Jazz-Festival in Pandemiezeiten: Halle statt Muschel

Nach 25 Jahren unter freiem Himmel geht das Hamburger Festival „Jazz Open“ nach drinnen. Wegen Corona kostet es nun erstmals Eintritt.

Das Musikduo Exit Universe, bestehend aus Susana Sawoff und Raphael Meinhar

Melancholisches zwischen Indie und Neoklassik: Das Duo Exit Universe Foto: Hanna Fasching

Es hätte so idyllisch werden können: Unter sich verfärbenden Kastanienbäumen nähmen Pärchen aller Altersklassen Platz, auf der Rasenfläche fläzten sich Familien auf Decken. Die Luft im Park wäre spätsommerlich warm, ein Hauch des Sprühnebels der Wasserspiele wehte dem Publikum links der Bühne ins Gesicht. Auf selbiger: Fusion, Bop, Surf, Blues, Funk und Gospel. Eben alles, was man unter Jazz verstehen kann.

Die „Jazz Open“ im Hamburger Park „Planten un Blomen“ sind eine Institution geworden. Bei freiem Eintritt konnte man 25 Jahre lang allsommerlich mit Tausenden anderen Zuschauer*innen hochklassige Live-Musik vor der Konzertmuschel erleben, mit einem Fokus auf Hamburger Künstler*innen. Die Pandemie hat den Veranstalter*innen vom Jazzbüro Hamburg jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht: kein Jazz im Park im Jahr 2020.

„Wir wollen so viel wie möglich in die Kunst stecken“, sagt Mücke Quinckhardt, als Geschäftsführerin dafür verantwortlich, Stadt, Klubs und Musiker*innen zu verknüpfen. „Aber der Sicherheitsaufwand in Planten un Blomen wäre in diesem Jahr viel zu hoch gewesen. Es wäre doch absurd: Die Kosten für Absperrungen, Security und pandemiegerechte Durchführung wären doppelt so hoch wie der künstlerische Etat.“

Exil unter Kerzenleuchtern

Also geht das Jazz Open 2020 ins Exil, in die Halle 424 im Hamburger Oberhafen. Wer die ehemalige Stückgut-Umschlaghalle nicht kennt: Von den Deichtorhallen kommend an der Oberhafenkantine links abbiegen, links halten und nach 300 Metern links eintreten.

Dort, eingerahmt von Kerzenleuchtern und maritimer Dekoration, veranstalten Ela Krause und Mitstreiter*innen seit einigen Jahren Jazz- und Kammerkonzerte. Ein Hygienekonzept wurde längst entwickelt und kommt beim Jazz Open zum Zuge: maximal 60 Zuschauer*innen pro Konzert, danach wird gut durchgelüftet. Erstmals werden die sechs Konzerte Eintritt nun aber auch kosten.

„Jazz Open“: Sa., 5. 9., und So., 6. 9., Halle 424, Stockmeyerstr. 41, Hamburg. Programm auf www.jazzbuero-hamburg.de

„Wir wollen und müssen das machen“, sagt Quinckhardt. „Was übrig bleibt, geht in unser Jazz-Open-Special.“ Das begleitende Klubfestival ist bereits am 31. August gestartet und läuft bis zum 13. September. Überall in Hamburg finden nun wieder Konzerte statt. Da das Geld der zumeist nicht sehr zahlreich zugelassenen Zuschauer*innen gerade einmal die Produktionskosten abdeckt, zahlt das Jazzbüro den Bands Gagenzuschüsse. Zum Beispiel den Jazzern um den Pianisten Benjamin ­Schaefer, die am 10. September ganz in dr Nähe, in der Hanseatischen Materialverwaltung, Songs von Bert Kaempfert und den Beatles covern.

Optisch unorthodox, klanglich mit Wucht

Gegenüber, in der Halle 424, bestreiten nun zwei etablierte Musiker am Samstagnachmittag den Jazz-Open-Auftakt. Vladyslav Sendecki ist seit 1996 Pianist der NDR Bigband, Jürgen Spiegel seit 2003 Schlagzeuger beim Tingvall Trio. Ein auch optisch unorthodoxes Duo, dessen ungewöhnliche Besetzung für einen wuchtigen Klang zwischen Pop, Klassik und Jazz sorgt.

Für das Abschlusskonzert am Sonntagabend konnte man zwei gebürtige Österreicher*innen gewinnen. Exit Universe sind ein melancholisches Duo zwischen Indie und Neoklassik, das vom Kontrast zwischen den sphärischen Vibrafon-Sounds von Schlagwerker Raphael Meinhardt und dem einfühlsamen Gesang von Pianistin Susana Sawoff lebt. „Susana kommt eigentlich aus Graz“, so Quinckhardt. „Mit dem Jazz-Open-Konzert kommt sie endlich auch in der Stadt an, in der sie seit zehn Jahren lebt. Wir gemeinden sie damit ein.“

Internationale Gäste hat die Organisatorin angesichts der seit Monaten bestehenden Reise-Unsicherheiten nicht buchen wollen. Dafür hat sie einen gebürtigen Kubaner geladen: Leandro Saint Hill, seit mehr als 20 Jahren in Havighorst bei Hamburg lebend. Quinckhardt: „Der kubanische Jazz ist in Hamburg wenig präsent. Und diese Band mussten wir einfach haben!“

Der Saxofonist und Flötist Saint-Hill kommt mit einem Danzon- und Rumba-geschulten Quartett, zu dem auch der bekannte Bassist Omar Ro­driguez Calvo gehört. Saint Hill wird sein just erschienenes Album „Cadencias“ vorstellen, dessen Veröffentlichung sich durch Corona um mehrere Monate verzögerte. Weitere Künstler*innen: Christin Neddens’ Orange Line, das Mischa Schumann Trio und das Lisa Wulff Quartett.

Die Veranstalterin kocht selbst

Bei den Jazz Open geht es durchaus familiär zu. Statt Cateringfirmen für die Künstler*innen sorgen zu lassen, kocht Mücke Quinckhardt eigenhändig Suppen und backt Brownies: „Ohne die geht es gar nicht!“ Quinckhardt, die seit 20 Jahren für das Jazzbüro arbeitet, scheidet nach dem Festival als Geschäftsführerin aus, „im besten Einvernehmen“, wie sie sagt. „Ich bin dem künstlerischen Gedanken stets mehr verbunden gewesen als dem verwalterischen. Und zu dem Job gehört jede Menge Lobby­arbeit. Ich möchte der Kultur verbunden bleiben, aber künftig mehr Performing Arts produzieren.“

Allzu ausladende Performances sind bei den Jazz Open angesichts Corona-bedingter Tanzverbote nicht zu erwarten. Bei Redaktionsschluss war das Festival dennoch beinahe ausverkauft. Alle Konzerte lassen sich jedoch auch live unter hamburg.stream verfolgen, der Radiosender NDR Info wird für eine spätere Ausstrahlung aufzeichnen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.