Journalist Georg Stefan Trollers wird 101: Selbstheilung über andere
Georg Stefan Troller wird am 10. Dezember 101. Ein Gespräch mit dem legendären Journalisten und Publizisten bei Kaffee und Kuchen.
In Paris, nach Walter Benjamin die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, wohnt im siebten Arrondissement, Dachgeschoss eines Haussmanniennes, einer der beliebtesten Porträtisten des 20. Jahrhunderts mit seinem Kater Foxy – Georg Stefan Troller.
Troller hat in seinem Leben Hunderte Filme gedreht und zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, hat Gesellschafts- und Personenbeschreibungen angefertigt, Bilder vom Leben gezeichnet, vom Alltag, von den unsichtbarsten bis zu berühmtesten Gestalten. Als junger jüdischer Emigrant ist er nach Paris, danach in die USA geflohen und hat in der amerikanischen Armee gegen die Nazis gekämpft. In seinem hundertsten Lebensjahr hat nun der Verbrecher Verlag seine frühen Texte unter dem Titel „Der Unnötige“ publiziert. Zum Anlass seines 101. Geburtstags fand dieses Gespräch bei Kaffee und Kuchen und unter Katzenaugen statt. Troller öffnet die Türe und ruft „Passen Sie auf Foxy auf, er will ins Treppenhaus!“
„Mr. Brando, I just got one question! Was fehlt Ihnen jetzt noch zum Glück?“, erzählt lachend Georg Stefan Troller. „Ich musste ihn das fragen, weil er nur eine einzige Frage beantworten wollte.“ Darauf dachte Brando einen Augenblick nach. Und gab dann zu, dass er sich in keiner Rolle so authentisch, so bei sich gefühlt habe, wie in seiner Figur als Krüppel in dem Film „Die Männer“.
Mit Fragen wie diesen wurde Troller berüchtigt. Seine Fragen forderten den Interviewten etwas ab, auf dass sie sich positionieren mussten. Mit Blick auf seine Begegnungen, hier seien nur Serge Gainsbourg, Brigitte Bardot, Audrey Hepburn oder Leonard Cohen erwähnt, wird er manchmal als Prominentenjäger dargestellt. Doch das greift zu kurz. Bei Troller finden sich Gespräche mit Menschen in allen Situationen und gesellschaftlichen Stellungen. Mit seiner zupackenden Art brachte er dann auch den Nachkriegsdeutschen Paris nahe, in seiner Sendung „Pariser Journal“.
Durch seine Methode sollten die Interviewten überrumpelt werden und sich dabei selbst auf die Schliche kommen. Das Interview, das letzten Endes ihm und nicht dem Befragten gehörte, musste wie eine Beichte sein. Im November 2022 beichtet Troller, wie er so „unverschämt“ werden konnte. Denn dies war nach eigener Aussage „keineswegs selbstverständlich, keineswegs eine Anlage“.
In Wien geboren, nach Paris geflüchtet
Georg Stefan Troller wurde am 10. Dezember 1921 in Wien geboren. Schon früh entdeckte er in sich eine „poetische Atmosphäre“, den Wunsch, das Leben und die Welt in eine Form zu bringen, die seinen Kinderträumen entsprach. So wollte er nicht seinem Vater in den Beruf des Fellhändlers folgen, sondern bekritzelte dessen Visitenkarten lieber mit seinen ersten Versen: „Kaufst Du nicht die Troller-Felle, dann erfrierst Du auf der Stelle.“
Diese frühen dichterischen Bestrebungen und erste Treffen mit Persönlichkeiten wie Hedy Lamarr wurden für Troller jedoch durch den Terror des Nationalsozialismus und die antisemitischen Schrecken gestoppt, aufgrund derer er 1939 nach Paris floh.
Paris war für Troller zuerst eine Stadt, die ihn schreckte. „Ohne Geld, ohne Bekannte, ohne Sprachkenntnisse“, musste der erst Siebzehnjährige sich durchschlagen und um sein Überleben kämpfen. Besonders gefährlich wurde für ihn die Situation im besetzten Paris, als es ihn 1940 Nacht für Nacht durch Hinterhöfe und verkommene Gegenden zog, die er nicht kannte, und er über Zäune kletterte und in fremde Häuser einstieg. Hier fand sich für ihn als Vertriebenen eine Angriffslust, die sich auch in seinen späteren Arbeiten zeigen sollte. In den gefährlichsten Situationen, wobei ihm bei einer Festnahme Auschwitz gedroht hätte, fing er „unter mondbeschienenen Wolken“ an, Paris immer wieder neu für sich zu erobern.
Nach seiner geglückten Flucht in die Vereinigten Staaten kämpfte Troller dann als einfacher Soldat und Gefangenenvernehmer in der amerikanischen Armee mit und war an der Befreiung des KZ Dachau und von München beteiligt, bei der er auch in Hitlers Wohnung eindrang. Die Jahre der Flucht und des Krieges hinterließen deutliche Spuren in Trollers Charakter. Der Verlust der Heimat und die Verachtung, die ihm als Jude entgegengekommen war, gaben ihm das Gefühl, unnötig und unbrauchbar zu sein, so erzählt er es heute. Er empfand sich als bedeutungslos und ohne Zukunft. Bis er 30 Jahre alt war, dachte er, ein Flop zu sein. Dabei schaut Troller ganz ernst und spricht in seiner klaren und überlegten Art: „Wissen Sie, was das ist, ein Flop?“
In den Nachkriegsjahren versuchte Troller zuerst, die Erlebnisse seiner Jugend in dichterische Form zu bringen, und begann dann seine Lehrjahre beim Rundfunk. In einem Jahrzehnt führte er dort über 1.000 Interviews. Mit diesen begann ein langer Prozess der Selbstheilung, bei dem der schüchterne und menschenscheue Troller lernen musste, wie man bei Menschen ankommt. Allein, nur das Aufnahmegerät unter dem Arm geklemmt, musste er Situationen herstellen, in denen Interviewte, die häufig unbeeindruckt waren, für ihn Interesse gewannen. Dafür setzte er seine Fantasie ein. Der junge Troller begann rücksichtslos zu fragen, zu philosophieren und auch zu erfinden, um die Gesprächspartner zu Geständnissen zu bringen.
Diese Lehrjahre intensivierten sich mit einem Telefonanruf zu Beginn der 1960er. Bei Troller meldete sich ein Herr vom WDR und fragte, ob er sich zutraue, die Sendung „Pariser Journal“ zu übernehmen. Es hatte schon ein paar Folgen davon und eine kleine Katastrophe gegeben: Der bisher zuständige Filmemacher hatte nämlich das gesamte Budget auf dem Pigalle durchgebracht. Bei dieser Geschichte blickt Troller auf und gesteht: „Hatte noch nie vom,Pariser Journal' gehört, wusste nicht einmal, wovon er redet. Und ich sagte, selbstverständlich, kein Problem!“
Die Kunst des Interviews
Hier startete für Georg Stefan Troller eine neue Form der öffentlichen Wirksamkeit. Das „Pariser Journal“ mit seiner Einschaltquote von fast fünfzig Prozent wurde ein riesiger Erfolg, der besonders von den Kommentaren und Interpretationen Trollers gezeichnet war. Über die Möglichkeit, Paris „trollerisch gedeutet“ darstellen zu können, fand der Autor Anerkennung und Selbstbestätigung. Der einst so Menschenscheue entdeckte in sich die dichterischen Bestrebungen seiner Kindheit wieder, seine Umwelt in eine ihm entsprechende Form umzugießen. Vergleichbar dem Montagebegriff Walter Benjamins, brachte er durch seine Einschmelzung von Ton, Bild und Kommentar Gesellschaftsdarstellungen hervor, die gleichzeitig real und poetisch wirkten.
Paris wurde auf diese Weise sein „Brotlaib“, den er auf der Straße, im Schneideraum und nachts am Schreibtisch knetete und in Form brachte. Hier konnte er auch die Schrecken seiner Pariser Emigrantenzeit verarbeiten. Er konnte das, was in ihm lag, in das Journal und später in seine „Personenbeschreibungen“ einfließen lassen und so „zum Teil seiner poetischen Welt“ machen. „Verdammt noch mal, so war es doch“, poltert es in seiner Pariser Wohnung aus Troller heraus und er schlägt auf die Stuhllehne. Auch heute merkt man ihm noch deutlich an, wie er seine Horrorerlebnisse durch die Fernsehsendungen verarbeitet und sich so Paris zu eigen gemacht hat.
Die Arbeiten für das Fernsehen stillten aber auch noch eine andere Sehnsucht in ihm. Als Verachtetem und Vertriebenem, als Jude aus der Heimat gejagt, entsprachen seine Fernseharbeiten einem Kinderwunsch. Nach dem Realismus der Nachkriegsjahre brachte er mit dem „Pariser Journal“ ein Stück Romantik in die Bundesrepublik, eine neue Stimmung. „Und nur Kinderwünsche bringen Erwachsenenerfolge.“
Auf sein Jahrhundert zurückblickend, erzählt Georg Stefan Troller, dass er, der nie mit sich zufrieden war, jetzt im hohen Alter eine Art von Eintracht mit sich selber gefunden habe. Er durfte in den letzten Jahren immer noch Bücher veröffentlichen, zuletzt im Oktober 2022 „Der Unnötige“, erschienen im Verbrecher Verlag. Hier finden sich seine ersten Geschichten und literarische wie poetische Versuche, die als „Urquell“ seiner späteren Entwicklung gelten können. Aktuell schreibt Troller auch eine monatliche Kolumne in der „Literarischen Welt“ und empfindet diese Tätigkeit als befriedigend.
Eine Sorge plagt ihn aber noch: vergessen zu werden, wie es so vielen seiner Zeitgenossen geschehen ist, obwohl man doch die schönsten Bücher geschrieben und eindrucksvollsten Bilder gedreht hat.
Kater Foxy hat sich inzwischen mitten in die Manuskripte gelegt und schläft. In die Stille sagt Troller: „Da ich ja doch immer wieder von den Medien angesprochen werde, so hab ich das Gefühl, ich bin nicht total verschwunden und habe mich nicht umsonst angestrengt.“ Zuletzt bringt Troller einen selbst zur Tür und ruft: „Schreiben Sie, wenn Sie wieder in Paris sind!“
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