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Jurist und Aktivist aus Frankfurt (Oder)Menschenrechtler bis zum Lebensende

Dieter Bollmann vertritt Geflüchtete juristisch, damit sie nicht abgeschoben werden. Auch mit 82 Jahren denkt er nicht ans Aufhören.

Bollmann über Frankfurt (Oder): „Es gibt hier eine unglaubliche, praktizierte Willkommenskultur“ Foto: Foto Schwenzer

BERLIN taz | Dieter Bollmann lacht viel, wenn er von sich erzählt. Zum Beispiel, wenn er sagt: „Ich habe Frankfurt (Oder) zur abschiebefreien Stadt erklärt.“ Das habe er – zumindest für seine Mandanten – auch eingehalten, sagt der 82-jährige Rechtsanwalt, der Geflüchteten juristisch beisteht, und zwar ehrenamtlich. Angefangen hat er damit erst vor viereinhalb Jahren. „Im Alter gebraucht zu werden“, sagt Bollmann, „das ist was Tolles.“

Zu dieser Arbeit gekommen ist Bollmann im Februar 2015. Damals sei er bei einer Demonstration gegen einen Naziaufmarsch angesprochen worden: Er sei doch Anwalt, ob er helfen könne? Da wären diese zwei Brüder aus Kamerun, die mitten in der Nacht abgeschoben werden sollten. „Davon hatte ich in der Zeitung gelesen“, sagt Bollmann, schon da habe ihn das empört. „Na ja, habe ich gedacht, warum nicht. Ich kam ja aus dem Verwaltungsrecht. Und seither mache ich nichts anderes.“

Die Brüder sind immer noch in Deutschland. Beide haben eine Ausbildung zum Elektrofacharbeiter gemacht, der eine geheiratet und ein Kind bekommen. 241 Mandant*innen hat Bollmann inzwischen betreut.

Bollmann ist Wahlfrankfurter und Wahlbrandenburger. Fragt man ihn, wo er herkommt, sagt er am liebsten: „aus Europa“. Geboren ist er in Kassel, gelebt hat er an verschiedenen Orten Hessens, in Kiel, Duisburg, Hamburg und im brandenburgischen Stolpe. 2013 zog er mit seiner Familie in ein Mehrgenerationenhaus in Frankfurt, dass er mit seinem Sohn aufgebaut hat.

Seit 54 Jahren bei der SPD

„Ich habe erlebt, dass es Menschen in Frankfurt gibt, die gegen Asylbewerber eingestellt sind, und dann noch welche, die sagen: ‚Wir haben ja nichts dagegen, aber‘ …“, sagt Bollmann. Aber dann seien da eben auch noch die vielen Leute, die helfen. „Es gibt hier eine unglaubliche, praktizierte Willkommenskultur.“

Zwei Dinge ist Bollmann aus ganzem Herzen: Menschenrechtler und Sozialdemokrat. Seit 1965 ist er, der aus einem konservativen Elternhaus kommt, Parteimitglied. Ganz einfach war die Beziehung nicht immer. „1993, als die SPD die Verschärfung des Asylrechts mit beschlossen hat, da wollte ich austreten“, sagt er.

Er hat es dann aber doch gelassen. „Wenn so Leute wie ich die SPD verlassen, ist das langfristig nicht gut für die Partei“, sagt er amüsiert. „Parteilinker“ sei er und einer von denen, die gegen die Große Koalition gestimmt haben. „Seit es die gibt, hält die SPD sich in Asylrechtsfragen ziemlich bedeckt.“ Lieber wäre ihm Rot-Rot-Grün. „Ich hoffe, dass wir das nach der Landtagswahl auch hier in Brandenburg bekommen.“ Dort regiert zurzeit die SPD mit der Linken.

Viele aktuelle Diskurse verfolgt Bollmann kritisch. „Als Menschenrechtler gilt für mich: Alle Menschen müssen gleich behandelt werden.“ Wenn Asylbewerber straffällig würden, solle das nach rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt werden. „Die Menschen dann auch noch abzuschieben, lehne ich ab – Deutsche kann man ja auch nicht abschieben.“

Aufenthaltsrechtlich können Straftaten indes ab einer gewissen Schwere Konsequenzen haben – die Hürde dafür wurde in der Vergangenheit deutlich gesenkt. „Ich weiß, ich vertrete da eine Minderheitenmeinung“, sagt Bollmann.

Dass letztes Jahr ausgerechnet der Oberbürgermeister in Frankfurt, René Wilke, ein Linker, ins Spiel brachte, eine Gruppe mehrmals straffällig gewordener Syrer abzuschieben, das empört Bollmann. „Opportunistisches Verhalten“ nennt er das. Und die Asylrechtsverschärfungen, die der Bundestag vor einigen Wochen auch mit den Stimmen der SPD beschlossen hat, nennt er „eine Katastrophe“. Im Gegenzug hatte die Union dem Einwanderungsgesetz zugestimmt, ein Kompromiss.

Ans Austreten hat Bollmann diesmal nicht gedacht: „Ich bleibe bis zu meinem Lebensende Sozialdemokrat. Und Menschenrechtler.“ Dann lacht Bollmann noch mal. „Das ist ja jetzt noch ein überschaubarer Zeitraum.“

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