Jazzfest Berlin: Der Klang der Felsen
Geschlechtergerechtigkeit ist selten Programm auf Festivals. Das Jazzfest Berlin präsentiert nun erstmals zur Hälfte Frauenbands.
Die Gleichung ist eigentlich einfach: Vielfalt auf der Bühne sorgt auch im Publikum für Vielfalt. Doch von diesem Erfolgsrezept scheinen die meisten Akteure der Jazzszene in Deutschland noch weit entfernt, auch wenn in viele Programmgestaltungen inzwischen Bewegung gekommen ist.
Zu übermächtig sind jahrzehntelang eingeübte und in homosozialen Kreisen zelebrierte Rituale von Kennerschaft, Ausgrenzung weniger erfahrener ZuhörerInnen und das Anschmachten vermeintlich männlicher Charakteristika des Jazz wie kraftstrotzendes Spiel, umwerfende Bühnenpräsenz und die schier grenzenlose Kreativität des Geniemusikers, der sich opfert für seine Kunst. Aber mal ehrlich – was ist langweiliger als dieses allzu bekannte Potenzgetöse vor einem durch und durch homogenen Publikum?
Die lange und durchaus ehrenwerte Tradition deutscher Festivals und Rundfunkanstalten, afroamerikanische Musiker für Konzerte und Aufnahmen einzuladen, entsprang der verbreiteten Zuschreibung, nur Schwarzen sei der Jazz eigen. Das führte paradoxerweise zu keinen grundlegenden Überlegungen, wie mehr Vielfalt auf und vor der Bühne erreicht werden könnte. Das Jazzfest Berlin, das am 3. November beginnt, präsentiert nun sowohl bedeutende afroamerikanische ProtagonistInnen des Jazz als auch Bands von Frauen, welche die Hälfte des Programms ausmachen.
Am wenigsten Aufhebens darum macht der künstlerische Leiter Richard Williams selbst, weil die Ausdrucksmittel und künstlerische Überzeugungskraft von Jazzmusikerinnen ihren Kollegen natürlich in nichts nachstehen und die internationale Auswahl an Bands von Frauen inzwischen riesig ist. Doch von gleichberechtigter Teilhabe am Konzertleben und gleichen beruflichen Aussichten kann für Frauen im Jazz noch keine Rede sein.
Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters wird das Jazzfest am 3. November eröffnen. Das kann als prominente Wertschätzung geschlechtergerechter Programmgestaltung verstanden werden. Sie hat auch die Studie zu „Frauen in Kultur und Medien in Auftrag gegebenen, die der Deutsche Kulturrat durchführte. Das seit Juni vorliegende Ergebnis hält sehr ernüchternde Fakten bereit.
Sämtliche Jazzmusikerinnen komponieren
Demnach liegt das Jahresdurchschnittseinkommen von Jazzmusikerinnen bis zu 25 Prozent unter dem ihrer Kollegen. Der Frauenanteil unter Studierenden der Fächer Jazz und Popularmusik ist in zwanzig Jahren hingegen um erfreuliche 8 Prozent gestiegen. Die Kategorien, die der Studie zugrunde liegen, lassen jedoch die wichtige Tatsache außen vor, dass sämtliche Jazzmusikerinnen auch komponieren, ihr Anteil gegenüber Komponistinnen in der klassischen und zeitgenössischen Musik ist bereits heute signifikant höher.
Nur in Deutschland haben sie nicht die gleichen Chancen wie Männer, ihre Musik zu präsentieren, was an fehlenden kulturpolitischen Instrumenten zur Förderung der Sichtbarkeit von Frauen im Konzertleben liegt, an mangelnder Vernetzung und nicht zuletzt an der Abwertung pädagogischer Tätigkeiten gegenüber der freien Entfaltung des Berufsmusikers.
In anderen Ländern Europas profitieren Frauen von gezielten Initiativen für mehr Vielfalt. Die britische Trompeterin Yazz Ahmed, die am 4. November beim Jazzfest auftritt, wurde von tomorrow’s warriors gefördert, einer Organisation, die junge JazzmusikerInnen aus der afrikanischen Diaspora beim Start in die Berufslaufbahn begleitet.
Tomorrow’s warriors bietet eigene Programme wie das Female Collective an, in dem Mädchen und junge Frauen ihre Spieltechniken weiterentwickeln und sich als Bandleaderinnen ausprobieren können. Ahmed nahm an einem Austauschprogramm mit MusikerInnen aus Schweden teil und bekam Kompositionsaufträge für das Jugendorchester von tomorrow’s warriors.
Ihr Septett Family Hafla verbindet im Namen (Hafla, arabisch, bedeutet „Fest“) und in der Musik die gemeinsame Feier vielfältiger klanglicher Sinnesreize von Trompete und Bassklarinette mit Schlagzeug, Perkussion und Vibrafon, sowie mit E-Piano und Bassgitarre, eine durchaus ungewöhnliche Besetzung.
Beständige Transformation
Während Ahmed Einflüsse aus der arabischen Musik in tradierte Gestaltungsformen des Jazz einspeist und den Sound der Jazz Fusion der späten 60er Jahre auf ihre Weise interpretiert, nahm sich die Pianistin Eve Risser ein außermusikalisches Vorbild, um erstmals für ein großes Ensemble zu komponieren. Die Gesteinsformationen des Bryce Canyon in Utah/USA veranlassten sie, eine eigenständige Klangarchitektur zu entwerfen, in welcher sich auch der emotionale Eindruck der Felsen entfaltet.
Rissers 11-köpfiges White Desert Orchestra, mit dessen Konzert am 6. November das Jazzfest endet, ist ein sich beständig transformierender Organismus aus Stimmen der Holzblasinstrumente Fagott, Flöten, Saxofone und Bassklarinette, die von Trompete und Posaune ergänzt werden und mit Schlagzeug, Gitarre und Bass zu abenteuerlichen und poetischen Expeditionen aufbrechen.
Die Balance zwischen Improvisation und Komposition, individuellen Impulsen und kollektiven Tönungen, Anstiftung des Orchesters und Zurückhaltung zugunsten unvorhergesehener Ereignisse gelingt Eve Risser so atemberaubend, dass sich der Genuss des Konzerts von dessen Rahmenbedingungen zu lösen vermag.
Für solche Erlebnisse gilt es, Räume zu schaffen, die Menschen gleich welchen Geschlechts, welcher Herkunft, welchen Alters und welcher Erfahrungen auch immer offenstehen. Auf dem Weg zu mehr Vielfalt in den Clubs und Konzertsälen ist die gezielte Einbindung von Frauen auf der Bühne ein erster Schritt.
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