Unternehmer über Veranstaltungsbranche: „Das Sterben wird kommen“
Die Kultur- und Eventbranche steckt wegen Corona in einer tiefen Krise. Am Mittwoch demonstriert sie in Bremen für ihre Rettung.
taz: Wie schlecht geht es der Veranstaltungsbranche in Bremen, Herr Meyer?
Thorsten Meyer: Die Lage ist überall in der Branche sehr schwierig. Die Reserven der Betriebe gehen langsam zur Neige. Und die Bereitschaft, weitere Kredite aufzunehmen und sich so weit zu überschulden, wird immer geringer. Die Unternehmen können gar nicht den Umsatz generieren, den sie brauchen, um all das zurückzuzahlen. Die Margen beispielsweise der Konzertveranstalter sind so gering, dass sie Jahrzehnte bräuchten, um das wieder aufzufangen. Und wir können unsere Veranstaltungstechnik nach der Krise auch nicht drei Mal so teuer machen, weil sich das sonst keiner mehr leisten kann. Für den Privatkunden wäre es dann fast unmöglich, noch eine Hochzeit oder dergleichen auszurichten.
Mussten Sie einen Ihrer sieben Mitarbeiter entlassen?
Ich wollte einen Mitarbeiter zu Beginn der Krise entlassen. Aber dann hätte ich gleich schon große Probleme bekommen – weil ich seinen Lohn hätte weiterzahlen müssen. Derzeit ergibt es keinen Sinn, Leute zu entlassen, weil innerhalb der Kündigungszeit kein Kurzarbeitergeld gezahlt wird.
Brauchen Sie eine andere Lösung für das Kurzarbeitergeld?
Ja! Das ist eine unserer Hauptforderungen.
Wie groß ist die Veranstaltungsbranche in Bremen?
43, führt einen Dienstleistungsbetrieb für Veranstaltungstechnik mit sieben Mitarbeiter*innen, der momentan still steht. Er ist Organisator dem Demo #Alarmstufe Rot in Bremen
In Bremen sind 80 bis 90 Betriebe betroffen, die direkt von der Veranstaltungswirtschaft leben. Allerdings sitzen die meisten Dienstleister aus dem Messebau im Umland – dann ist Niedersachsen zuständig, obwohl ihr Markt in Bremen liegt. Das macht es in Bremen wie auch in Hamburg schwer, kommunale Lösungen zu finden. Bundesweit reden wir von 1,5 Millionen Mitarbeitern in der Messe- und Eventbranche, die knapp 130 Milliarden Euro Gesamtumsatz pro Jahr erwirtschaften. Zusammen mit der Kultur- und Kreativbranche sind es sogar rund 2,5 Millionen Beschäftigte mit einem Umsatz von knapp 250 Milliarden. Wir sind in vielen Branchen zu Hause – das erschwert auch die Verhandlungen mit der Politik.
Erwarten Sie eine Welle der Insolvenz?
Die Regeln für die Branche werden von der Bundesregierung ja gerade immer wieder neu gestrickt, das verschiebt das Problem aber nur. Noch gibt es keine Insolvenzwelle bei uns, ein paar Betriebe hat es aber schon getroffen. Das große Sterben wird dann mit einem großen Paukenschlag kommen.
Sind alle in der Branche gleichermaßen betroffen?
Alle – außer denen, die im Bereich digitale Medien schon sehr weit vorne sind. Die haben gerade Zuwächse. Am Ende der Krise werden die dann aber auch Probleme bekommen – weil sie gar nicht alle Nachfragen zeitgleich werden bedienen können.
Was würden Ihnen konkret helfen?
Die Branche hat dafür immer wieder auf eigene Kosten Konzepte entwickelt. Die Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Die Linke) hat uns auch signalisiert, dass darüber nachgedacht wird, wie man der Branche gezielt helfen kann. Unser Ansinnen ist es, gemeinsam mit der Politik herauszufinden, wo konkret subventioniert werden muss, damit bei möglichst vielen zielgerichtete Hilfe auch ankommt. Unser Problem ist die Zeit: Wir haben lange Planungszeiträume. Was jetzt entschieden wird, wirkt sich also erst in zwei, drei Monaten aus. Wir wissen heute schon, dass wir bis in den November hinein kaum Geschäft haben werden. Deswegen müssen wir jetzt mit der Politik reden.
Ist denn von den 1,2 Milliarden Euro aus dem Bremen-Fonds etwas bei Ihnen angekommen?
Nein. Die meisten Betriebe klagen darüber, dass auch das neue Konjunkturpaket der Bundesregierung sogar große Probleme verursacht, weil die meisten Kosten, die bei uns anfallen, da ausgeklammert worden sind. Deswegen haben auch Betriebe mit Millionenumsätzen kaum fünfstellige Beträge bekommen. Die realen Kosten der Veranstaltungsbranche wurden gar nicht berücksichtigt. In Bremen gibt es zwar sehr viele staatlich geförderte Kulturbetriebe, die öffentliche Gelder erhalten. Die haben zwar eine Überlebenschance – aber Angst, dass ihre Zulieferer wegfallen.
In Berlin bekommen Clubs im Schnitt 81.000 Euro vom Senat. Wäre das auch eine Lösung für Bremen?
Es gibt hier ja ein Förderprogramm zur Neugestaltung der Clubs – dann aber macht man die Läden eben noch mal schön hübsch, bevor man sie an die Wand fährt. Wenn die Miete nicht bezahlt werden kann, nutzen auch neue Toiletten nichts. Das ist ein großes Problem.
Fordern Sie Lockerungen der Coronaregeln für Ihre Branche?
Nein, und das unterscheidet uns auch von vielen anderen. Wir haben die staatlichen Schutzmaßnahmen immer gutgeheißen. Unser Leitsatz ist: Safety first. Wir setzen auf kreative Lösungen. Der Staat muss dann aber auch kommunizieren: „Wenn die was machen und wir das absegnen, dann machen die es richtig und dann muss auch kein Gast Angst haben.“ Viele Besucher sind ja schon sehr verunsichert – und kommen schon deshalb nicht, auch wenn es wieder Veranstaltungen gibt.
Demo: #AlarmstufeRot zur Rettung der Veranstaltungswirtschaft, Mittwoch, 19. August, 11:30 Uhr, Leibnizplatz
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