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Journalist über türkische Angriffe„Waffen für die Tötung von Journalisten“

Am Donnerstag tötete eine türkische Drohne zwei Journalisten nahe der nordsyrischen Stadt Kobanê. Ein Kollege spricht über die bedrohte Pressefreiheit.

Alan Meish Foto: Ronahî TV
Interview von Tim Krüger

taz: Ihre Kollegen Nazim Daştan und Cîhan Bilgin sind am Donnerstag bei einem türkischen Drohnenangriff ums Leben gekommen. Wer waren die beiden?

Alan Meish: Nazim Daştan und Cîhan Bilgin, waren zwei kurdische Journalisten, die aus den kurdischen Gebieten in der Türkei wie viele andere Journlisten aus aller Welt nach Rojava kamen, um die Ereignisse hier zu verfolgen. Nazim kam 2014 nach Rojava, als der Krieg gegen den IS auf seinem Höhepunkt war. Mit Kamera und Stift verfolgte er das Kriegsgeschehen im Norden und Osten Syriens. So war er beim Kampf gegen den IS in Kobanê vor etwa genau 10 Jahren dabei und beobachtete die vielen Angriffe der Türkei seitdem hautnah. Von der türkischen Regierung wurde er gesucht, da er viele Informationen über deren Aktivitäten, wie die direkte Zusammenarbeit zwischen dem IS und dem türkischen Geheimdienst veröffentlichte.

Im Interview: Alan Meish

arbeitet seit 9 Jahren als Journalist. Momentan in Nordostsyrien für den kurdischen Sender Rohanî TV. Am Donnerstag wurden zwei seiner Kollegen nahe der nordsyrischen Stadt Kobanê von einer türkischen Drohne getötet.

taz: 2016 wurde er in der Türkei wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ verhaftet.

Meish: Trotz dieser Drohungen setzte er seine Arbeit fort und spielte eine wichtige Rolle in der Berichterstattung von hier.

taz: Bei dem Angriff wurde auch die Journalistin Cîhan Bilgin getötet.

Meish: Cîhan Bilgin kam 2017 nach Rojava, um als Journalistin zu arbeiten. Sie arbeitete für die Nachrichtenagentur Hawar und war an vielen Brennpunkten des Konflikts vor Ort. Sie produzierte aber auch viele Berichte über gesellschaftliche und politische Ereignisse. Gerade die Realität der Frauen in Rojava rückte sie immer wieder ins Zentrum ihrer Berichterstattung.

taz: Und was geschah genau am Donnerstag?

Meish: Die beiden fuhren direkt am ersten Tag der Kämpfe zum Tischrin-Staudamm und zur Qereqozaq-Brücke in der Nähe von Kobanê. Seit dem 8. Dezember 2024 versuchten dort von der Türkei gesteuerte Söldner, unterstützt durch schwere Artillerie- und Luftangriffe, vorzustoßen.

taz: Mit Söldnern meinen Sie die Kämpfer der islamistischen Syrischen Nationalarmee (SNA). Der Tischrin-Staudamm liegt etwa 60 Kilometer südlich der Grenzstadt Kobanê auf dem Gebiet der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien.

Meish: Dort interviewten Nazim Daştan und Cîhan Bilgin die an den Kämpfen beteiligten Kämpfer und Kämpferinnen und machten sich selbst ein Bild von der Lage. Am 19. Dezember bombardierte die Türkei ihr Auto mit einer Drohne, als sie auf dem Rückweg von Dreharbeiten waren. Beide kamen dabei ums Leben, ihr Fahrer wurde verletzt.

taz: Bislang hat sich die Türkei ja noch nicht zu dem Angriff geäußert, auch wenn viel auf ihre Urheberschaft hindeutet. Im Sommer wurden im Nordirak drei Journalisten durch Drohnen getötet. Damals hatte die Türkei von einer Operation im Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung gesprochen. Warum werden kurdische Journalisten von der Türkei ins Visier genommen?

Meish: Seit Beginn der Revolution in Rojava sind nach der Zählung von Ronahî TV 30 Journalisten durch die Angriffe der Türkei und des IS getötet worden. Das Problem betrifft nicht nur kurdische Journalisten. Auch viele Menschen aus der arabischen Bevölkerung in dieser Region sind zum Ziel der Angriffe der Türkei geworden. Ich denke, dass der türkische Staat mit seinen gezielten Angriffen auf Journalisten versucht, diese von ihrer Arbeit abzuhalten, indem er ihnen droht und ihnen signalisiert, dass sie in Gefahr sind, wenn sie die Wahrheit ans Licht bringen.

Dies ist ein direkter Angriff auf die Pressefreiheit und die Rechte von Journalisten. Ähnlich wie der IS, will die Türkei nicht, dass jemand seine Verbrechen aufdeckt. Das macht sie ja auch in anderen Ländern. Auch in der Türkei versucht der Staat Journalisten mundtot zu machen, so wurden am Freitag, Journalisten, die gegen die Ermordung von Nazim und Cîhan demonstrierten festgenommen.

taz: Welche Rolle spielt die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien, die seit 2012 aufgebaut wurde und in Deutschland besser unter dem kurdischen Namen „Rojava“ bekannt ist in der aktuellen Situation in Syrien?

Meish: Die demokratische Selbstverwaltung könnte eine große Rolle in der aktuellen Situation in Syrien spielen. Sie hat in den letzten 12 Jahren Erfahrungen darin gesammelt, wie mit den verschiedenen Ethnien und Religionen in Syrien zusammengearbeitet und ein friedliches Zusammenleben und Kooperation hergestellt werden kann. Auch die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ist in den Gebieten der Selbstverwaltung am weitesten vorangeschritten.

Die Selbstverwaltung hat immer wieder erklärt, bereit zu sein für Verhandlungen mit den verschiedenen syrischen Akteuren, auch mit der HTS, auch wenn es unterschiedliche Weltanschauungen gibt. Und die Selbstverwaltung hat erklärt, dass ihr Ziel ein demokratisches und dezentralisiertes Syrien ist. Der Vorschlag einer landesweiten Waffenruhe und Verhandlungen über den kommenden Prozess liegt auf dem Tisch. Aber solange die Türkei und ihre Milizen die Angriffe fortsetzen, kann Syrien nicht zur Ruhe kommen und es kann keine Verhandlungen geben.

taz: Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch in der Türkei gesagt, alle Milizen in Syrien müssten entwaffnet werden. Damit wäre dann auch die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) gemeint.

Meish: Falls Annalena Baerbock diese Forderung ernst meint, wäre das eine große Ungerechtigkeit gegenüber der Selbstverwaltung. Vor dem Treffen mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan lobte sie noch den Heldenmut der Kurden gegen den IS und nannte Kobanê ein Symbol des Kampfes gegen den IS. Wenn sie wirklich die Rechte der Menschen hier schützt, warum unterstützt sie dann das Massaker der Türkei an ihnen? Die Einheiten, die laut Baerbock jetzt die Waffen abgeben sollen, machten den IS-Terroristen ein Ende, die eine große Bedrohung für die ganze Welt darstellten.

Beim türkischen Angriff auf die kurdische Region Afrin im Norden Syriens im Jahr 2018 wurde der Einsatz von deutschen Waffen, darunter auch deutsche Leopard-Panzer, dokumentiert. Die Menschen in dieser Region sind darüber sehr verärgert. Meiner Meinung nach scheinen sowohl Deutschland als auch die Türkei hier von ihrem machtpolitischen Eigeninteresse geleitet zu werden, dem die Selbstverwaltung und die Einheit der Menschen hier entgegensteht. Deutschland will die historisch guten Beziehungen zur Türkei nicht riskieren, die sich in Handelsbeziehungen, der Flüchtlingsfrage und Rüstungsprojekten zeigen.

taz: Der Deutsche Journalistenverband fordert nun Aufklärung über die Tötung von Nazim Daştan und Cîhan Bilgin. Und Konsequenzen in der Diplomatie, falls sich herausstellt, dass die Türkei sie gezielt getötet hat. Was sollte die internationale Gemeinschaft tun, um diesen Angriffen auf die Pressefreiheit ein Ende zu setzen?

Meish: Es braucht dringend internationale Untersuchungsausschüsse, die in diese Region reisen und die von der Türkei begangenen Kriegsverbrechen dokumentieren. Wäre die Türkei in der Vergangenheit für ihre Angriffe auf Journalisten bestraft worden, hätte sie es möglicherweise nicht gewagt, erneut zwei Journalisten zu töten. Wir beobachten, dass das internationale Schweigen und die Gleichgültigkeit der Türkei mehr Stärke verleihen.

Die Beweise für diese Kriegsverbrechen sollten internationalen Gerichten vorgelegt werden. Die Staaten sollten nicht nur auf die Türkei hören, und Deutschland sowie alle anderen Länder sollten keine Waffen an die Türkei verkaufen, da diese Waffen für die Tötung von Journalisten und für Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingesetzt werden. Nur so können diese Bedrohungen aus der Türkei wirksam verhindert werden.

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2 Kommentare

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  • "Ich denke, dass der türkische Staat mit seinen gezielten Angriffen auf Journalisten versucht, diese von ihrer Arbeit abzuhalten, indem er ihnen droht und ihnen signalisiert, dass sie in Gefahr sind, wenn sie die Wahrheit ans Licht bringen."



    Den Urheber dieser Misere durch brutale Gewalt in der und für die freie(n) Berichterstattung machen aktuell aber wir mit Milliarden wieder stark:



    Eine Milliarde Euro extra!



    "Wer Einfluss auf Syrien nehmen will, kommt derzeit um die Türkei nicht herum. Und so reiste EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen heute nach Ankara zu Präsident Erdogan. Dort sagte sie mehr Geld für die Flüchtlingsversorgung zu."



    Bei tagesschau.de am 17.12.24

    • @Martin Rees:

      Was haben die Türkei, Russland, Israel, Aserbaidschan gemeinsam?

      Alle diese länder haben in jüngster Vergangenheit die eigenen Landesgrenzen militärisch erweitert, Menschen vertrieben, neue Einwohner angesiedelt.

      Es gilt weiterhin das Recht des Stärkeren, was erlaubt ist entscheidet sich hauptsächlich je nach Allianzen und nich auf Basis von Gesetzen oder Moral.

      Im Falle der Flüchtlinge ist das "Geld für die Versogung" sowieso eine Fehlbezeichnung. Es müsste "Türstehergehalt" heißen.

      Ob das Geld bei den den Flüchtlingen ankommt ist der EU glaube ich ziemlich egal... hauptsache diese bleiben in der Türkei oder werden vor der Türkei aufgehalten, oder egal wo, ... hauptsache nicht "hier" oder auf dem Weg "hierher".