Jamel in Mecklenburg-Vorpommern: Ein nationalsozialistisches Musterdorf
In der Nacht auf Donnerstag ist die Scheune der Lohmeyers abgebrannt – der letzten Familie, die in dem braunen Ort gegen Nazis kämpft.
„Wir hatten Glück“, sagt Birgit Lohmeyer der taz. Wäre der Wind stärker gewesen, hätten Funken das knapp sechs Meter entfernte Wohnhaus erreicht. Birgit Lohmeyer ist sicher: „Der Brand hat einen rechtsextremen Hintergrund.“ Ein Urlaubsgast der Lohmeyers will kurz vor dem Feuer eine unbekannte Person auf dem Anwesen bemerkt haben. Auch die Polizei glaubt an Brandstiftung, der Staatsschutz ermittelt. Denn es ist nicht der erste Angriff auf die Lohmeyers. Sie wurden angepöbelt, bedroht, verfolgt. „Der Brand“, sagt Birgit Lohmeyer, „ist aber etwas Neues. Dieses Mal ging es um Leib und Leben.“
Jamel liegt zwischen Wismar und Grevesmühlen und wird von Rechtsextremen um den ehemaligen NPD-Kader Sven Krüger dominiert. In der Ortsmitte stand bis 2011 ein Finkelstein mit der Aufschrift „Dorfgemeinschaft Jamel – frei – sozial – national“, ein Wegweiser schilderte den Weg nach Braunau aus, der Geburtsstadt Hitlers. Fast alle Häuser reihen sich entlang einer einzigen Straße, am Ende das der Lohmeyers. Es steht auf einem 7.500 Quadratmeter großen Parkgrundstück mit alten Bäumen und Obstwiesen.
Schon bei der Anfahrt über die schmale Dorfstraße konnte die Feuerwehr die Flammen sehen, die von der Fachwerkscheune aufstiegen. Das Wohnhaus kühlte sie mit Wasser ab, Fenster zerbrachen. „Die ganze Nacht waren wir wach. Zum Nachdenken sind wir noch nicht gekommen“, sagt Birgit Lohmeyer mit fester Stimme. Sie wirkt gefasst. „Der Schock kommt wohl später.“
Rechtsextreme in sieben von zehn Häusern
2004 zog das Ehepaar – sie Autorin, er Musiker – nach Jamel. Sie wussten, worauf sie sich einließen, dass von den zehn Häusern im Ort sieben von Rechtsextremen bewohnt waren.
Seit 2007 richten sie jedes Jahr ein Open-Air-Festival aus: „Rock den Förster“. 2010 drangen Rechtsextreme auf das Gelände, verletzten einen Besucher. „Wir haben hier das Glück, sozusagen, dieses nationalsozialistische Musterdorf vor der Haustür zu haben, was wir den Menschen zeigen können und sagen können: Da geht es hin, wenn wir nicht aufpassen.“
Der Weg zum „nationalsozialistischen Musterdorf“ begann vor rund 25 Jahren. Ostern 1992 feierten über 120 Rechte im Haus von Sven Krüger Hitlers Geburtstag. „Heute räuchern wir euch aus“, drohten sie Nachbarn. Deren Hühner wurden auf dem Gartenzaun aufgespießt. Der damalige Bürgermeister der Gemeinde Gägelow, Fritz Kalf (SPD), musste sein Haus mit zwei Bekannten und einer Schrotflinte schützen, als die Rechtsextremen es angriffen und Fenster, Türen und ein Auto zerstörten. Die Familie zog weg.
1996 brannte ein Haus, 2003 ein anderes. Vor Ort soll Krüger, der auch wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, mehrere Häuser für Kameraden gekauft haben. In Jamel startete er seine Karriere als Abrissunternehmer. Das Logo seiner Firma ziert der Spruch: „Jungs fürs Grobe“. Ein Mann mit einem Hammer zerschlägt etwas, das einem Davidstern gleicht. In Grevesmühlen kaufte er ein weiteres Gebäude für rechtsextreme Gruppen. Die NPD hat dort ein Bürgerbüro.
Ausgezeichnet für Zivilcourage
2011 verurteilte das Landgericht Schwerin Krüger wegen gewerbsmäßiger Hehlerei und illegalem Waffenbesitz zu vier Jahren und drei Monaten Haft. Vor der Verurteilung gab er sein Amt im NPD-Landesvorstand und sein Mandat im Kreistag Nordwestmecklenburg ab. Die Szene blieb ihm treu. 2012 erschien eine Soli-CD für ihn und seine Familie: „Jamel scheißt auf den Förster“.
Die Lohmeyers haben viele Preise erhalten. Jedes Mal folgten Drohungen. Vor Kurzem wurde bekannt, dass sie wieder ausgezeichnet werden sollen, mit dem mit 10.000 Euro dotierten Georg-Leber-Preis für Zivilcourage. Horst Lohmeyer glaubt, dass das der Grund für den neuen Brand ist. Beim nächsten „Rock den Förster“ am 28. und 29. August soll der Preis übergeben werden. Die Lohmeyers freuen sich darauf.
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