Kassen beispielsweise werden deshalb künftig alles daransetzen, nach mehr Geld zu rufen, statt bei sich selbst zu sparen. Und die jeweilige Regierung könnte, erst recht in einem Wahljahr, geneigt sein, diesem Druck nachzugeben. Gesetze und viel Steuergeld könnten so dringend nötige Strukturreformen im Gesundheitssystem ersticken.
Das zweite bleibende Reformergebnis ist die stärkere Belastung der Kassenmitglieder. Diese wird immer weiter zunehmen, auch weil notwendige Reparaturen am System aus Rücksicht auf Pharmaindustrie und Ärzte unterblieben sind.
In diesem Gesetzespaket steckt also tatsächlich eine Bombe. Wann sie hochgehen wird, ist nicht klar. Aber das Ticken wird nicht aufhören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt