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Justizvollzug in DeutschlandMehr Suizide in Gefängnissen

Die Zahl der Selbsttötungen in Haft hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Die Linke fordert eine bessere psychosoziale Versorgung der Häftlinge.

Auch psychisch Kranke werden inhaftiert, statt ihnen zu helfen Foto: Patrick Pleul/dpa

In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Menschen in Haft, die sich das Leben genommen haben, zugenommen. Wurden 2019 noch 42 Suizide in Gefängnissen in Deutschland verzeichnet, waren es 2021 mit 92 mehr als doppelt so viele. Auch die Zahl der gesamten Todesfälle stieg an: von 144 auf 182. Das geht aus der Antwort des Bundesjustizministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.

In Deutschland gibt es bundesweit 172 Justizvollzugsanstalten mit rund 57.000 Inhaftierten. Die Linksfraktion fragt regelmäßig die Todeszahlen in Haft ab. Von 1998 bis 2017 starben nach Angaben der linken Bundestagsabgeordneten Clara Bünger, die die Kleine Anfrage mit eingereicht hatte, in deutschen Haftanstalten mehr als 3.000 Menschen. Bei knapp der Hälfte dieser Todesfälle sei als Todesursache Suizid angegeben gewesen. Im Jahr 2017 sei die Zahl der Suizide in Haft mit 82 auf dem höchsten Stand seit 2005 gewesen. Danach ging sie wieder zurück. 2022 gab es dann mit 92 einen neuen Höchststand.

Die meisten Suizide ereigneten sich laut der Antwort des Bundesjustizministeriums von 2019 bis 2022 in Untersuchungshaft. In zehn Prozent der Fälle betrafen Suizide Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen mussten. Die meisten waren zu dem Zeitpunkt 24 bis 40 Jahre alt.

Bünger findet die Zahlen besorgniserregend. „Viel zu häufig werden Gefangene durch die Haftbedingungen zermürbt, sodass sie schlimmstenfalls keinen anderen Ausweg sehen als den Suizid.“ Teils würden auch Menschen inhaftiert, die psychisch krank seien. Statt einer Freiheitsstrafe hätten sie dringend ärztliche Hilfe benötigt, so Bünger.

Mehr Transparenz in Blackbox Knast

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hatte 2022 darauf hingewiesen, dass immer mehr Gefangene im deutschen Justizvollzug psychische Auffälligkeiten aufweisen. Zugleich könne eine ausreichende Behandlung dort nicht immer gewährleistet werden.

In seiner Antwort auf die Kleine Anfrage schreibt das Justizministerium: „Für Menschen, die in staatlicher Obhut inhaftiert sind, trägt der Staat eine besondere Schutz- und Fürsorgepflicht.“ Dennoch kämen Todesfälle in der Haft „leider vor“. „Die Verhinderung derartiger Ereignisse hat für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Verantwortlichen und die Haftanstalten selbst höchste Priorität.“

Bünger empfindet die Anmerkung als „zynisch“. „In der Praxis kommt der Staat dieser Pflicht häufig gerade nicht nach. Im Gegenteil werden Gefangene, die über Depressionen klagen oder dringend um ärztliche Hilfe bitten, immer wieder alleingelassen oder sogar durch verschärfte Repressionen wie Isolationshaft in den Tod getrieben.“ Das zeigten Berichte unter anderem von ehemaligen Inhaftierten, der Gefangenengewerkschaft oder von unabhängigen Dokumentationsstellen.

Es brauche dringend mehr Transparenz in der „Blackbox Knast“, vor allem aber eine bessere psychosoziale Versorgung. Bünger fordert aber auch: „Wir müssen dringend Alternativen für das krankmachende und tödliche Knastsystem finden.“

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5 Kommentare

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  • “… bessere psychosoziale Versorgung”

    Wenn die schon nicht im Knast stattfindet…, außerhalb davon sieht’s doch ähnlich aus:



    Krankenkassenbeiträge steigen für immer weniger Leistungen, es sei denn, man legt das Geld direkt auf den Tisch, und zwar für nicht unumstrittene IGEL-Leistungen sprich Sonderzahlungen für Ärzte. Manch eine*r von denen öffnet gesetzlich Versicherten keine Tür, Privatpatienten bevorzugt! Therapeuten? Ja wo laufen sie denn….?

    Die Situation in den Gefängnissen spiegelt m.E. die gesellschaftlichen Realitäten wider. Es mangelt überall an Personal und Corona hat bis heute viele gravierende auch psychische Probleme mit sich gebracht. Dazu noch Umweltzerstörung, Krieg, Klimawandel, fehlende Perspektiven. All das mag wohl an kaum jemandem spurlos vorübergehen.

    Wundern muss man sich daher nun wirklich nicht mehr, auch nicht über erhöhte Suizide in Gefängnissen.

  • "In zehn Prozent der Fälle betrafen Suizide Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen mussten."

    Man muss nicht zwingenmd eine nicht bezahlte Geldstrafe absitzen. Man kann stattdessen pro Hafttag 6 Stunden ersatzweise ehrenamtlich arbeiten. Zb. mit Asylsuchenden, im Sportverein, mit Obdachloseninitativen. Ich habe in einem Waisenhaus mit Jugendlichen Gemeinschaftsräume gestrichen. Ich habe die als gelernter Maler beim arbeiten angeleitet. 10 Tage. Nur sind die meisten zu faul. Vor dem Haftantritt bekommt man den Hinweis auf "schwitzen statt schwitzen".

    • @Martin Sauer:

      "Zu faul" ist bei Ihnen die Bezeichnung für zu depressiv, um so was auf die Reihe zu kriegen? Ansonsten, interessanter Hinweis.

    • @Martin Sauer:

      Hallo Martin,



      leider sind selbst dazu viele Menschen nicht in der Lage und das hat mit "Faulheit" gar nichts zu tun. Oft sind sie von Sucht oder einer psychischen Krankheit betroffen. Viele, um die es hier geht, sind obdachlos und stehen am Rande der Gesellschaft.

      Meiner Meinung nach gibt es bloße Faulheit auch gar nicht, jedenfalls nicht dauerhaft. Da stecken meist Probleme hinter, aber statt genau hinzuschauen und sich mit den Personen zu befassen, werden sie als "faul" abgetan. Passt ja auch nicht in unsere eisige Leistungsgesellschaft, in der alles schnell gehen muss und alle zu funktionieren haben...

  • Fordern kann man ja immer gerne und viel aber wo sollen die Therapeuten denn herkommen? Therapeuten sind Mangelware und wer mehrere Jahre Studium und Ausbildung zum Psychotherapeuten hinter sich hat und dabei hohe Schulden angehäuft hat, wird eher selten den Weg in den Staatsdienst und noch weniger den Weg in die JVA finden. Wenn man für etwas kaum Leute begeistern kann, dann sind es Stellen in der JVA oder Suchtkliniken und wer die Möglichkeit hat, macht sich aus finanziellen Gründen eh selbstständig.