Jürgen Klopp als schlechtes Vorbild: Verschwendete Energy
Der Wechsel Klopps zu Red Bull macht wehmütig. Wie alle talentierten Menschen, die Geld mit Blödsinn scheffeln, obwohl sie Zigmillionen haben.
J a, ist der denn bekloppt? Ich gebe zu, das war auch mein erster Gedanke, als der neue Job von Jürgen Klopp als „Head of Global Soccer“ bei Red Bull bekannt wurde. Bei Red Bull! Das kann doch nicht wahr sein. Das ist ja wie Kevin Kühnert bei der CSU.
Wenn es das Gegenteil eines liebenswerten Traditionsvereins gibt, dann die Retortenklubs dieses Getränkekonzerns. Ausgerechnet da geht der nette Jürgen hin, der sich mal als links bezeichnet hat. Der gerade noch tränenreich beim traditionellsten aller Traditionsvereine Abschied genommen und geschworen hatte, nie einen englischen Konkurrenzklub des FC Liverpool zu trainieren.
Für den sie noch einmal „You’ll Never Walk Alone“ gesungen hatten, sogar mit deutschen Farben auf den Tribünen. Fast hätte ich mitgeweint, weil da so viel Zuneigung zu spüren war. Wahrscheinlich hat keiner mehr zur deutsch-englischen Freundschaft beigetragen als Klopp. Der Brexit schien vergessen.
Und jetzt das! Red Bull! Es gab nur einen Trost: Mit meinem Entsetzen war ich nicht allein. Es war überall zu finden. Selbst bei X, formerly known als Twitter, waren sich erstmals alle einig: Klopp bei Red Bull, das geht gar nicht! Viele schrieben, sie hätten den Glauben an das Gute verloren. Es gab kein anderes Thema mehr.
All der Horror, Gaza, Libanon, Ukraine, Hurrikan „Milton“, sogar die Ampel rückte plötzlich in den Hintergrund. Und alle kamen auf den selben Namenswitz: Bekloppt! Ja, lustig, aber kurz. Nach einer Weile wirkte der allgemeine Furor nur noch gemein, und meine Stimmung kippte. Wie immer, wenn alle nur auf einen dreschen, setzte der Schutzreflex ein, und ich fragte mich: Wer ist hier bekloppt? Wohl eher wir.
Der Fußball hat ja den Kapitalismus nicht erfunden
Es ist natürlich albern, so zu tun, als hätte Klopp bisher nur Amateurklubs trainiert, einen Verrat begangen und erstmals die Gesetze des guten, alten Fußballsports gebrochen. Der FC Liverpool gehört US-Milliardären, Klopps vorheriger Herzensklub Borussia Dortmund ist eine AG, die für Rheinmetall wirbt, wobei Rheinmetall immerhin zweifellos sehr traditionsreich ist.
So wie der Chemiewerksklub Bayer 04 Leverkusen. Dem hat ganz Fußballdeutschland gerade erst begeistert für die Befreiung von der ewigen Vorherrschaft des FC Bayern gedankt, der wiederum von Katar gesponsert wurde.
Nur Red Bull ist böse. Geben wir es zu: Hinter der Wut auf die unverblümten Kapitalisten steckt Nostalgie, verdrängte Trauer über die Verkommenheit des Fußballbusiness, die wiederum ein Spiegel der Gesellschaft ist. Der Fußball hat ja nicht den Kapitalismus erfunden, er wurde von ihm gekauft. In Liverpool und Dortmund verhüllt die zelebrierte Tradition den Kommerz noch leidlich – und Klopp war der beste Showman in diesem Illusionstheater. Nun steigt er aus. Im Grunde ist das ehrlicher als vorher.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Nein, ich nehme ihm nichts übel. Red Bull produziert kalten Kaffee, keine Waffen. Und doch macht es mich wehmütig. So wie bei allen talentierten Menschen, die weiter Geld mit Blödsinn scheffeln, obwohl sie schon Zigmillionen haben. Ich verstehe auch nicht, warum Günther Jauch ewiger RTL-Rateonkel bleibt, statt politische Sendungen zu moderieren.
Wobei: Vielleicht ist das auch besser so. Aber, ach, könnten kluge Leute die Welt nicht mehr bereichern? Klopp könnte mindestens Bundeskanzler werden, oder, wenn er unbedingt im Fußball bleiben will, vielleicht ehrenamtlich Chef beim taz Panter FC. Gern auch als Head of Kreuzberg Soccer.
Kein Vorwurf, wenn er das ablehnt. Aber so lange er mit all seiner Energie nur zum größeren Absatz von Koffeindrinkdosen beiträgt, sage ich enttäuscht: You’ll Always Drink Alone!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour