Jubel in New York City über Wahlergebnis: Freudentänze in Harlem
New York City atmet auf. In der Hochburg der Demokratischen Partei feiern die Menschen den Wahlsieg von Joe Biden und Kamala Harris.
„Hit the Road, Don“, singen zwei Dutzend rosa gekleidete Erwachsene. Ursprünglich wollten sie mit ihrem Aktivisten-Chor zum Columbus Circle kommen, um an einer Demonstration für eine faire Auswertung der Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. „Protect the result“ (Schützt das Ergebnis) stand auf den Aufrufen von Gewerkschaften, Bürgerrechtsgruppen, Klimaaktivisten und Mitgliedern der Demokratichen Partei.
„Schreibt Euch die Telefonnummer eines Anwalts auf den Unterarm“ hatten die Organisatoren empfohlen und vorab Anleitungen zur „De-Eskalation“ verschickt. Quer durch die USA waren für diesem Samstagmittag Hunderte solcher Demonstrationen angekündigt. Sie sollten Don(ald) Trump davon abhalten, das Wahlergebnis zu manipulieren.
Die Veröffentlichung des Wahlsiegs, die am späten Vormittag von der Nachrichtenagentur AP und von sämtlichen großen TV-Sendern, inklusive FoxNews, kommt, ändert den Charakter und die Größe der Demonstrationen. Quer durch das Land strömen Menschen auf die Straßen, von denen viele wegen der Pandemie seit Monaten allein waren und keine Absicht hatten, gegen Trumps Wahlmanipulationen zu demonstrieren. Es fühlt sich an wie eine kollektive Befreiung.
Autofahrer werfen sich im Stau Kusshände zu
„Wir haben es geschafft!“, schreibt ein junger Mann auf dem Bahnsteig der U-Bahnstation auf ein Stück Karton. Auf seinem ursprünglichen Transparent für diesen Samstag stand: „Respektiert meine Stimme“. Das hat er auf den Müll geworfen.
Am Columbus Circle stoßen der Central Park, eines von Trumps Luxus-Hotels und die neuen Hochhäuser von der 58. Straße aufeinander. Es ist eine der teuersten Wohngegenden Manhattans. An diesem Samstag ist der Platz voll ineinander verkeilter Autos, Fahrräder und Menschen. Nichts bewegt sich. Und doch zeigt niemand Wut. Autofahrer werfen sich gegenseitig Kusshände zu. Fußgänger deuten Umarmungen in der Luft an. Ein Tag mit hohem Gänsehautfaktor.
„Die sind heute überall“, sagt ein Polizist über die Demonstrationen. Er weiß von keiner geplanten Demonstrationsroute. Nur, dass auf mindestens drei großen Plätzen in Manhattan und weiteren in den anderen Stadtbezirken Menschen zusammenströmen. Tausende New Yorker Polizisten gehören Gewerkschaften an, die zu Trumps Wiederwahl aufgerufen hatten. Bei den Demonstrationen der letzten Wochen und Monate haben die Polizisten oft brutal zugeschlagen. Aber an diesem Samstagnachmittag sind sie höflich. Sie tragen Maske, nicht Kampfuniform.
Trumps Bashing als „garstige Frau“ wird zum Loblied
Auf dem Dach eines schwarzen Allradantriebs tanzt eine junge Frau. Auf ihrem T-Shirt steht: „nasty woman“ – garstige Frau. Der Wagen ist umzingelt von Frauen, die sie anspornen und fotografieren. Vor vier Jahren hat Trump seine Gegenspielerin Hillary Clinton eine „garstige Frau“ genannt. Mit demselben Adjektiv hat er seither andere kluge, erfolgreiche und selbstbewusste Frauen bedacht.
Seit diesem Samstag steht fest, dass eine von ihnen im Januar den Platz seines Vizepräsidenten einnehmen wird. Nach dem fundamentalistischen Mike Pence aus Indiana, der aus Prinzip mit keiner anderen Frau als seiner „eigenen“ essengeht, wird künftig die Kalifornierin Kamala Harris die zweitwichtigste Person in den USA.
Der Unterschied zwischen den beiden könnte kaum größer sein. Nicht nur, weil sie die erste Frau und die erste dunkelhäutige Person in dem Amt und die erste Immigrantentochter der ersten Generation ist, sondern auch, weil sie schon als Kind Offenheit gegenüber anderen Religionen und Welten erlebt hat. Mit ihrer Mutter besuchte sie hinduistische Tempel, mit ihrem Vater afroamerikanische Kirchen, ihr Mann stammt aus einer jüdischen Familie.
Am Columbus Circle taucht Harris' Name häufiger auf als der von Biden. „Kamala 2024“ rufen manche. In dem Jahr finden die nächsten Präsidentschaftswahlen statt. Biden wird sein Amt im Januar als 78-Jähriger antreten. Sollte ihm während seiner Amtszeit etwas zustoßen, wäre Harris automatisch seine Nachrückerin.
Die drei Freundinnen, die zusammen zum Columbus Circle gekommen sind, waren zehn Jahre jung, als Trump gewählt wurde. Vier Jahre danach haben sie zu seinem Abschied „Fuck you, Trump“ auf ein Schild geschrieben, das sie gemeinsam durch die Menge tragen. „Er ist ein Faschist und ein Rassist“, sagt Coco. Sie war von Anfang an „angewidert von ihm“. Ihre Freundin Ruby erklärt: „Wir sind New Yorkerinnen. Hier stehen überall Türme mit seinem Namen herum. Wir wussten, wer er war und wofür er stand“.
Klima und Corona werden als Prioritäten gesehen
Von dem künftigen Präsidenten erwarten die drei als erstes, dass er gegen den Klimawandel aktiv wird und dass er endlich einen Plan aufstellt, um gegen die Pandemie vorzugehen. „Schön wäre auch, wenn er uns von Amy Coney Barrett befreien würde“, witzelt Lily. Sie weiß, dass Oberste Richterinnen auf Lebenszeit ernannt werden.
Für Armando war dies die Woche von zwei großen Premieren. Er hat nie zuvor in seinem Leben gewählt „Ich komme aus dem Ghetto in Harlem“, begründet er. Und er war auch noch nie bei einer Demonstration. An diesem Samstag sitzt er in seiner schwarzen Lederjacke auf seiner Harley Davidson, filmt alles, was er auf dem Columbus Circle sieht und schickt es live an seine Tochter.
Dass Trumps Regierung an der Südgrenze Kinder von ihren Eltern getrennt hat und der Präsident erwogen hat, Puerto Rico, die Insel von der Armandos Familie stammt, zu verkaufen, hat ihn zu einem Wähler und Demonstranten gemacht. Vom nächsten Präsidenten erwartet er, dass er entschlossen gegen die Pandemie vorgeht: „Das Virus tötet uns. Wir Hispanics und Blacks sterben“.
In der Menschenmenge am Columbus Circle, die sich später ein paar Blocks weiter südlich zum Times Square verlagert, kommt fast alles vor, was Trump in den zurückliegenden Jahren getan hat. Die Jungen empören sich besonders über seine nicht vorhandene Klimapolitik, die Älteren prangern seinen Rassismus und seine Angriffe auf die Demokratie an.
Manche gratulieren „Joe“ zur Wahl. Und sagten sofort danach: „Die harte Arbeit beginnt jetzt erst“. Ihre Aufgabenlisten für Biden und Harris sind lang. Sie reichen von einer anderen Nahostpolitik bis hin zu höheren Löhnen und zu Papieren für Millionen von Undokumentierten.
Der künftige Ex-Präsident will es noch nicht glauben. Am späten Nachmittag wütet er in den Sozialen Medien, als wären die Wahlen noch nicht entschieden. Er ruft seine Anhänger zum „Kämpfen“ gegen Demokraten und Journalisten auf, weil die angeblich Wahlergebnisse stehlen. Aber in dem Freudentaumel in New York ist er für viele schon ein Mann hinter Gittern. Ein Demonstrant, der sich in eine orangefarbene Gefangenenkluft und eine Trump-Maske gehüllt hat, winkt auf der fünften Avenue wie zum Abschied. Hinter ihm steht der Turm, in dem Trump wohnte, bevor er ins Weiße Haus umzog.
„Die Republikaner lecken ihre Wunden“
Der Straßenverkehr ist gesperrt. Tiffany, Bulgari und die anderen Luxusläden auf beiden Seiten der Straße haben ihre Schaufenster mit Spanplatten vernagelt. Zwei Blocks entfernt bietet ein fliegender Händler rote Schirmmützen an. Statt „Make America Great Again“, steht darauf nur: „Adios“. Aus einem Megafon kommt der spöttische Ruf: „One Term Tower“. Trump hat oft erklärt, dass er Verlierer verachtet. Jetzt ist er selbst einer. Er ist der erste Präsident seit 1992, der nach nur einer Amtszeit aus dem Weißen Haus verjagt wird.
New York City ist eine Hochburg der Demokratischen Partei. Aber auch an kleineren Orten feiern an diesem Samstag Menschen. In Sunbury, im konservativen Central Pennsylvania tanzen am späten Vormittag Menschen auf der Straße.
Hingegen sind die Republikaner, die in den zurückliegenden Monaten mit Trump-Fahnen und Demonstrationen das Straßenbild beherrscht haben, kaum zu sehen. „Sie lecken ihre Wunden“, vermutet Greg Snyder, der Vorsitzende der Demokratischen Partei im Northumberland County.
Pennsylvania mit seinen 20 Wahlleuten, die im Dezember im Electoral College den Präsidenten wählen werden, hat den Ausschlag für Biden gegeben. „Wir haben die Demokratie gerettet“, sagt Greg Snyder, „Amerika ist zurück“.
Dave Robinson kommt schon am Samstag Mittag zum Columbus Circle gekommen. Mit Messer und einer Gabel trommelt er Jazz-Rhythmen auf einen metallenen Pfosten. Er ist allein in der Menge. Glücklich über das Ende von Trump. Völlig auf die Musik konzentriert. Stunden später stößt die Sängerin Ellen Martin zu ihm. Die beiden kennen sich nicht. Sie übernimmt das Messer, die Gabel und den Metallpfosten. Robinson packt sein Saxofon aus.
Um die beiden herum, in den Abgasen des Staus und dem Geruch von Hamburger-Imibissen und im Lärm von Gehupe und Geschrei, tanzen Menschen in den Herbstabend. „Dies ist eine gute Stadt“, sagt Robinson, „mit vielen guten Menschen“. Martin nickt. Sie hofft auf bessere Zeiten mit Biden. Wenn es nach ihr geht, wird er das Viele, das Trump zerstört hat, reparieren.
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