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Jahrestag Arabellion in TunesienDie Werkbank Deutschlands

Der tunesischen Wirtschaft geht es nicht gut. Viele Unternehmen wandern ab. Nur die deutschen nicht. Sie nutzen billige Arbeit und billigen Strom.

Ruhig ist es in Tunis nicht geworden: Feier zum 3. Jahrestag der Revolution im Dezember. Bild: reuters

BERLIN taz | Mitten in der nordtunesischen Hafenstadt Bizerte nähen Frauen, Hemden, Krawatten, Blusen für das Textilunternehmen van Laack. In einer hellen Halle mit Blick aufs Meer. Die Kleidungsstücke hängen wenig später in Showrooms in München oder an der Madison Avenue in New York. Die Marke van Laack mit Stammsitz im Mönchengladbach setzt auf die „Standortvorteile“ des nordafrikanischen Landes – wie Calvin Klein, Lacoste oder Yves Saint Laurent oder die 250 anderen, meist mittelständischen deutschen Unternehmen.

Jeder dritte Büstenhalter, jede dritte Jeans, jeder zweite Badeanzug kommen nach Angeben von Eurostat aus Tunesien. Das Land gilt als verlängerte Werkbank Europas, und um nicht der Konkurrenz der Billighersteller aus China und Indien ausgesetzt zu sein, setzt die tunesische Textilindustrie verstärkt auf Qualität, Design und Marketing.

Deutschland ist nach Frankreich und Italien der drittgrößte Handelspartner Tunesiens. Etwa 40 Prozent der tunesischen Importe aus Deutschland und 80 Prozent der tunesischen Exporte nach Deutschland sind auf Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in Tunesien sowie tunesische Lohnveredlungsbetriebe zurückzuführen.

Damit sind die deutschen Unternehmen ein wichtiger Pfeiler für die tunesische Wirtschaft. Denn der geht es nicht gut. Politische Instabilität, Streiks, Herabstufungen durch internationale Ratingagenturen und eine noch immer fehlende Verfassung haben ausländische Unternehmer und potenzielle Investoren verunsichert. Über 150 ausländische Unternehmen schlossen in den vergangenen zwei Jahren die Türen ihrer Niederlassungen am Standort Tunesien, mehr als 5.000 Arbeitsplätze wurden seit der Revolution und dem Sturz des Regimes von Ben Ali 2011 im Ursprungsland des sogenannten Arabischen Frühlings gestrichen.

Massenabwanderung von Unternehmen

Allein im Zeitraum zwischen Januar und August 2013 verließen 15 ausländische Unternehmen Tunesien, vor allem Firmen mit französischer und italienischer Beteiligung. Das Vertrauen in den Standort, der nach den Morden an den Oppositionspolitikern Chokri Belaid im Februar und Mohamed Brahmi im Juli seine schwerste Regierungskrise seit dem Sturz des Ben Ali-Regimes vor zwei Jahren erlebt, war erschüttert.

Die Deutschen blieben. Bei ihnen sei „sei kein einziges deutsches Unternehmen bekannt, das Tunesien seit der Revolution vor zwei Jahren aufgrund der politischen Entwicklungen verlassen habe“, sagt Carolin Ghorbal, Sprecherin der Außenhandelskammer Tunis. Im Gegenteil: Die Unternehmen hätten expandiert. „Bei den deutschen Unternehmen in Tunesien gibt es bisher keinerlei Auswirkungen der aktuellen Krise auf die Geschäftstätigkeit, die Exportzahlen oder auf die aktuellen Investitionen.“

Warum das so ist, beantwortet van-Laack-Geschäftsführer Ferdinand Terburg: „Die Steuervorteile und vor allem die Nähe zu Europa machen Tunesien für viele Unternehmen zu einem idealen Standort. Und trotz Revolution und gesellschaftlichem Umbruch gab es bei uns nicht einen Tag Streik .“

Dabei zahlt von Laack den Beschäftigten, zu 90 Prozent Arbeiterinnen, nicht viel mehr als den Mindestlohn. Der beträgt in Tunesien ungefähr 140 Euro, bei van Laack gebe es den Tariflohn für Textilarbeiter, 180 Euro, sagt Terburg.

„Sicherer als als Haushaltshilfe zu arbeiten“

Viele wenig ausgebildete Frauen arbeiten lieber in den Fabrikhallen, als sich als Haushalthilfe zu verdienen und privater Willkür ausgesetzt zu sein. „Das ist sicherer, geregelter und unabhängiger“, bestätigt die Textilarbeiterin Samira Madhaoui.

So nah an Europa und doch von den hier erkämpften Löhnen so weit entfernt. Das Lohnniveau in Tunesien ist niederer als in vielen Ländern des Ostblocks. Das Förderungsamt für ausländsiche Investionen (fipa) schreibt dazu: „Neben den sehr wettbewerbsfähigen Lohnkosten, sind auch die Kosten für andere Produktionsfaktoren konkurrenzfähig. Die Löhne von Ingenieuren, höheren Technikern und Arbeitern sind sehr wettbewerbsfähig. Die Lohnentwicklung ist dank relativ stabiler Wechselkurse und einer geringen Inflationsrate gemäßigt.“

Und in Deutschland interessieren noch andere Möglichkeiten des Standorts Tunesien: als Energielieferant in ambitionierten Projekten wie Desertec, als Plattform für neue Technologien und als Trittbrett für den afrikanischen Kontinent.

Der tunesische Wirtschaftswissenschaftler Cheikhalifa Mohamed ist davon nicht nur begeistert: „Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Tunesien wird heute als Unterstützung des demokratischen Transformationsprozesses verkauft. Dabei haben die Europäer, auch die Deutschen schon mit dem gestürzten Regime bestens zusammengearbeitet, wenn es um ihre Interessen ging.“

Wenn Tunesien nun zum Lieferanten alternativer Energie für Europa werde, bleibe offen, wie die ökologischen Probleme des Landes – vom Wassermangel bis zum Fortschreiten der Wüste – nachhaltig angegangen werden könnten. Was also Tunesien selbst davon habe. Nur billigen Strom und billige Arbeitskräfte abzuschöpfen, sei kein Fortschritt.

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3 Kommentare

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  • Merkwürdiger Artikel, der irgendwie versucht, die deutschen Firmen anzuklagen, dabei vergisst, dass es gerade in Tunesien sehr mächtige Gewerkschaften gibt und nach der Revolution auch viele Streiks, was auch zu der Abwanderung einiger ausländischer Firmen beigetragen hat. Wenn deutsche Firmen von Streiks nicht betroffen waren, dann spricht das für die Arbeitsbedingungen bei diesen Firmen.

    Was Desertec angeht, so wäre zu hoffen, dass diese Pläne umgesetzt werden, was aber immer weniger wahrscheinlich ist. Für Tunesien wäre es nur gut.

    Tunesien braucht mehr Arbeitsplätze, daher völliger Quatsch das Fazit des

    Artikel: "Nur billigen Strom und billige Arbeitskräfte abzuschöpfen, sei kein Fortschritt." Es ist sehr wohl ein Fortschritt, wenn die Arbeitsplätze in Tunesien geschaffen werden und die Realisierung von Desertec wäre auch ein Gewinn für Tunesien.

  • D
    desteor

    Herr Cheikhalifa Mohamed fragt sich was Tunesien selbst davon habe.

     

    Nun, im Fall von Desertec vermutlich Einkommen für Politiker und die Staatskasse, im Fall der Textilarbeiterinnen (etwas) weniger Arbeitslosigkeit, Armut und Proteste. Selbstverständlich wäre es aus tunesischer Sicht schöner wenn unabhängige einheimische Unternehmen und selbstbewusste Arbeitnehmer mit hochwertigen Exporten den Wohlstand steigern und weiter verteilen. Wieso sollte man aber von deutschen (Unternehmen, Politikern) erwarten sich selbst eine derartige Konkurrenz aufzubauen?

     

    Und was die Umwelt betrifft, seit wann ist das ein deutsches Problem? Es sind keine deutschen Ziegen die die Berge kahlfressen. Es sind keine deutschen Rasen die mit tunesischem Grundwasser begossen werden.

  • R
    rennicke

    nur zur erinnerung. der sogenannte arabische frühling und die einfuhr ausländerischer kämpfer wurden von den westlichen geheimdiensten mit gefördert, um die regierungen von lybien oder syrien zu schwächen. das ergebnis sind 40.000 von nato bombern totgebombte menschen und millionen vertriebener.

     

    und mit dem wort "revolution" sollte man sowieso aufpassen. so wie die französische keine wirkliche revolution sondern ein gezielte destabilisierung der verhältnisse zu gunsten von "räten" und "kommissaren" (schon mal gehört?) war, so wie die russische revolution keine wirkliche sondern ein gezieltes ausrotten der intellektuellen schicht war, ist das wort "revolution" mittlerweile ein schimpfwort für mich. also kein süßes fähnchen schwingen und den "kampf" romantisieren.

     

    zum letzten teil ihres artikel: natürlich arbeiten deutsche mit einem regime zusammen. im gegensatz zu den amerikanischen nato generalen, deren wirtschaft sich nicht anders verhält, versuchen sie nicht die welt nach ihren vorstellungen umzubauen und im zuge der demokratie überall panzer hinzuschicken.