Jahreswirtschaftsbericht präsentiert: Habeck sucht den Reformbooster
Der Jahreswirtschaftsbericht erwartet für Deutschland nur ein Mini-Wachstum. Insbesondere arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollen Aufschwung bringen.
Bereits vor der Veröffentlichung wurde bekannt, dass die Regierung im Bericht ihre Wirtschaftsprognose gesenkt hat. Ging sie im Herbst von einem Wachstum von 1,3 Prozent für 2024 aus, sind es nun nur noch 0,2 Prozent. 2023 ist die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent gesunken. Schrumpft sie auch zu Jahresanfang, befindet sich Deutschland laut Definition in einer Rezession.
Die Bundesregierung macht im Jahreswirtschaftsbericht nun zehn Handlungsfelder auf, in denen sie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit weiter tätig werden will. Am konkretesten wird sie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Auch die Bürokratie soll abgebaut, Investitionen gefördert und die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen verbessert werden.
Insbesondere Finanzminister Christian Lindner hatte Erwartungen an den Jahreswirtschaftsbericht geweckt. Durch die wirtschaftspolitische Debatte sei der Bericht „politisch aufgewertet“ worden, erklärte der FDP-Politiker Anfang Februar im Handelsblatt. Vorangegangen war ein öffentlicher Schlagabtausch zwischen Lindner und Habeck.
Einig über das ob, uneinig über das wie
Zwar sind sich beide Minister einig, dass Unternehmen mit Steuernachlässen geholfen werden soll. Aber wie genau das geschehen soll, darüber herrscht Streit: Habeck schlug jüngst in einer Bundestagsrede die Schaffung eines Sondervermögens vor, mit dem Steuervergünstigungen im großen Stil finanziert werden sollten. Doch Lindner lehnt wie die Union neue Schulden in Form eines Sondervermögens oder gar einer Reform der Schuldenbremse ab. Der FDP-Politiker schlug stattdessen die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags vor. Dies sieht Habeck wiederum kritisch.
Dieser Konflikt wurde bisher noch nicht beigelegt. „Nach den Jahren im Krisenmodus mit expansiven Fiskalimpulsen unterliegt die Finanzpolitik im Jahr 2024 wieder der regulären Obergrenze für die Nettokreditaufnahme“, heißt es nun im Jahreswirtschaftsbericht. Zugleich behalte die Bundesregierung die konjunkturelle Entwicklung und Aspekte der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage im Blick.
Auch der von den Unternehmen beklagte Fachkräftemangel treibt die Bundesregierung um. Denn die Konjunkturflaute hat sich bisher noch nicht auf den Arbeitsmarkt niedergeschlagen. Im Gegenteil: „Die demografische Alterung schwächt das Arbeitsangebot und damit die Wachstumsdynamik Deutschlands“, heißt es in dem Jahreswirtschaftsbericht. Deswegen will die Bundesregierung die Erwerbstätigkeit von Frauen fördern. „Die Bundesregierung prüft, wie mit einer bezahlten Freistellung nach der Geburt für den Partner oder die Partnerin der Mutter (Familienstartzeit) die partnerschaftliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter vorangebracht werden kann“, heißt es im Bericht. Auch soll ausgelotet werden, wie man Senior*innen länger im Erwerbsleben halten sowie Geflüchtete mittels eines „Job-Turbos“ schneller in den Arbeitsmarkt integrieren kann.
In den vergangenen Wochen wurden auch aus der Wirtschaft Rufe nach Maßnahmen immer lauter. „Unser Land braucht jetzt eine neue Agenda und einen großen wirtschaftspolitischen Wurf, der langfristig Vertrauen und damit neue Investitionen auf breiter Front erzeugt“, erklärte am Mittwoch der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauerverbandes VDMA, Thilo Brodtmann. Dazu gehörten eine echte Unternehmenssteuerreform, die Deregulierung des Arbeitsmarkts mit längeren Arbeitszeiten, eine harte Deckelung der Lohnnebenkosten auf 40 Prozent und ein echter Abbau von Bürokratie.
Union blockiert Wachstumschancengesetz
Auch die Union nutzte die Möglichkeit, um in die Diskussion einzugreifen. „Neben mittel- und langfristigen Maßnahmen zur Stärkung der strukturellen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist jetzt ein Paket aus Sofortmaßnahmen notwendig, um den Standort Deutschland zu sichern und zu stärken“, schrieben CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt jüngst in einem Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD). Darin forderten sie zwölf Maßnahmen, die ihrer Meinung nach den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken. Neben der Deckelung der Lohnnebenkosten sowie härteren Sanktionen gegen Bürgergeld-Beziehende sollen dies unter anderem die Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes sowie die Absenkung der Unternehmenssteuer sein.
Wie dies finanziert werden soll, lässt die Union bisher offen. Im Bundesrat blockiert sie das Wachstumschancengesetz, mit dem die Ampel-Koalition ursprünglich Unternehmen in Höhe von sieben Milliarden Euro jährlich steuerlich entlasten wollte. Doch für eine Zustimmung forderte die Union im Gegenzug die Rücknahme der Kürzungen bei den Subventionen für den Agrar-Diesel. Eine Sitzung des Vermittlungsausschusses, in dem über den Konflikt beraten wurde, fand am Mittwochabend nach Redaktionsschluss statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“