Jagd auf den „Islamischen Staat“: Dschihad im Herzen Afrikas
Massaker im Kongo, Bomben in Uganda: Angst und Schrecken verbreitet die Rebellengruppe ADF. Nun bereiten die USA den Antiterrorkrieg vor.
„Terror von innen“, titelte Ugandas Boulevardzeitung Red Pepper. Staatschef Yoweri Museveni bezeichnet die Täter als „Schweine“. Vielen Ugandern ist der Schock anzumerken: Der „Islamische Staat“ (IS) hat sich zu den Anschlägen bekannt. Im ugandischen Kontext heißt das: die islamistische Rebellengruppe ADF (Vereinigte Demokratische Kräfte), die ursprünglich aus Uganda kommt und heute vor allem in der Demokratischen Republik Kongo wütet.
Die Täter seien „heimische Terroristen mit Verbindungen zu ADF“, sagte Polizeisprecher Fred Enanga und verkündete eine Jagd auf ADF-Schläferzellen. Die Bilanz: 34 Verhaftete, darunter sechs Kinder. Vier Verdächtige wurden von der Polizei erschossen, darunter ein Prediger. Dessen Familie sagt, das war „kaltblütiger Mord“.
Der IS nennt in seinem Statement als Täter „Abdul Rahman, der Ugander“ und „Abu Shahid, der Ugander“ sowie „Abu Sabr, der Ugander“. Die Explosionen hätten „über 30 ugandische Soldaten und Polizisten sowie einige Christen“ getötet. Das stimmt nicht – aber 27 der 37 Verletzten sind Polizisten. Eine Bombe explodierte direkt vor dem Polizeihauptquartier.
Die IS-Provinz „Zentralafrika“
Seit März bereits steht die ADF auf der Terrorliste der US-Regierung, ebenso die islamistischen Rebellen in Mosambik. Es heißt, beide Gruppen seien Teil des „Islamischen Staats – Provinz Zentralafrika“ (ISCAP), die der IS 2018 ausrief und die sich von Somalia über Mosambik bis nach Kongo erstrecken soll.
Schon im November 2018 war die US-Botschaft in Kongos Hauptstadt Kinshasa wochenlang geschlossen – wegen einer IS-Terrorwarnung. In Kampala baut die US-Regierung ihre Botschaft derzeit zu einem anschlagssicheren Bunker aus. Großbritannien und Frankreich warnten bereits im Oktober vor Terroranschlägen in Ugandas Hauptstadt.
Die ADF hat eine alte Geschichte. Sie entstand einst unter ugandischen Muslimen im Grenzgebiet zu Kongo. In den 1990er Jahren war sie für zahlreiche Anschläge in Uganda verantwortlich, 1995 zog sie sich unter ihrem Anführer Jamil Mukulu, der in Afghanistan trainiert worden war, in die Rwenzori-Berge entlang der Grenze zu Kongo zurück – ein Grund, dass Uganda 1998 im Nachbarland einmarschierte und fünf Jahre lang große Teile Kongos besetzt hielt.
Danach wurde es um die ADF relativ ruhig. Mukulu wurde 2015 in Tansania verhaftet und nach Uganda ausgeliefert. Er sitzt in Kampala im Hochsicherheitsgefängnis, krank und schwach. Seit Januar wird ihm der Prozess gemacht wegen Terrorismus. Derweil führt Kongos Armee im Ostkongo gegen die rund 1.500 verbliebenen ADF-Kämpfer einen Feldzug nach dem anderen, wobei immer wieder kongolesische Offiziere der Kumpanei mit den Rebellen verdächtigt werden.
Je mehr die Miliz in Bedrängnis gerät, desto brutaler wird ihre Vorgehensweise: nächtliche Überfälle auf Dörfer, Massaker an Zivilisten. Im Januar 2020 eroberte Kongos Armee in den Bergen an der Grenze zu Uganda das ADF-Hauptquartier „Medina“, benannt nach der heiligen Stadt in Saudi-Arabien. Laut Armee wurden dabei über 40 ADF-Kämpfer und fünf ihrer Kommandeure getötet. Die Soldaten fanden Gebetsbücher auf Arabisch.
Seitdem ist die ADF auf der Flucht und hinterlässt eine Blutspur durch zwei Provinzen des Ostkongo. Fast wöchentlich dokumentiert die UN-Mission im Kongo (Monusco) brutale Verbrechen. UN-Ermittler nennen in ihrem jüngsten Bericht rund 800 zivile ADF-Opfer innerhalb eines Jahres. Mitte November fand das Rote Kreuz in einem Dorf nahe der Stadt Beni 38 Tote, die Kehlen durchgeschnitten, einige lebendig verbrannt. Die ADF feiert diese Überfälle in Videos aus ihrem neuen Hauptquartier „Medina II“.
Eine junge, radikalisierte Kämpfergeneration
Einst galt die ADF unter Kongos zahlreichen Milizen als die geheimnisvollste. Ihre Anführer traten nie öffentlich auf. Das hat sich geändert. „Die ADF gibt es nicht mehr“, erklärte der neue ADF-Anführer Musa Baluku im September 2020 in einem Video. „Wir sind jetzt die Zentralafrikanische Provinz, eine von zahlreichen Provinzen des Islamischen Staates, der vom Kalifen und Führer aller Muslime regiert wird“.
Ermittler der UN-Expertengruppe, die die Einhaltung des Waffenembargos gegen Kongos bewaffnete Gruppen überprüft, haben über 45 Videos der ADF analysiert. „Sie zeigen eine klare Ausrichtung hinsichtlich des IS“, heißt es in ihrem Bericht vom Juni an den UN-Sicherheitsrat.
Eine direkte Befehlskette zum IS konnten sie jedoch nicht feststellen. Die Hinwendung zum Dschihad sei eher ein Instrument, um junge Rekruten anzuwerben. Die neue radikalisierte Generation macht die alte Miliz für neue Technologien fit. Im März meldete die UN im Kongo sogar Überwachungsdrohnen über dem ADF-Hauptquartier.
„Diese Entwicklung geht einher mit der Absorption ausländischer Kämpfer aus Tansania, Kenia und Burundi“, erzählt Dino Mahtani von der International Crisis Group, der die ADF seit Langem studiert. Seit Kongos Militäroperationen die ADF schwächten, suche sie Unterstützung bei den Shabaab-Rebellen in Somalia und Mosambik. Mathani nennt einen tansanischen ADF-Kämpfer namens Jundi. „Er war einer derjenigen, die 2019 die IS-Flagge ins ADF-Hauptquartier mitbrachten.“
Als Kommandant der jüngsten Anschläge in Uganda gilt ein 30-jähriger Ugander aus der jungen ADF-Generation: Meddie Nkalubo alias „Punisher“ (der Bestrafer). „Es ist wahrscheinlich, dass ‚Punisher‘ vom Kongo aus Anweisungen nach Uganda schickt“, so Mahtani. Auch im Zusammenhang mit vereitelten Anschlägen in Ruanda deuten die Beweise auf ihn. Dort nahm die Polizei im Oktober 13 Terrorverdächtige fest. Auf sichergestellten Laptops fanden die Ermittler Anleitungen zum Bombenbasteln – geschickt von „Punisher“ aus Kongo.
Ein US-Milliardär und eine verschwiegene Stiftung
Für Ugandas Präsident Museveni, der in 35 Jahren an der Macht schon viele Rebellen jenseits der ugandischen Grenzen bekämpft hat, ist die Sache jetzt ganz einfach. „Die Terroristen haben uns eingeladen, wir werden sie jagen“, erklärte er und fügte hinzu, er werde eng mit Kongo zusammenarbeiten, „das ist kein schwieriges Problem“.
Unter Kongos Präsidenten Felix Tshisekedi, seit 2019 im Amt, haben sich die einst schlechten Beziehungen zu Uganda verbessert. Die Geheimdienste beider Länder haben im kongolesischen Beni ein gemeinsames Operationszentrum aufgebaut, Verbindungsoffiziere entsandt. Vermittelt hat dies mutmaßlich der ehemalige Coca-Cola-Chef Howard Buffett. Der US-Milliardär engagiert sich mit seiner Stiftung für Naturschutz in Afrika, darunter der Virunga-Nationalpark im Ostkongo, der an Uganda und Ruanda grenzt. In den dichten Wäldern des Parks leben die vom Aussterben bedrohten Berggorillas – und Milizen wie die ADF.
Mit Ruandas Präsident Paul Kagame versteht Buffett sich bestens, ebenso mit Ugandas Präsident Yoweri Museveni. Sie verbindet die Leidenschaft für Landwirtschaft und Rinder.
Im Oktober war der US-Amerikaner wieder einmal zu Besuch in Uganda. Er kam in Begleitung einer blonden Frau: Shannon Sedgewick Davis, Chefin der Bridgeway Foundation. Die Stiftung ist der philanthropische Arm von Bridgeway Capital, ein Hedgefonds. Die junge Anwältin aus Texas ist nicht nur in Washington, sondern auch in Afrika einflussreich.
Unter internationalen NGOs gilt Bridgeway als Gigant. Sie finanziert Human Rights Watch, den Virunga-Nationalpark sowie den Kivu Security Tracker (KST), eine Beobachtungsstelle für Gewaltakte im Ostkongo. Anders als andere Stiftungen hält sich Bridgeway jedoch bedeckt. Sie veröffentlicht keine Berichte, keine Pressemitteilungen.
Die taz erfuhr von einem gemeinsamen Workshop des US-Außenministeriums mit Buffett und Bridgeway im Hotel Africana in Kampala. Die höchsten Geheimdienstler von Kongo und Uganda waren eingeladen. Es ging um die Frage: Wie können mehr ADF-Kämpfer mit ihren Frauen und Kindern aus den Fängen ihrer Anführer entkommen? Wie kann die ADF zerschlagen werden?
Im August genehmigte Kongos Präsident die Stationierung von US-Antiterrorexperten im Land. Laut US-Botschaft in Kinshasa verbrachte eine Delegation von US-Spezialkräften mehrere Wochen im Kongo, um „Kongos zukünftige Antiterroreinheit, die sich auf den IS im Ostkongo konzentrieren soll, zu evaluieren“. Pentagon-Vertreter trafen bereits im Januar im Ostkongo auf Bridgeway.
Wie einst die Jagd auf Joseph Kony
Bridgeway steht mit ihren Projekten noch ganz am Anfang, erklärt Operational Manager Laren Poole der taz am Telefon. Die Stiftung suche in Kongo und Uganda nach lokalen NGOs als Partner und habe Feldforscher angeheuert, um von Kenia über Uganda, Kongo, Tansania bis nach Mosambik festgenommene oder desertierte Kämpfer zu interviewen.
Auch die Männer, die nach den ersten Anschlägen in Uganda festgenommen wurden, hat Poole interviewt. „Im März fingen sie an, Selbstmordwesten zu basteln“, so Poole. Die Anweisungen hätten sie von „Punisher“ aus Kongo erhalten, angelockt mit Geld und IS-Ideologie. Einer habe nicht einmal gewusst, was er da zusammenschraubt, bis er am Ende angewiesen wurde, es zu zünden.
Es ist nicht Bridgeways erster Ausflug ins Geschäft der Rebellenjagd. Laren Poole gehört zu den Gründern der Organisation „Invisible Children“ in Uganda, die durch das Video „Kony2012“ weltberühmt wurde. Joseph Kony, laut Video „Afrikas grausamster Rebellenführer“, war mit seiner Rebellenarmee LRA (Widerstandsarmee des Herrn) von Uganda erst nach Südsudan, dann nach Kongo und schließlich Richtung Zentralafrikanische Republik unterwegs und hinterließ eine Spur des Terrors. Mit Spezialkräften sollte er zur Strecke gebracht werden.
Auch damals war Howard Buffett mit von der Partie, gemeinsam mit Shannon Sedgewick Davis. Fotos zeigen die blonde Frau neben dem korpulenten Milliardär in Camouflage im Dschungel. Bridgeway bezahlte Hubschrauber und Transportflüge und ließ südafrikanische Söldner als Trainer einfliegen – unter dem weißen Exsoldaten Eeben Barlow, der als Spezialkraft in die schmutzigen Kriege des Apartheidregimes verwickelt war.
Es brachte wenig: Joseph Kony ist bis heute auf freiem Fuß. Heute sind dieselben US-Terrorjäger wieder in Uganda. Dieses Mal gegen die ADF.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe