Journalistin über Gesprächskultur: „Wir suchen aktiv das Blöde am Anderen“
Catherine Newmark will die Gesprächskultur entgiften. Am Schauspiel Hannover hat sie die Gesprächsreihe „Chronik der laufenden Entgleisungen“ initiiert.

taz: Catherine Newmark, Sie moderieren eine Gesprächsreihe im Schauspielhaus Hannover, die Sie auch initiiert haben. Was ist die Idee dahinter?
Catherine Newmark: Es geht uns darum, angesichts einer wahrgenommenen zunehmenden Polarisierung und Verstärkung der Stimmungslage ein Gesprächsformat zu finden, bei dem man versucht, mit den Gästen und einem Publikum ins Gespräch zu kommen.
taz: Steht es nach Ihrer Einschätzung also schlecht um die Gesprächskultur in Deutschland?
Newmark: Ich nehme da eine Giftigkeit von allen Seiten wahr, die alles härter, schärfer und dümmer macht und bei der wir oft nicht wissen, wie wir dagegen angehen können. Wenn wir in kleinen Gruppen miteinander reden, schaffen wir es ja vielleicht noch, aber auch da ist oft alles verzweifelt und es geht immer ums große Ganze, so im Sinne von: Wenn die Gegenseite sich durchsetzt, ist die Demokratie nicht mehr zu retten. Wir haben in Deutschland sicher noch keine amerikanischen Verhältnisse, aber wir haben definitiv eine Herausforderung, was den Diskurs betrifft.
taz: Ist dieser Pessimismus nicht das Einzige, worauf sich alle einigen können?
Newmark: Ich finde es interessant, zu fragen, ob das wirklich so ist. Da herrscht ja auch eine verzerrte Sicht. Ich will gar nicht bestreiten, dass wir vor Krisen und Herausforderungen stehen. Aber was die Fähigkeit betrifft, in realen Situationen Gespräche miteinander zu führen, sehe ich gar nicht so schwarz. Selbst zwischen dem jungen progressiven, genderfluiden Gemüse und den alten weißen Männern gibt es ja im Grunde immer noch eine Übereinstimmung von 90%. Und die Frage ist, ob wir diese betonen oder die 10%.
taz: Aber ist es nicht auch ein Problem, dass wir es heute mit Menschen zu tun haben, die meinen, die Bundesrepublik würde gar nicht existieren oder die Erde sei flach?
Newmark: Da sprechen Sie eine Beobachtung an, die mir zentral für unsere Gegenwart zu sein scheint. Denn ein Teil unserer medialen Kultur führt dazu, dass wir viel zu viel Zeit damit verbringen, uns über andere Menschen zu mokieren. Das Internet ist der Ort, wo wir uns angewöhnt haben, grundsätzlich das Schlechteste an den Anderen zu sehen. Wir schauen ja ständig irgendein Video, in dem sich irgendjemand sehr dumm geäußert hat. Das Medium, das solche Bananenausrutscher puscht, kreiert so eine Kultur, bei der ich aktiv das Blöde, Hässliche und Dumme am Anderen suche.
taz: Spielen da nicht Schadenfreude und Häme eine wichtige Rolle?
Newmark: Genau! Und ich finde, das ist eine extrem ungesunde Kultur, weil wir uns ja nicht an Vorbildern orientieren, die etwas Tolles geleistet haben. Stattdessen orientieren wir uns immer nach unten. Das sind ja Beobachtungen, die viele Menschen machen. Unsere Gesprächsabende werden darum nicht kontrovers besetzt sein, also wie es Talkshows machen, um möglichst polemische Kontraste zu erzielen, sondern ich werde versuchen, mit meinen Gästen das größere Bild zu sehen, Punkte oder Flächen jenseits der Polarisierungen zu finden, in denen wir uns alle wiedererkennen können.
taz: Sie moderieren ja auch eine Radiosendung und sind selber zu Gast in Podcasts und im Fernsehen. Ist im Vergleich dazu eine Gesprächsrunde in einem Theater nicht ein Anachronismus?
„Chronik der laufenden Entgleisungen“, ab 2. 10. im Schauspielhaus Hannover
Newmark: Ja, die Reichweite spielt eine Rolle. Aber ich meine, jedes Format hat seine Vor- und Nachteile. Für mich sind Publikumsveranstaltungen sehr wertvoll. Ich glaube, dass die körperliche Präsenz bei Livegesprächen nicht irrelevant ist. Ich meine sogar, dass die Absenz von leiblicher Präsenz eines der großen Probleme in unserer aktuellen Medienlandschaft ist.
taz: Wie meinen Sie das?
Newmark: Das merken wir ja auch in der Arbeitssituation mit all diesen Zoomsitzungen. Das macht etwas mit uns. Wir sind den anderen gegenüber ein wenig verbohrter, bockiger und weniger tolerant. Bei Veranstaltungen, wo alle physisch in einem Raum sind, kann dagegen ein gemeinsames Nachdenken entstehen. Und das ist dann etwas sehr Schönes.
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