Julian Reichelt gegen den „Spiegel“: Einstweilige Verfügung erwirkt
„Bild“-Chef Julian Reichelt hat eine einstweilige Verfügung gegen den „Spiegel“ erwirkt. Der betreffende Artikel steht aber noch unverändert online.
„Verdachtsberichterstattung“ bedeutet, dass Medien über Anschuldigungen gegen eine Person berichten, die noch nicht zweifelsfrei belegt sind. In der Regel wird Verdachtsberichterstattung mit großem öffentlichen Interesse begründet, etwa aufgrund eines wichtigen Postens oder des Promi-Status einer Person. Verdachtsberichterstattung ist jedoch nur zulässig, wenn der beschuldigten Person ausreichend Zeit und Gelegenheit gegeben wird, sich zu allen gegen sie erhobenen Vorwürfen zu äußern.
Im März hat der Spiegel eine solche Verdachtsberichterstattung über den Bild-Chef Julian Reichelt betrieben. Gegen den entsprechenden Artikel hat Reichelt nun offenbar einen juristischen Teilerfolg erzielt. Laut Neue Zürcher Zeitung hat das Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen einzelne Behauptungen aus einer Spiegel-Recherche über Reichelt vom 12. März ausgestellt. Das Gericht geht offenbar davon aus, dass Reichelt nicht ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, um sich zu äußern.
Der Spiegel bestätigt, dass eine einstweilige Verfügung eingegangen ist. Das Gericht habe begründet, dass „prozessual davon auszugehen ist, dass dem Antragsteller keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde“. Der Spiegel möchte sich aber nicht äußern, um welche Behauptungen es genau geht.
Der Bild-Chefredakteur war im März zehn Tage von seinem Posten beurlaubt worden, wegen interner Vorwürfe gegen seinen Führungsstil und mutmaßlicher Vermischung von beruflichen und privaten Verhältnissen. Der Spiegel berichtete damals, dass „rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen“ Beschwerden gegen Reichelt vorgebracht hätten, unter anderem wegen Mobbing, Nötigung und Machtmissbrauch.
Artikel ist noch unverändert online
Unter dem Titel „Vögeln, fördern, feuern“ sprach der Spiegel von einem „System Reichelt“, in dem der Chefredakteur als erratischer Vorgesetzter beschrieben wurde, der nach Laune und persönlichem Geschmack vor allem weibliche Mitarbeiterinnen schnell fördere – oder auch schnell abserviere. Die Überschrift des Artikels soll ein verlagsinternes Zitat sein, mit dem jemand bei Springer dieses „System Reichelt“ beschreibe.
Im März sagte der Spiegel der taz, man habe für diesen Artikel den Bild-Chef mehrfach „offiziell über die Pressestelle des Axel-Springer-Verlages“ konfrontiert. Von der Pressestelle habe man daraufhin Stellungnahmen erhalten. Reichelt gibt nun offenbar an, „von der Kommunikationsabteilung des Axel-Springer-Verlages nicht über unsere Fragen informiert worden zu sein“.
Das hat Reichelt eidesstattlich versichert, wie einem Hinweis zu entnehmen ist, den der Spiegel unter den Artikel gesetzt hat. Eine Spiegel-Sprecherin sagte der taz am Freitag, man gehe beim Verlag „weiter davon aus, dass es ausreichend war, Stellungnahmen über die Unternehmenskommunikation einzuholen“.
Der Text ist nach wie vor unverändert online. Außer dem genannten Hinweis gab es keine Änderungen. Bisher deutet nichts darauf hin, dass bestimmte Behauptungen gerichtlich verboten worden sind. Seitens des Spiegel heißt es, man prüfe, ob man überhaupt Widerspruch einlegen werde, „auch vor dem Hintergrund, dass die Folgen für den Artikel gering sind“.
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