Jahrestag des russischen Angriffskriegs: Das ist keine Solidarität

Eine Friedensbewegung, die ukrainische Stimmen ausblendet, ist nicht viel wert. Besser wäre es, Ge­nos­s:in­nen vor Ort ernstzunehmen.

Teilnehmer einer Friedens-Demonstration stehen zu Beginn der Demonstration mit Fahnen und Transparenten zusammen. Auf einem Schild ist die Aufschrift "Frieden mit Russland" zu sehen. Einem bundesweiten Aufruf der Friedensbewegung zu einem Aktionstag gegen den Krieg in der Ukraine und für Abrüstung sind am Samstag in Hamburg Hunderte Menschen gefolgt.

Vielleicht sollte man erst die Ukrai­ne­r:in­nen fragen, welchen Frieden sie überhaupt wollen Foto: dpa

Am Freitag wird es genau ein Jahr her sein, seitdem Putin mit seinen ausgewachsenen Angriffskrieg begann, der ein unvorstellbares Maß an Tod und Zerstörung über die Ukraine brachte. Doch auch ein Jahr nach Beginn des Krieges haben viele Linke in Deutschland immer noch Schwierigkeiten, sich gegenüber Russlands Aggression zu positionieren. Angesichts des festgefahrenen Stellungskriegs, der täglich hunderte Tote auf beiden Seiten fordert, wachsen Zweifel, ob die immer größer werdenden Waffenpakete den Krieg nicht nur unnötig in die Länge ziehen.

Dementsprechend klingen die Forderungen nach Verhandlungen und einem Ende der Waffenlieferung, wie sie Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer in ihrem „Manifest des Friedens“ stellen zunächst einmal verständlich. Kritisieren sollte man Schwarzer und Wagenknecht nicht, weil sie Frieden durch Verhandlungen wollen, so realistisch oder unrealistisch das auch sein mag, sondern weil sie einen anderen kapitalen Fehler begehen: Sie blenden die ukrainische Stimmen, die die am meisten unter dem Krieg leiden, komplett aus.

Gerade in geopolitisch unübersichtlichen Situation hilft es, einfach mit den Ge­nos­s:in­nen vor Ort zu sprechen und auf ihre Einschätzung der Lage zu vertrauen: „Viele Linke in Westeuropa scheitern daran, eine klare Position gegen den Aggressor Russland einzunehmen und Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zu zeigen. Forderungen nach einem Stopp der Waffenlieferungen oder dass,beide Seiten ihre Waffen niederlegen' sollen sind eine grobe Fehleinschätzung der Umstände des russischen Angriffskriegs“, heißt es in dem Aufruf des antiimperialistischen und antikapitalistischen Blocks der „Full-Scale Freedom“ Solidaritätsdemo des ukrainischen Diaspora-Vereins Vitsche, die anlässlich des Jahrestages stattfinden wird.

Gerade linke Ak­ti­vis­t:in­nen, ethnische Minderheiten und LGBTQI hätten unter russischer Besatzung alles zu verlieren und seien deshalb aktiver Teil des Widerstands, den es zu unterstützen gilt, so die In­itia­to­r:in­nen (Freitag, 24. Februar, 16 Uhr, Karl-Marx-Allee 34).

Imperialistische Flashbacks

Es ist wenig überraschend, dass es in Wagenknecht und Schwarzers Manifest in erster Linie um die Sorge der deutschen Bevölkerung über einen möglichen Atomkrieg geht und wie man diese Gefahr mit territorialen Zugeständnissen über die Interessen der Ukrai­nie­r:in­nen hinweg abwenden kann. Eine Friedensbewegung, die ernst genommen werden will, muss mit der ukrainischen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Russlands imperialistische Ambitionen wecken Erinnerungen an das 19. Jahrhundert, in dem es für die europäischen Nationalstaaten selbstverständlich war, sich fremde Territorien durch militärische Gewalt anzueignen. Einen Höhepunkt dieser Machtspiele stellt die Kongokonferenz von 1885 in Berlin dar, bei der die Grundlage für die Aufteilung Afrikas durch die europäischen Kolonialmächte gelegt worden ist. Die koloniale Unterwerfung des Kontinents war geprägt von Sklavenhandel, Unterdrückung und Genozid und forderte zahllose Opfer – auch Deutschland war maßgeblich am kolonialen Projekt beteiligt.

Trotz der unvorstellbaren Gewalt mit der das Kaiserreich seine Gebiete beherrschte, findet diese Epoche kaum Beachtung in der deutschen Erinnerungskultur. Das Komitee für ein Afrikanisches Denkmal in Berlin (KADIB) ruft deshalb jährlich zum Jahrestag des Endes der Kongokonferenz zu einem Gedenkmarsch für die Hel­d:in­nen und Opfer der Mafaa auf. Der Begriff kommt aus dem Kiswaheli und bedeutet “Die große Zerstörung“ und bezeichnet die mehrere Jahrhunderte andauernde Gewaltherrschaft (Samstag, 25. Februar, 11 Uhr, Wilhelmstraße 92).

Während die direkte Kolonialherrschaft in den meisten Ländern Geschichte ist, dauert die wirtschaftliche Ausbeutung weiterhin an. Ein zentrales Instrument dafür sind Schulden. Unter der erdrückenden Schuldenlast sind viele afrikanische Staaten kaum handlungsfähig, während die Schuldner im globalen Norden sich die Rohstoffvorkommen des Kontinents im Austausch gegen weitere Kredite sichern. Dabei erfordert die Klimakrise nicht nur den Schutz der letzten intakten Ökosysteme, sondern auch einen fossilfreien Umbau der Wirtschaften der Länder des globalen Südens. Beides wäre durch einen radikalen Schuldenschnitt zu erreichen, fordert die Kampagne Debt for Climate.

Am Montag findet ein Aktionstag der Kampagne in Berlin statt, der mit einer Kundgebung vor dem Bundesfinanzministerium beginnt (Montag, 27. Februar, 11 – 13 Uhr, Leipziger Straße 124). Informativ wird es dann noch einmal am Abend bei der Paneldiskussion „Schuldenstreichung – 1953 für Deutschland möglich, heute für den Globalen Süden nicht?!“. (Montag, 27. Februar, 19 Uhr, Mehringhof, Gneisenaustraße 2A).

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