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Jens Bisky über historische VergleicheWie Weimar ist die Gegenwart?

Auf Demos und im Bundestag wird vor Verhältnissen wie kurz vor 1933 gewarnt. Aber was bringt der Vergleich? Fragen an den Weimar-Experten Jens Bisky.

Ein historischer Tag? Am 31. Januar 2025 beschlossen AfD, FDP und CDU gemeinsam einen Antrag zur Migrationspolitik Foto: Liesa Johannssen/reuters
Kersten Augustin
Interview von Kersten Augustin

taz: Herr Bisky, Sie haben ein Buch geschrieben über das Ende der Weimarer Republik. Haben Sie zur Zeit oft Déjà-vus?

Jens Bisky: Ja, ständig! Die hatte ich schon beim Schreiben: 1929 protestieren Bauern, eine „nationale Opposition“ formiert sich, Wirtschaftsverbände kritisieren die teuren Sozialversicherungen. Das Haushaltsdefizit wächst, darüber zerbricht die Koalitionsregierung unter Hermann Müller, die letzte Regierung mit parlamentarischer Mehrheit in der Geschichte der Republik.

taz: Auch die Ampel ist an einem Haushaltsstreit zerbrochen. Und während wir für dieses Interview zusammensitzen, stimmt die CDU erstmals mit der AfD für ein Gesetz im Bundestag.

Bisky: An Weimar erinnert mich das Entschlossenheitsgetue nach den Morden in Aschaffenburg, die Absage ans Reden, an Kompromisse. Grundlage einer freiheitlichen Ordnung sind dauerndes Geplapper und Kompromisssuche. Aber ich bin mir sicher, dass es damit nach dem 23. Februar weitergehen wird. Ich unterstelle Merz nicht, dass er mit der AfD koalieren will. Das ist ein großer Unterschied zu rechten Parteien am Ende der Weimarer Republik. Die Deutschnationale Volkspartei etwa hat unter Alfred Hugenberg eine obstruktive Oppositionspolitik, eine radikale Zerstörungspolitik betrieben.

Im Interview: Jens Bisky

geboren 1966 in Leipzig, ist Germanist und Kulturwissenschaftler. Sein Buch „Die Entscheidung. Deutschland 1929 bis 1934“ ist im vergangenen Oktober im Rowohlt-Verlag erschienen (640 Seiten, 29,99 Euro).

taz: Friedrich Merz bemüht den Weimar - Vergleich sogar selbst: Einmal 1933 reicht, hat er gesagt. Warum macht er das?

Bisky: Er ist ja damit nicht allein. Der Weimar-Vergleich ist umso erfolgreicher, je ungenauer er ist. Es geht Merz wohl darum, ein diffuses Gefühl anzusprechen. Ich habe nichts gegen Vergleiche, es geht nicht ohne sie, aber man muss genau sein.

taz: Dann versuchen wir das mal. 1929 ist die Weimarer Republik relativ stabil, die SPD ist stärkste Kraft, die NSDAP landet bei den Wahlen auf dem sechsten Platz. Vier Jahre reichen dann, um die Republik zu zerstören.

Bisky: Die damalige Dynamik ist noch im Rückblick überraschend, ein Strudel, in dem das politische System untergeht. Der Sozialdemokrat Carl Severing forderte das Kabinett auf, die Deckungsvorlagen in den Reichstag einzubringen, es darauf ankommen zu lassen, „in offener Feldschlacht zu fallen“.

taz: Offene Feldschlacht – so wie die FDP es geplant hatte, um die Ampel-Regierung zu sprengen. Noch ein Déjà-vu also?

Bisky: Vor allem ein Beleg für die Beliebtheit militärischer Metaphern. Und danach wird mit Heinrich Brüning ein Kanzler installiert, der auf den Reichspräsidenten Hindenburg zählen kann, der die Regierungspolitik mit Notverordnungen durchsetzt – gegen das Parlament. Brünings autoritärer Regierungsstil bediente eine verbreitete Sehnsucht.

taz: Nach Brüning kam im Frühjahr 1932 Franz von Papen, als Kanzler eines reaktionären Präsidialkabinetts. Er warb um die Zustimmung der NSDAP, er wolle die Nazis zähmen, hieß es. Manche sehen darin Parallelen zu Friedrich Merz heute.

Bisky: Papen hat das SA-Verbot aufgehoben. Es gibt dazu keine Parallele in der Gegenwart. Und was heißt „zähmen“? Soweit ich sehe, hat Papen kaum praktische Schritte zur Zähmung unternommen. Das ist ein Entschuldigungswort.

taz: Von Papen stammt der Satz, man müsste Hitler in die Ecke drücken, bis er quietscht.

Vergleichen kann man alles, aber wer die Unterschiede übersieht, wird blind für das Neue, die Gegenwart.

Jens Bisky

Bisky: Den Satz aus dem Januar 1933 verbindet jeder mit Papen. Aber er hat damals nicht einmal versucht, Hitler auch nur die Ecke zu zeigen, in die er ihn drängen wollen würde. Die strategische Initiative lag bei den Nationalsozialisten. Unterstellt man Papen eine Zähmungsabsicht, ist er gescheitert. Doch es war ihm viel wichtiger, die SPD und alle „Marxisten“ aus Machtpositionen zu verdrängen, die Republik zu zerstören. Dabei war er außerordentlich erfolgreich.

taz: Noch eine Ähnlichkeit zu damals: Auch heute verstärkt eine Wirtschaftskrise den Rechtsruck.

Bisky: Die Wirtschaft der Weimarer Republik schwächelte bereits, bevor in New York die Börse crashte. Anfang 1930 gab es dann etwa 3 Millionen Arbeitslose, Ende 1930 ist der Hunger zurück in Deutschland. Und Hunger ist etwas anderes, als die Inflation im Supermarkt zu spüren.

taz: Da hört das Déjà-vu also auf ?

Bisky: Es gab viel weniger soziale Absicherung als heute. Ich schreibe im Buch über eine kommunistische Familie aus dem Wedding. Da wird der Pullover für den Vater auf Kredit gekauft. Man lebte also von der Hand im Mund, von Woche zu Woche, ohne Rücklagen, Notgroschen. Dann brach 1931 das Weltfinanzsystem zusammen, und die nationale Opposition gewann immer mehr Wähler.

taz: Sie sagen, man dürfe die organisatorische Leistung der NSDAP nicht unterschätzen: Sie schaffte es schnell, zu einer Volkspartei für alle Berufsgruppen zu werden. Hätte man die Partei verbieten können?

Bisky: Sie war ja nach dem Bierkeller-Putsch 1923 verboten. Dann hat man sie – ein Beispiel für die ungeheure Liberalität der Republik – wieder zugelassen. In einzelnen Ländern aber galt für Hitler weiterhin ein Redeverbot. 1932 wurde die SA verboten. Daraufhin sank die Zahl der Toten durch politische Gewalt sofort. Doch Franz von Papen hob als erstes das Verbot der SA wieder auf. Er und die Reichswehrführung glaubten, man brauche diese bewaffneten jungen Leute, um die Grenzen zu schützen. Viele rechneten damit, dass Polen Deutschland überfallen werde.

taz: Nochmal, hätte man die NSDAP verbieten können?

Bisky: Gewiss, aber die tatsächliche Entwicklung war doch eine gegenteilige. In Thüringen und Braunschweig koalierten die bürgerlichen Parteien bereits 1930 mit den Nazis, deren Radikalität viele faszinierte, die von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilten. Gewalt, Antisemitismus und Abrechnungsrhetorik standen dem nicht im Wege.

taz: Damals wie heute gibt es eine Sehnsucht nach Disruption bei Konservativen. Friedrich Merz träumt von Politik per Dekret an Tag eins wie sein Vorbild Donald Trump. Wie kam es am Ende von Weimar zu diesem Vertrauensverlust der Bürgerlichen in die Demokratie?

Bisky: Zum Bürgertum gehörte immer auch die Lust am Antibürgerlichen. Bei Merz sehe ich das nicht. Der CDU aufgrund von Analogieketten faschistische Tendenzen zu unterstellen, scheint mir falsch und obendrein eine große politische Dummheit. Ende der zwanziger Jahre stehen im bürgerlichen Lager, wenn man das so grob vereinfachend sagen will, jene, die eine Diktatur herbeiführen wollen, eine neue, aus dem Geist der Frontkameradschaft entstehende politische Ordnung, gegen andere wie etwa Thomas Mann, die außenpolitisch für Aussöhnung mit den Kriegsgegnern werben und innenpolitisch für Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten.

taz: Nicht nur bürgerliche Parteien, auch Unternehmer hatten ihren Anteil am Ende der Weimarer Republik. Was lockte sie nach rechts?

Bisky: Die Wirtschaftsverbände haben das Ihre zum Ende der Republik beigetragen, aber keine einheitliche Strategie verfolgt. Fritz Thyssen, Emil Kirdorf oder Albert Vögler musste niemand nach rechts locken, sie unterstützten früh die extreme Rechte. Feindschaft gegen die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften spielte eine entscheidende Rolle. Aber auch ein Großindustrieller wie Paul Silverberg, der 1926 zur Zusammenarbeit mit der SPD aufgerufen hat, suchte dann am Ende der Republik eine neue Massenbasis für das kapitalistische Wirtschaftssystem – bei den Nationalsozialisten.

Taz: Warum wandten sich Unternehmen von der liberalen Republik ab?

Bisky: Die zögerliche Bejahung der Republik war aus der Not der Kriegsniederlage geboren. Am Anfang stand ein Kompromiss zwischen Unternehmern und Gewerkschaften. Der wurde 1929 aufgekündigt. „Aufstieg oder Niedergang“, so hieß eine Denkschrift des Reichsverbands der Deutschen Industrie. Der beispiellose Wirtschaftseinbruch und die Lähmung der parlamentarischen Arbeit schlossen ein „Weiter so!“ aus. Im Kern ging es um einen Verteilungskonflikt: Wer zahlt für die Niederlage im Krieg? Wer trägt die Kosten der Krise? Unter ganz anderen Bedingungen stellen sich heute – nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, angesichts der Klimakatstrophen und der Rezession – ähnliche Fragen.

taz: Heute sind Rechtsextreme sehr wirtschaftsliberal. Elon Musk macht Wahlwerbung für die AfD, Deutschlands einflussreichster Verleger sucht seine Nähe. Wann beg a nnen sich die Reichen in der Weimarer Republik für die NSDAP zu interessieren?

Bisky: Es gab frühe Unterstützer Hitlers, auch in der Wirtschaft. In München und Berlin öffnen vermögende Gattinnen den Nazis die Türen der Salons. Der Ausdruck, man macht jemanden „salonfähig“, überschätzt die Sauberkeit von Salons. Aber wir haben heute keine Wirtschaft, die gegen die politische Ordnung des Landes agitiert. Wir haben auch keine große Unterstützung für die AfD an den Universitäten. Die Unis waren schon Mitte der 1920er Jahre für die Republik verloren.

Taz: Ist der Vergleich zwischen NSDAP und AfD deshalb falsch?

Bisky: Vergleichen kann man alles, aber die AfD ist nicht die NSDAP; wer die Unterschiede übersieht, wird blind für das Neue, die Gegenwart. Die AfD war eine Gründung bundesrepublikanischer Eliten aus der zweiten Reihe. Sie hat immer wieder versucht, sich als bürgerliche Partei zu inszenieren. Die Nazis verachteten die bürgerliche Welt. Die AfD unterhält keine Privatarmee wie die SA. Nachzudenken wäre darüber, warum es im vergangenen Jahrzehnt nicht gelungen ist, den Aufstieg der AfD aufzuhalten.

taz: Auch gegen den Aufstieg der NSDAP fanden die politischen Kräfte, die die Republik stützten, kein Mittel.

Bisky: Unter viel dramatischeren Umständen. Der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, Reichskanzler von 1930 bis 1932, setzte auf Austeritätspolitik, was die Wirtschaftskrise verschärfte. Die SPD beschränkte sich darauf, den Sozialstaat, den Rechtsstaat und ihre Machtpositionen – vor allem in Preußen – zu verteidigen. Das war nicht wenig, aber die Sozialdemokratie blieb in der Defensive.

taz: Damit beschreiben sie die strategische Hilflosigkeit der SPD. Ist es eine Gefahr, wenn Sozialdemokratie nur den Status quo verteidigt und der Veränderungswille von rechts kommt?

Bisky: So allgemeine Merksätze stimmen ja meistens nur halb. Was bedeutete „Status quo“ angesichts der Notverordnungen des Reichspräsidenten, mitten im Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems? Gewiss, es war ein Fehler, dass die SPD 1932 die Wiederwahl Hindenburgs unterstützte und auf einen eigenen Kandidaten für das Amt des Reichspräsidenten verzichtete; dass sie dann ohne Programm zur Überwindung der Wirtschaftskrise in den Wahlkampf ging; dass sie sich auf den angekündigten Staatstreich, den Preußenschlag, nicht angemessen vorbereitete. Schaut man sich die konkreten Situationen, die Zwänge und Handlungsmöglichkeiten genau an, verliert man rasch die Lust an spätgeborener Besserwisserei. So einfach ist es nicht, zu sagen, was man hätte anders machen können.

taz: Ja, was?

Bisky: Aus guten Gründen entschied sich die SPD im Herbst 1930, den Reichskanzler Brüning zu tolerieren. Andernfalls hätte es Neuwahlen und sehr wahrscheinlich noch mehr Stimmen für NSDAP und KPD gegeben.

taz: Ein Dilemma.

Bisky: Ja, aber wenn man sich für die Tolerierung entscheidet, muss man überlegen, wie man da wieder rauskommt.

taz: Hat die SPD also staatspolitische Verantwortung verwechselt mit: Wir machen weiter wie bisher?

Bisky: Ich will dann doch eine Lanze für staatspolitische Verantwortung und die SPD der Weimarer Republik brechen. Sie hat es im Bündnis mit dem Zentrum und den Liberalen geschafft, nach der Niederlage im Krieg eine freiheitliche Ordnung mit einem starken Sozialstaat aufzubauen und das Land halbwegs zu befrieden. Das war eine größere Leistung als all die revolutionären Phrasen, die dagegen vorgebracht wurden. Was hätte die SPD denn 1930 tun sollen? Ihre Anhänger bewaffnen? Und dann? Die klügste Kritik an der strategischen Ratlosigkeit stammte übrigens von Sozialdemokraten. Die SPD war damals, was gern vergessen wird, eine intellektuelle Großmacht.

taz: Kurt Tucholsky machte sich 1930 über die Strategie der SPD gegen die Nazis lustig: „Der Vorstand hat mit Stimmenmehrheit beschlossen, über die jetzigen innenpolitischen Zustände sehr entrüstet zu sein.“ Da denke ich an Rolf Mützenich im Bundestag, wie er betont empört reagiert, nachdem die CDU mit der AfD gestimmt hat.

Bisky: Tucholsky ist ein bisschen unfair, aber er trifft einen Punkt. Es hat politisch wenig Sinn, dauerempört zu sein. Empörung muss sich in politische Strategien übersetzen. Das sollte man nach zwölf Jahren AfD verstanden haben. Wähler erwarten politische Handlungsmacht, Entrüstung bedeutet Ohnmacht.

taz: Im Reichstag saßen bis zu 14 Parteien. Bei der kommenden Bundestagswahl könnte jeder fünfte Wähler eine Partei wählen, die nicht im Parlament vertreten ist , d azu kommen die Nichtwähler. Ist die Weimarer Republik auch an dieser Ze rsplitterung kaputt gegangen ?

Bisky: Nein, das war nur einer unter vielen Faktoren und keineswegs der entscheidende. In den letzten Jahren der Republik gab es eine ungeheure demokratische Mobilisierung: Jung- und Erstwähler strömten an die Urnen, Nichtwähler gingen plötzlich wählen. Die Wahlbeteiligung war hoch, obwohl ständig gewählt wurde.

taz: Die Weimarer Republik ist also nicht an ihrer Verfassung gescheitert.

Bisky: Nein, sie ist zerstört worden durch Leute, die sie zerstören wollten. Und daran, dass alte Eliten gesagt haben: Mit den Linken wollen wir nichts mehr zu tun haben, wir versuchen das mal mit dem Kabinett Hitler. Die NSDAP hatte großen Zuspruch, aber nicht die Mehrheit hinter sich. Im Januar 1933 kam eine faschistische Koalition an die Macht. Dazu gehörten die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten. Im ersten Kabinett Hitler waren die Nazi-Minister in der Minderheit.

taz: Wenn Sie mit dem Wissen über das Ende der Weimarer Republik auf die Gegenwart schauen, sehen Sie die Demokratie in Deutschland bedroht?

Bisky: Ich schreibe im Buch meistens von der Republik, nicht von der Demokratie. Ich halte Rechtsstaatlichkeit und Liberalität für viel bedrohter als die Demokratie. Auch die AfD will das Modell Orban, eine illiberale Demokratie.

taz: Wann ist ein Weimar- V ergleich denkfaul und wann hilft er weiter?

Bisky: Man beschäftigt sich mit Geschichte, um bessere Fragen an die Gegenwart zu stellen. Dumm scheint mir der Weimar-Vergleich, wenn er bloß Alarmismus oder rhetorischer Aufrüstung dient.

taz: Das Problem am Weimar-Vergleich ist: Wir wissen, was danach geschah. Für die Gegenwart wissen wir nicht, über welche Momente man in einigen Jahren sagt – das war der entscheidende Moment. Macht Ihnen das Angst?

Bisky: Nein. Ich rechne, erst recht nach der Arbeit an diesem Buch, immer mit dem Schlimmsten – um Illusionen zu vermeiden. Ansonsten empfehle ich republikanische Gelassenheit.

taz: Hätte die Weimarer Republik eine Chance gehabt?

Bisky: Ja. Die Leute waren damals auch nicht dümmer als wir heute. Die Niederlage der Republikfreunde war nicht unvermeidbar.

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24 Kommentare

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  • Bei der Betrachtung der Weimarer Republik fehlt völlig ein Drittel: die KPD und deren unselige Rolle in ihrem Kampf gegen die Weimarer Republik wo sich die KPD sogar soweit entblödete und, wie im Volksentscheid gegen den SPD geführten Landtag, gemeinsame Sache mit der NSDAP zu machen.

    Allein da zeigt sich aber auch schon, wie groß die Unterschiede sind.

    Wir haben heute vor allem demokratische Parteien und eine sehr stabile Demokratie. Die Gefahr geht von rechts aus, aber nicht mehr in Form einer Ersetzung der Demokratie sondern in der Nutzung der Demokratie für die Umsetzung rechtspopulistischer Ziele.

  • Gäb viel zu sagen. Brüning/Kempner vermißt



    (“Mein größter Fehler!“)



    &



    “Vergleichen kann man alles, aber die AfD ist nicht die NSDAP; wer die Unterschiede übersieht, wird blind für das Neue, die Gegenwart. “ das läßt sich hieda&dorten Johnson & Co immer wieder konstatieren.



    “Die Geschichte ist lediglich eine Überraschungsliste. Sie kann uns nur darauf vorbereiten, aufs Neue überrascht zu sein.“



    Kurt Vonnegut



    (ps aE sind Faschisten 2.0 keine- weil’m Zähler irgendein Fliegenbein fehlt! Wollnich -,🙀🥳🧐 )



    “taz: Hätte die Weimarer Republik eine Chance gehabt?

    Bisky: Ja. Die Leute waren damals auch nicht dümmer als wir heute. Die Niederlage der Republikfreunde war nicht unvermeidbar.“

    kurz - Da! Liegt die Latte & nicht bei den Abwieglern “ …um Illusionen zu vermeiden. Ansonsten empfehle ich republikanische Gelassenheit.“ …anschließ mich

  • 1919 wurde in einem Hotel in Schwarzburg in Thüringen von Ebert und seinen Kabinettsgenossen die Weimarer Verfassung unterzeichnet.



    Die Haltung Eberts, Scheidemanns und Noskes den darin erstmals genannten Grund- und Menschenrechten gegenüber - nachlesbar z.B. bei Engelmann, 'Die Republik die keiner wollte' - war durchaus zwiespältig. Sie hätte wohl der Erwähnung bedurft, wenn es um das Scheitern der SPD/Arbeiterbewegung geht. Davon abgesehen, sind die Thesen Biskys gut nachvollziehbar und zutreffend.

  • Bisky: Er (Merz) ist ja damit nicht allein. Der Weimar-Vergleich ist umso erfolgreicher, je ungenauer er ist.



    ===



    Nach der historischen Recherche von Jens Bisky müsste es dann nicht heissen: --- Der Weimar-Vergleich ist umso erfolgreicher, (hinsichtlich der Verhinderung der Machtergreifung eines neuen Faschismus ) --- je genauer er ist?

    Wenn ich Bisky richtig verstanden habe geht es ihm in der Hauptsache um die Ursachen des Zusammenbruchs der Konstitution der Weimarer Republik - trotzdem die NSDAP in der letzten Regierung der WR noch nicht einmal die Mehrheit hatte.

    Entsprechend hat der parlamentarische Rat nach 1945 die Konstitution der Bundesrepublik entwickelt - wie sich unschwer an der Verfassung erkennen lässt.

    Warum aber Teile der Bevölkerung überhaupt die NSDAP gewählt haben und bereits 1930 in der Landesregierung Thüringens Teil der Koalition waren -- darauf gibt Bisky nur wenig Hinweise.

    Da Forschungsergebnisse berichten, das aktuell der Anteil von AFD Wählern gerade dort am höchsten ist wo auch die NSDAP ihre Machtbasis hatte wäre ein Vergleich der Motive der NSDAP Wähler mit den AFD Wählern aktuell genau das was heute dringend benötigt wird.

    • @zartbitter:

      "Da Forschungsergebnisse berichten, das aktuell der Anteil von AFD Wählern gerade dort am höchsten ist wo auch die NSDAP ihre Machtbasis hatte"

      In der ehemals sozialistischen DDöR?

      • @Rudolf Fissner:

        Ehemalige Hochburgen von NSDAP Wählern korrelieren mit den Regionen heute in denen die AfD auf dem Wahlzetteln steht:

        Das passiert zum 1. Mal in der Nachkriegsgeschichte, das eine Partei sich als entschieden rechts verortet, aber gesellschaftlich akzeptierter ist als andere, extremere Parteien, die es zuvor gab.

        Merkwürdigerweise: Diese anderen Parteien – noch stärker rechts oder neonazistisch – weisen eine viel geringere Korrelation mit dem Stimmenanteil der NSDAP auf.

        www.davidecantoni....draft_20200512.pdf

        Die Studie interpretiert Ergebnisse im Kontext kultureller Persistenz, die gezeigt hat, dass Normen und Werte oft ihre Wurzeln in einer fernen Vergangenheit haben und über Generationen hinweg weitergegeben werden. Solche Normen und Werte – z. B. Vertrauen gegenüber Fremden, Geschlechterrollen oder Antisemitismus – haben einen unmittelbaren Einfluss auf eine breite Palette sozialer und wirtschaftlicher Einstellungen.

        Die Korrelation zwischen früherer Nazi-Unterstützung und gegenwärtiger AfD-Unterstützung im Jahr 2017, als die AfD sich als rechtspopulistische, fremdenfeindliche Plattform formte & darstellte, ist stark und signifikant.

  • Die derzeitige Kritik an der AfD, insbesondre die Kritik der Straße, zielt auf die Gleichsetzung der AfD mit Nazi und Faschismus ab. Sie erscheint dadurch sehr vielen unwirklich und kommt eher wie eine Diffamierungskampagne daher. Ich glaube das ist das größte Problem. Es wird mit einer Scheinwirklichkeit eine Brandmauer errichtet, die dazu führt, dass viele Menschen beginnen an der Demokratie zweifeln. Es wird im Bundestag versucht die Stimmen von demokratisch gewählten Abgeordneten zu eliminieren, indem man ihnen kein Recht einräumen will für Mehrheiten zu sorgen oder in einem für oder wider bei Abstimmungen beteiligt zu werden. Nach Vorstellung der SPD und der Grünen soll mittlerweile das Abstimmungsergebnis feststehen um überhaupt etwas zur Abstimmung zu bringen, weil sonst ja die falschen Stimmen den Ausschlag geben könnten. Das fühlt sich nicht mehr nach Demokratie an und daher bin ich Merz dankbar, dass sie von dieser Art abgewichen sind und die Debatte aus den Hinterzimmern zurück ins Parlament gebracht haben inkl. Abstimmung.

    • @Arno Dittmer:

      Danke, das ist sehr gut auf den Punkt gebracht.

    • @Arno Dittmer:

      Irre, da glaubt wirklich jemand dieser verdrehten Logik. Wer in den vielen Jahren der AfD-Existenz die Rechtsextremen darin noch nicht gefunden hat: selbst Justiz und Verfassungsschutz kennen die mittlerweile. Augen auf und durch

  • Die einen befürchten die große Überfremdung, Andere warnen vor dem wirtschaftlichen Totalbankrott, für die Nächsten steht der dritte Weltkrieg vor der Tür und wieder Andere sehen uns kurz vor der vor der Ausrufung des vierten Reiches. Wenn uns was eint, dann isses die gute alte German Angst.

    • @Deep South:

      Könnte man meinen, wenn es nicht auch auf viele andere europäische Länder zutreffen würde

    • @Deep South:

      Die Redewendung German Angst suggeriert ja, dass es sich um eine typisch deutsche, etwas spinnerte und möglicherweise paranoide Haltung handelt, die kommt und die wieder geht, während das Befürchtete, in seinen schlimmsten Prognosen jedenfalls, auf keinen Fall eintritt.



      Das Interview mit Bisky über Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs des Endes der Weimarer Demokratie mit unserer heutigen Situation ist in der Tat geeignet, derartige Ängste zu zerstreuen. Und es ist ja eine Binse, dass sich historische Konstellationen nie 1:1 wiederholen.



      Wer aber das Interview genauer liest, wird feststellen, dass Bisky keinesfalls Entwarnung gibt, was die Gefahr eines erneuten Siegeszugs des Faschismus betrifft. Voraussetzungen und Akteure sind nur andere als 1933, die Ursachen, die damals in die Katastrophe führten, sind zum Teil dieselben. Wir müssen nur gründlicher und genauer hinschauen.

  • Es geht hier um mehr als um Rechte gefahr. Es geht um gefahr durch Wirtschaftsnazis. Ähnlich den "Robber Barons" aus düsterer Vergangeheit der USA versucht die CDU bereits Arbeitsschutz zu demontieren, so dass neben Mietwucher auch Arbeitswucher entsteht. Mehr Gewinn für Unternehmer wird uns als alternativlose Methode präsentiert, wie Deutschland "gerettet" werden kann. Jede Umsetzung solcher Praktiken und menschenverachtender Ideale wird zu einer Gewaltspirale führen, ob gegen Migranten, Frauen, Andersartige. Doch dafür bietet die CDU ein weiteres Fläschen Heilmittel. Mehr Polizei die strenger durchgreift, natürlich nur gegen illegale Migranten. Die Partei, die Angst und Panik vor Sozialismus schürt ist dabei die Demokratie von Innen auszuhöhlen, denn die Basis einer Demokratie kann nur ein nicht erzürntes Volk sein. Alles andere führt zu radikal irrationalen Ergebnissen wie bei der kommenden Wahl.

  • Natürlich ist die Bundesrepublik Deutschland nicht Weimar. Aber in der AFD tummeln sich sehr viele Menschen, die eine hartgesottene rechtsradikale Einstellung haben und Kontakte und Netzwerke mit anderen zum Teil ausgesprochen gewalttätigen Rechten unterhalten. Und natürlich liefern sich KPD und SA keine Straßenschlachten, aber es gab die Baseballschlägerjahre und die Gewaltkriminalität der Rechten ist hoch. Außerdem haben die Rechten gelernt. Sie spielen in manchen Landesteilen die Kümmerer und die AFD ist der legale Arm einer äußerst gewalttätigen rechten Szene. Die AFD ist der Wolf im Schafspelz und wenn sie an der Macht sind, ist das was Trump veranstaltet kalter Caffee dem gegenüber.

  • Starkes Interview.

  • Aus meiner Sicht ein interessantes, weil differenziertes u. substanzielles Interview. Ein Aspekt für das Erstarken der NSDAP



    läßt sich vielleicht noch hinzufügen, der Bestandteil seit Beginn der



    Partei war: der Antisemitismus, der über die NSDAP bis weit in



    alle bürgerlichen Schichten einschließlich Adel verbreitet war, der



    den Juden alle staatsbürgerlichen Rechte bereits im Programm 1928



    absprach. Die Ausgrenzung der Juden und später aller, die nicht bei



    der NSDAP oder ihrer Unterorganisationen mitmachten und damit



    nicht zur sog. Volksgemeinschaft gehörten zum Kern der NSDAP.



    Die Ausgrenzungsrethorik in unser heutigen Debattenkultur ist



    deshalb besorgniserregend.

  • Ob wir heute dümmer sind als damals, ist wohl eher rhetorisch gemeint. Jedenfalls ist das Duo Merz/Brüning schon bemerkenswert. Auch die Millionen-Industriespenden an die AfD belegen, dass sich die Zerstörer/Vertreiber bestens verstehen. Wir haben die Wahl zwischen Vertreibungs- und Integrationsparteien.

  • Dieses Interview macht nachdenklich. Es ist höchst interessant und man kann daraus sehr viel lernen. Vielen Dank dafür.

  • Gutes und interessantes Interview. Danke an Herrn Bisky und an Herrn Augustin.

  • Toller Artikel und schön ausführlich! Und sachlich. Und spannend.



    Danke.



    Heutzutage scheinen mir viele der etablierten Parteien zuerst an die Macht kommen zu wollen und das Manipulieren des Wählers steht im Vordergrund, nicht seine Interessen. Sie haben eine Burggraben-Mentalität entwickelt, sind immer weniger zu Kompromissen fähig und verlieren den Überblick über das große Ganze ...

  • Ich weiß, was der Vergleich bringt, und alles andere als hinkt.



    Er soll warnen und mahnen. Und er erlaubt, sollte Deutschland autoritär werden, mit den Fingern auf andere zu zeigen, um zu sagen, wir hatten euch alle gewarnt, und ihr seid mit Schuld, weil ihr es nicht verhindert habt.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Ja, richtig, dennoch halte ich dagegen: die russische autokratische Oligarchie eines Putin, die neoliberal-technologisch-autokratischen Ordnungsvorstellungen eines Musk, Trump, Milei, deren unterschiedliche, teils widerstreitende nationale europäische Versionen (Le Pen, Meloni, Wilders, Orban, AfD, FPÖ usw.) - auch ich subsumiere das alles gerne unter Faschismus -, ist das alles vergleichbar mit dem schrecklichen Zivilisationsbruch, den der Nationalsozialismus mit sich brachte?



      Freilich weiß auch ich nicht, wohin das noch alles führt.

      • @Abdurchdiemitte:

        Schleichend ist der neue Stil, schließlich fallen die Toten weniger auf, wenn sie an schwachen Sozialstaaten krepieren. Wobei Putin und Trump/Musk da offensichtlich rabiater sind.

        Der Punkt ist ja nicht, dass sie so schlimm sind wie die echten Nazis, sondern dass sie teils offensichtlich einen Weg eingeschlagen haben, der in die selbe Richtung führt.

        Es wurde viel getan, damit der Holocaust einzigartig bleibt. Eine Garantie hat aber niemand.

        • @TV:

          „Schleichend ist der neue Stil, schließlich fallen die Toten weniger auf, wenn sie an schwachen Sozialstaaten krepieren.“



          Seien Sie froh, dass ich Ihre Kapitalismuskritik grundsätzlich teile - wäre ich Ihnen da nicht wohlgesonnen, würde ich sagen, Ihr Satz könnte auch auf eine schlimme Relativierung der Shoa hinauslaufen (von wegen „neuer Stil“).



          Die Toten, die die kapitalistische Ökonomie hervorbringt, sind zu beklagen und es ist dieses menschenverachtende System anzuprangern. Aber niemals ist ein Vergleich mit dem Zivilisationsbruch des Holocaust gestattet. Hier müssen die Grenzen des Vergleichs oder gar einer Gleichsetzung trennscharf gezogen werden.