Suizide in Hamburger Gefängnissen: Höchstes Risiko bei Haftbeginn

20 Suizide gab es in den vergangenen zehn Jahren in Hamburger Gefängnissen. Die Justizbehörde will nun mehr Personal einstellen. Reicht das?

Ein vergittertes Fenster der Untersuchungshaftanstalt Holsten­glacis in Hamburg

Hier häufen sich Suizide besonders: Untersuchungshaftanstalt Holsten­glacis in Hamburg Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | In Hamburger Gefängnissen haben sich zwischen 2013 und 2022 20 Menschen das Leben genommen. Das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich die Fälle in einer größeren Studie genauer angesehen, um eine Reihe von Maßnahmen vorzuschlagen, damit Suizide in Haft verhindert werden können. Die Studie war von der Justizbehörde in Auftrag gegeben worden, am vergangenen Donnerstag diskutierte der Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft die Ergebnisse.

Bei der Vorstellung der Studie betonte die grüne Justizsenatorin Anna Gallina, dass die Zahl der Suizide in Haft in den vergangenen Jahren zurückgegangen ist. Das zeigten Vergleiche mit früheren Auswertungen. Denn bereits 2012 beauftragte die Justizbehörde das UKE mit einer Studie – zu dem Zeitpunkt hatten sich die Suizidfälle gehäuft. Das Ergebnis seinerzeit: Zwischen 1996 und 2012 gab es insgesamt 41 Suizide. Damals wie heute lauten Vorschläge des UKE: Mehr Freizeitangebote, mehr psychiatrische Versorgung.

Sowohl Justizsenatorin Gallina als auch der Großteil des Ausschusses äußerte sich am Donnerstag positiv zur neuen Studie. Einzelne Abgeordnete mahnten aber auch dazu, an einzelnen „Stellschrauben“ zu drehen und über weitere Verbesserungen nachzudenken.

Wo diese liegen könnten, wurde bei der Vorstellung der Studie schnell deutlich: Insbesondere in den ersten drei Monaten der Haft sei das Risiko für einen Suizid am größten. Demnach haben sich elf Gefangene in diesem Zeitraum das Leben genommen.

Außerdem traten die meisten Fälle in Untersuchungshaft auf: 13 Fälle geschahen in der U-Haft am Holstenglacis. 2022 waren das drei von vier Fällen, wie aus einer Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsabgeordneten Cansu Özdemir hervorgeht.

Kaum Möbel in den Räumen

Ein weiterer Aspekt, der aus der Studie hervorgeht: Bei 80 Prozent der Suizidfälle lag eine psychische Erkrankung vor – etwa eine Sucht, Psychose, Depression oder eine Persönlichkeitsstörung. Bei 20 Prozent war hingegen keine Diagnose bekannt.

Linken-Politikerin Özdemir kritisierte bei der Sitzung, dass viele Betroffene aber häufig ihre Suizidabsichten oder Depressionen nicht nach außen tragen würden, aus Angst in die Beobachtungsräume zu kommen. Die Räume sind bislang so ausgestattet, dass es kaum Möbel gibt – stattdessen eine 24-Stunden-Videoüberwachung der Häftlinge. Senatorin Gallina zufolge sollen die Räume aber nun umgestaltet und sichere Möbel eingesetzt werden.

Gegenüber der taz sagt Özdemir, die sich eine noch tiefergehende Studie gewünscht hätte: „Eine ansprechendere Gestaltung der Beobachtungsräume ist notwendig, aber absolut nicht hinreichend.“ Die Räume würden in erster Linie der Sicherung dienen, nicht der psychologischen Unterstützung bei Suizidgedanken. „Ein bisschen Farbe an den Wänden kann diese defizitäre psychologische Versorgung weder ersetzen noch kaschieren“, sagt die Linken-Abgeordnete.

Bisher richten sich die Hamburger Justizvollzugsanstalten (JVA) nach einem einheitlichen Suizidpräventionsprogramm – es orientiert sich an der Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention. So gibt es seit 2012 ein sogenanntes Suizidscreening für alle neuen Gefangenen. Dabei handelt es sich um eine erste medizinische Aufnahmeuntersuchung.

Allerdings wird die bislang kaum durch psychologisches Fachpersonal durchgeführt, sondern durch Mitarbeitende der JVA. Anhand eines Fragebogens sollen gefährdete Personen bestimmt werden und dann dementsprechend Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Der Bogen wurde ebenfalls vom UKE umgesetzt und entwickelt, ist bislang aber nicht in allen Hamburger JVA einheitlich. In der neuen Studie wird empfohlen, überall den gleichen Fragebogen einzusetzen.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (☎ 08 00/111 0 111 oder ☎ 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen

Für Özdemir reichen solche kleineren Anpassungen nicht aus. Die Studie habe deutlich gemacht, dass ein humaner Strafvollzug und eine gute psychologisch-psychiatrische Versorgung entscheidende Faktoren in der Suizidprävention seien. „Einzelne Renovierungen und ein neuer Fragebogen zum Suizidscreening sind da nur Tropfen auf den heißen Stein“, kritisiert sie gegenüber der taz.

In der Tat ging es in der Ausschusssitzung auch um die psychologische Betreuung der Häftlinge. Özdemir redete von einem Personalmangel in den Haftanstalten. Die Senatorin sprach von Plänen, das Personal aufzustocken. Konkrete Zahlen nannte sie nicht, nur das Anfang 2024 damit zu rechnen sei. Wie notwendig es ist, zeigen aber aktuelle Zahlen: In den regulären Anstalten in Hamburg betrug das Verhältnis von Psy­cho­the­ra­peu­t*in­nen und Gefangenen im Jahr 2022 schwankend zwischen 1 zu 144 und 1 zu 172.

„Außerdem wollen wir das Management der Freizeitaktivitäten verbessern“, erklärte Gallina. So sollen lange Wartelisten vermieden werden. Immerhin: Seit November 2022 sind alle Hafträume der U-Haft mit Fernsehen und Radio ausgestattet und es wurde die Haftraumtelefonie eingeführt, über die auch die Telefonseelsorge angerufen werden kann.

Für Özdemir liegt der Ball nun beim Senat. So sagt sie der taz: „Auch wenn die Studie hinter den Erwartungen zurückbleibt, gibt sie eine Reihe von Handlungsempfehlungen, an deren Umsetzung sich der Senat wird messen lassen müssen.“ Wie Senatorin Gallina bei der Sitzung erklärte, seien bereits einige der Maßnahmen in der Umsetzung.

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