Jagdszenen im Berliner Hinterhof: Es geht um die Maus
Mit dem Fenster zum Hof hat man in Berlin einen guten Platz für Ermittlungen. Wie in einem Hitchcock-Film geht es da draußen um Leben und Tod.
W ir halten uns oft in der Küche auf, wo man den Hof hier in Berlin-Wilmersdorf im Blick hat. Er ist zur Hälfte als Parkplatz gepflastert, hat aber drum herum Büsche, einen kleinen Baum, zwei große Bäume und ein paar Grasflächen.
In einer Mauerecke haben ausgesetzte Kaninchen einen Bau gegraben. Sie werden gelegentlich mit Möhren gefüttert. In einer mit Styropor isolierten Brandmauer haben Stare Löcher reingehackt und sich dadurch zwei Nester geschaffen, diese werden jedoch inzwischen von Spatzen genutzt.
Nachts kommt manchmal ein Fuchs vorbei auf der Suche nach Essbarem. Dann geht ein Bewegungsmelder an, der den Hof für einige Minuten in helles Licht taucht. Das stört den Fuchs aber nicht, er kennt das von anderen Hinterhöfen und nimmt es nicht persönlich. Auch die schwarze Katze, die ihn manchmal von einem Baum aus in sicherer Höhe beobachtet, interessiert ihn nicht.
Die Katze heißt Clara und hat ihren Schlafplatz auf dem Balkon einer Hochparterrewohnung, sie gehört der Mieterin, besucht aber täglich auch eine andere Frau, die vis-à-vis ebenfalls hochparterre wohnt. Auf deren Balkon bekommt die Katze eine Schale Milch, dann darf sie in die Wohnung, wo sie sich auf dem Schreibtisch langstreckt. Aber nur kurz, dann will sie wieder raus.
Kohlmeisen, Krähen und Kleiber
In einem Ahornbaum direkt vor dem Küchenfenster hängen Futterringe, die von einem kleinen Schwarm Kohlmeisen und einer Blaumeise angeflogen werden. An einem Busch finden sich noch gelbe Beeren, die durch den Frost süß geworden sind. Eine Amsel pflückt sie. Weil sie aber nicht gut auf der Stelle fliegen kann, ist sie nach vier Beeren außer Puste.
In einem der hohen Bäume hat ein Krähenpaar sein Nest, das Hofareal wird aber auch immer wieder von zwei Elstern angeflogen auf der Suche nach Futter. Die Nebelkrähen versuchen sie durch lautes Schimpfen zu verscheuchen. Einen Kleiber und einen Eichelhäher, die sich allerdings nur selten auf dem Hof blicken lassen, versucht das Krähenpaar dagegen zu ignorieren. Ähnliches gilt für ein Eichhörnchen, das wir beobachten. Wir gucken so oft aus dem Küchenfenster wie andere Leute auf ihr Smartphone.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Weil es in der Gegend noch mehr begrünte Höfe gibt und am Ende der Straße zwei Schrebergärten, gehen wir davon aus, dass viele Tiere, die wir vom Fenster aus sehen, nur Kontrollbesuche auf dem Hof machen. Die Spatzen halten sich am liebsten in den immergrünen Sträuchern auf, die auf unserer Seite des Parkplatzes wachsen. Sie werden in einem Vogelhäuschen gefüttert. Manchmal sind es dort ein Dutzend Spatzen. Wenn vormittags die Sonne darauf scheint, zwitschern sie laut und fröhlich. Nachmittags wechseln sie dann mit der dorthin gewanderten Sonne in die Büsche auf der anderen Seite.
Dauerbewohner auf dem Hof sind nur die Kaninchen, das Krähenpaar zur Brutzeit und die Katze Clara. Kürzlich lief am helllichten Tag eine Maus an der Brandmauer entlang, sie wurde von Clara gesehen und gefangen. Augenscheinlich hatte diese aber keinen Hunger, denn sie ließ die Maus immer wieder laufen, um sie erneut einzufangen.
Dieses Spiel sah auch eine der beiden Nebelkrähen. Sie flog vom Baum runter und ging langsam auf ein im Hof geparktes Auto zu. Die Katze und die Maus konnten sie nicht sehen. Die Krähe aber schon, indem sie sich duckte und unter dem Auto durch sah, was sich da an der Mauer tat. Plötzlich unternahm die Maus einen verzweifelten Fluchtversuch unters Auto. Die Katze blickte ihr nach, konnte sie jedoch nicht mehr sehen, weil sie sich an einen Reifen gedrückt hatte. Aber die Krähe sah sie. Mit zwei, drei Trippelschritten war sie bei der Maus, packte sie, kam unter dem Auto hervor und flog mit der Beute auf ihren Nistbaum. Dort blieb sie aber nicht, sondern flog weiter und entschwand unseren Blicken. Wir fragten uns, ob sie die Maus ihrem Partner oder ihrer Partnerin, die sich irgendwo in der Nähe aufhielt, als Geschenk brachte. So etwas soll vorkommen.
Und die Katze hatte wohl genug mit der Maus gespielt, der Verlust schien ihr nichts auszumachen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr