Jura-Professorin über Parité-Gesetz: „Faktische Nachteile für Frauen“
Paritégesetze sollen mit quotierten Wahllisten mehr Frauen in die Parlamente holen. Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf befürwortet das.
taz: Frau Brosius-Gersdorf, die SPD in Niedersachsen will ein Paritégesetz einführen, um mehr Frauen ins Parlament zu bekommen. Ist das der richtige Schritt?
Frauke Brosius-Gersdorf: Das kommt darauf an, wie es ausgestaltet ist. Ich finde es richtig, gesetzliche Quoten zur Steigerung des Frauenanteils in den Parlamenten vorzuschreiben. Die freiwilligen Verpflichtungen einzelner Parteien haben nur begrenzt zum Erfolg geführt. Das liegt auch daran, dass in den Parlamenten teilweise bis zu 100 Prozent der Sitze über die Erststimme gewonnen werden und dafür gibt es gar keine Quoten, nicht einmal freiwillige. Gesetzliche Quoten könnten auf Grundlage des geltenden Verfassungsrechtes aber nur solche sein, die die Chancengleichheit der Frauen bei der Wahl herstellen.
Das heißt?
Der niedrige Frauenanteil in den Parlamenten liegt daran, dass Frauen ungleiche Chancen bei der Wahl haben. Es gibt faktische Nachteile. Die Parteien nominieren Frauen trotz gleicher Eignung nicht gleichermaßen auf den Listen. Und auch auf den Direktwahlplätzen kommen sie nicht so zum Zuge wie Männer. Die Nachteile beim Zugang zu Listen- und Direktwahlplätzen innerhalb der Parteien müssen abgebaut werden. Dazu ist der Gesetzgeber sogar verpflichtet wegen des Gleichberechtigungsauftrags im Grundgesetz. Es geht aber nicht darum, eine Ergebnisparität im Parlament herzustellen. Am Ende entscheidet der Bürger.
Frauke Brosius-Gersdorf, 47, ist Professorin für Öffentliches Recht an der Leibniz-Universität Hannover.
Woran liegt es, dass Frauen in Parteien benachteiligt sind?
Es gibt vielfach Männerbündnisse, die zusammenhalten. Wenn Frauen nominiert werden, bekommen sie oft aussichtslose Listenplätze. Außerdem ist es für viele Frauen nachteilig, dass viele Sitzungen am Abend stattfinden. Wenn sie Familienarbeit leisten, können sie eben nicht dabei sein. Es gibt auch immer noch männlich geprägte Karrieremuster und Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen für Abgeordnetensitze.
Und wie kann die Chancengleichheit hergestellt werden?
Zum Abbau dieser Nachteile reicht ein Quotenmodell, wie es gerade die schleswig-holsteinische Justizministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) vorgeschlagen hat. Das sieht vor, dass die Parteien in den Wahlkreisen Bewerbertandems aus Mann und Frau aufstellen. Dann hat der Bürger die Wahl, einen Mann oder eine Frau aus den Tandems zu wählen.
In Deutschland gibt es bei Bundes- und Landtagswahlen die personalisierte Verhältniswahl. Wähler*innen haben zwei Stimmen.
Mit der Erststimme wählen Bürger*innen in ihrem Wahlkreis die Kandidat*in einer Partei direkt. Diejenige mit den meisten Stimmen bekommt ein Mandat und zieht sicher ins Parlament ein. Die anderen gehen leer aus.
Mit der Zweitstimme wählen die Bürger*innen die starre Liste einer Partei. Darauf stehen die Kandidat*innen. Die Wähler*innen haben jedoch keinen Einfluss auf die Reihenfolge, in der die Kandidat*innen ins Parlament einziehen. Die Zweitstimme bestimmt, wie groß der Anteil einer Partei an den Sitzen im Parlament ist. Wenn eine Partei 20 Prozent der Stimmen gewinnt, muss sie auch 20 Prozent der Sitze bekommen.
Ausgleichs- und Überhangmandate kommen ins Spiel, wenn eine Partei durch die Direktwahl mehr Sitze bekommt, als ihr dem Anteil der Zweitstimme nach zustehen. Die Zahl der Abgeordneten kann sich deshalb erhöhen.
Die SPD in Niedersachsen will hingegen die Wahlkreise vergrößern und dann jeweils für eine Partei ein Team aus Mann und Frau wählen lassen. Pro Wahlkreis würden dann eine Kandidatin und ein Kandidat gemeinsam in den Landtag einziehen.
Dieses Modell beseitigt nicht nur die Nachteile für Frauen bei der Nominierung in den Parteien, sondern geht darüber hinaus und sorgt für eine paritätische Vertretung von Frauen und Männern im Parlament.
Das wäre doch wünschenswert.
Politisch durchaus, aber nach unserem Grundgesetz muss und darf der Gesetzgeber nur Chancengleichheit für Frauen und nicht Ergebnisgleichheit herstellen; bei der Wahl hat der Bürger das letzte Wort. Und wenn Frauen und Männer zu gleichen Teilen zur Wahl stehen, entscheidet der Bürger, in welcher Anzahl sie in die Parlamente einziehen.
Bei dem Modell, das sie bevorzugen, würde weiterhin nur eine Person direkt ins Parlament einziehen. Würde das nicht dazu führen, dass die Parteien in den Wahlkreisen nicht nur mit anderen Parteien, sondern auch die Tandems untereinander konkurrieren?
Das ist die notwendige Konsequenz. Damit wäre der Wahlkampf innerhalb der Tandems aus Mann und Frau eröffnet.
Hätten die Parteien die Möglichkeit, die Wahl von Männern weiter zu begünstigen?
Die Parteien könnten theoretisch die Chancengleichheit für Frauen leer laufen lassen, indem sie sehr ungleiche Tandems aufstellen: der erfolgreiche, charismatische Ministerpräsident und die erfolglose, blasse Fleischwarenverkäuferin. Der männliche Kandidat würde quasi auf dem Silbertablett serviert. Wenn der Gesetzgeber darlegen könnte, dass das ein realistisches Problem ist, wäre meiner Meinung nach auch das En-bloc-Tandemmodell der SPD zulässig. Es reicht allerdings nicht, das zu behaupten. Man muss es durch Studien oder ähnliches nachweisen.
Ist es Ihrer Meinung nach überhaupt legitim, die Parteien so in ihrem Selbstbestimmungsrecht zu beschneiden?
Beide Modelle für die Erststimme, die En-bloc-Tandems und die Auswahltandems beschneiden die Autonomie und die Chancengleichheit der Parteien. Artikel 3, Absatz 2, Satz 2 des Grundgesetzes gibt dem Staat aber den Auftrag, für die Chancengleichheit der Frauen zu sorgen. Das rechtfertigt in meinen Augen, dass die genannten Rechte beschnitten werden – zumindest durch das Auswahltandem.
In Deutschland gibt es zudem die Listenwahl über die Zweitstimme. Wie sollte der Staat hier eingreifen?
Im geltenden System starrer Wahllisten lässt sich Chancengleichheit eigentlich nur über ein Reißverschlussverfahren realisieren. Genau wie die En-bloc-Tandems bei der Erststimme würde das aber die Wahlfreiheit des Bürgers einschränken und über den Gleichberechtigungsauftrag aus dem Grundgesetz hinausschießen, weil wieder für Parität gesorgt wird.
Aber wieso schränkt das die Wahlfreiheit ein? Die Wähler*innen können doch ohnehin nur eine Liste wählen, egal ob eine Partei fünf Männer aufgestellt hat oder durch das Gesetz im Wechsel Frauen und Männer darauf stehen.
Es macht für den Bürger einen Unterschied, ob die Parteien, denen sie vertrauen, die Listen aufstellen oder ob das der Staat macht. Dennoch meine ich, dass das Reißverschlussverfahren zulässig ist, weil der Gesetzgeber das Wahlsystem grundsätzlich frei gestalten kann und sich für starre Listen entschieden hat. Und da ist es das einzig mögliche Mittel, um Chancengleichheit für Frauen bei der Wahl zu gewährleisten.
Wie sollen sich Menschen in die Listenplätzen einordnen, die sich dem dritten Geschlecht zugehörig fühlen?
Das ist ein schwieriges und wichtiges Problem. Ich finde es aber richtig, über diese Quote zunächst ohne Rücksicht auf das dritte Geschlecht zu sprechen. Eventuell lässt sich das sprachlich lösen durch die Bezeichnung der Listen- und Direktwahlplätze als Frau/Divers und Mann/Divers.
Wäre es legitim, wenn die Wahlleitung auf die Wahlzettel schreiben würde, dass ein Kreuz für Frauen begrüßt wird?
Ich finde nicht, dass das ein geeignetes Mittel ist, weil es die Chancengleichheit von Frauen nicht sicher herstellt. Das kann nur eine Quote. Frauen müssen nicht in allen Lebensbereichen in gleicher Anzahl wie Männer vertreten sein, aber sie müssen die gleichen Chancen haben.
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