Japanische Popmusik aus den 1980ern: Im Zeitalter der Silberlinge
„Heisei no Oto“ ist eine hervorragend zusammengestellte Compilation mit wundersamen und eingängigen japanischen Popsongs aus den 1980ern.
In Amsterdam weiß man, wie das mit Wiederveröffentlichungen funktioniert. Das dortige Label Music from Memory hat sich in den letzten Jahren spezialisiert auf das Ausgraben und Wieder-zugänglich-Machen längst verloren geglaubter Schätze.
Zu Recht sind die beiden Macher Tako Reyenga und Jamie Tiller stolz auf Compilations mit Namen wie „Outro Tempo“ und „Deviant Paths“. Hier wurde einmal die elektronische Musikszene Brasiliens, ein anderes Mal schräger, groovender europäischer Underground-Pop aus der Versenkung gehoben. Vieles davon war einst nur in Kleinauflagen erschienen, längst in Sammlungen verschütt gegangen oder galt gar als verschollen.
Wer das Programm des Labels aufmerksam verfolgt, dem wird eine gewisse Japanophilie nicht entgangen sein. Auch aus Nippon barg man Schätze, etwa von der Band Dip in the Pool und vom Techno-Veteranen Kuniyuki Takahashi. „Heisei No Oto: Japanese Left-Field Pop from the CD Age (1989–1996)“ – hinter diesem sperrigen und doch deskriptiven Titel steckt eine gleich in mehrfacher Hinsicht sehr interessante Auswahl an Musik made in Fernost.
Einen offensichtlichen roten Faden, wie etwa ein gemeinsames Instrumentarium oder gar ein vereinendes Genre, sucht man hier erst mal vergeblich. Die 16 beziehungsweise 17 Songs (CD- und Vinyl-Version unterscheiden sich in der Anzahl), die hier verquickt werden, sind zuvorderst Kinder ihrer Zeit.
„Mutant Pop“
Während sich in den Achtzigern japanische Kultur auch im Westen durchsetzte – in Form von Spielkonsolen, Mario und Tetris, Anime-Serien immer beliebter wurden und selbst Haruki Murakamis Literatur in den Bücherregalen landete – schaffte es J-Pop so gut wie nie. Obgleich die japanische Musikindustrie stets sehr betriebsam und wie eine gut geölte Maschine lief, hinterließ sie nur in absoluten Nischen nachhaltig Spuren und zeigte sich sonst geradezu immun gegenüber Erfolg in den USA und Europa.
Verschiedene KünstlerInnen: Heisei No Oto – Japanese Left-Field Pop From The CD Age (1989-1996) (Music From Memory/Rough Trade)
Weitestgehend unbeachtet liefen Presswerke auf Hochtouren, die selbst randständigen Postpunk wie von der Tokioter Band Mariah hunderttausendfach verkaufte. Das mangelnde Interesse des Westens, gepaart mit der Entwicklung der Compact Disc, sollte in der Folge zu einer ganz eigensinnigen Szene führen, die pop-musikalischen Experimenten zugetan war. Man frönte den (Klang-) und Speicher-Möglichkeiten der Silberlinge.
Der geringere Preis und die längere Laufzeit trieben seltsame, aber superspannende Blüten. Ob nun als „Left-Field Pop“ betitelt, wie hier, oder auch als „Mutant Pop“ bezeichnet, wie auf einer zeitgleich erscheinenden Compilation des US-Labels Light in the Attic: Diese spektakuläre Phase findet endlich ihren Weg in den Westen.
Zusammengestellt von zwei Plattenladenbesitzern und Musiknerds aus Osaka, Eiji Taniguchi und Norio Sato, kann man mit „Heisei No Oto“ auf Entdeckungsreise gehen: Sie beginnt mit Jun Satos „Lorang“ und man steckt knietief in New-Age-Gewässern mit Panflöten-Sounds und Quellenmetaphorik. Schon bei „Miko“ von Fumihiro Murakami löst sich der esoterische Touch wieder auf und die Wolken verschwinden in einem langsam trudelndem Dunstraumschiff – irgendwie spacey und naturverbunden zugleich.
Nur vom begriffsfaulen Westen aus wirkt dies alles wie „Außenseiter-Musik“; tatsächlich spielen hier Größen der Szene eine Rolle: Haruomi Hosono vom Yellow Magic Orchestra wirkte gleich bei mehreren Tracks mit, der Jazzmusiker Yasuaki Shimizu spielt bei „Phlanged Vortex“ ein dringliches Saxofonsolo in der Nachbarschaft von primitivistischen Dschungel-Sounds. Und selbst der schottische Songwriter Momus ist vertreten. Wer also wissen möchte, wie es in Japans CD-Playern klang, ist mit der Compilation „Heisei No Oto: Japanese Left-Field Pop from the CD Age (1989–1996)“ gut aufgehoben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Tod von Gerhart Baum
Einsamer Rufer in der FDP-Wüste
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?