Jahresbericht der Meldestelle: „Antiziganismus ist in Deutschland Alltag“
Die Meldestelle für Antiziganismus hat einen Höchstwert Sinti und Roma-feindlicher Vorfälle registriert. Der Zentralrat vermisst einen Bewusstseinswechsel.

„Antiziganismus ist in Deutschland Alltag“, sagte Geschäftsführer Guillermo Ruiz bei der Vorstellung des dritten Mia-Jahresberichts am Montag in Berlin. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnete Mia einen Anstieg von 36 Prozent, damals wurden 1.233 Vorfälle registriert.
Dies führt Mia nur zum Teil auf die steigende Bekanntheit der 2022 eingerichteten Stelle zurück. Es gebe immer wieder Hinweise darauf, dass das Ausmaß von Antiziganismus im vergangenen Jahr zugenommen habe. Außerdem geht Ruiz davon aus, dass es ein „enormes Dunkelfeld“ gebe.
Betroffene sehen sich besonders mit verbaler Stereotypisierung konfrontiert, die knapp die Hälfte die Fälle (856) ausmacht. Vorfälle von Diskriminierung, also antiziganistisch motivierter Benachteiligung, wurden 666 Mal erfasst. Romani Rose vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht sich bestätigt, „dass die jahrhundertealten Klischees des Antiziganismus in der Mitte unserer Gesellschaft bis heute virulent sind“. Ein Bewusstseinswechsel habe sich „nur in Ansätzen“ vollzogen.
Bildung bildet den Schwerpunkt des diesjährigen Berichts
Dies zeige sich unter anderem im Kontakt mit Behörden, wo jeder fünfte Vorfall erfasst wurde (369). Insbesondere bei der Polizei würden Betroffene immer wieder eine Täter-Opfer-Umkehr erfahren.
Eine in Teilen feindselige Atmosphäre stellen die Expert*innen auch im Bildungsbereich fest, dem diesjährigen Schwerpunkt des Berichts. Hier wurden 313 Fälle registriert, in denen Kinder und Jugendliche von Mitschüler*innen, teils aber auch von Lehrkräften antiziganistisch diskriminiert wurden.
Es gebe jedoch auch positive Entwicklungen. Am 1. April hat ein Rechtshilfenetzwerk seine Arbeit aufgenommen, das unter anderem eine kostenlose juristische Erstberatung für Betroffene bietet. Zudem habe der Presserat in mehreren Fällen antiziganistische Berichterstattung missbilligt.
Ruiz begrüßte ausdrücklich, dass mit Michael Brand (CDU) nun doch ein neuer Antiziganismusbeauftragter benannt wurde. Es war zunächst unklar gewesen, ob das Amt wegfallen würde, nachdem die schwarz-rote Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatte, die Zahl der Beauftragten zu halbieren.
Zu den Forderungen, die Mia an die Politik stellt, gehört, die Zukunft der Meldestelle zu sichern. Bisher ist die Finanzierung über 2025 hinaus nicht geklärt – über den Entwurf des Bundeshaushalts entscheidet am Dienstag das Kabinett. Die Verantwortung liege jedoch auch bei den Bundesländern: Bislang konnten sechs regionale Meldestellen etabliert werden – zuletzt in Schleswig-Holstein. „Wir hoffen, dass die anderen Bundesländer diesem Beispiel folgen“, sagte Ruiz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!