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Israelbild in deutschen SchulenTendenziös und fehlerhaft

Ulrich Gutmair
Kommentar von Ulrich Gutmair

In deutschen Schulbüchern erscheint Israel fast ausschließlich als bellizistisches Problemland. Das ist zu simpel und verzerrt die Realität.

Das an israelischen Schulen vermittelte Deutschlandbild ist eher positiv und differenziert Foto: imago/upi photo

V iele Israelis haben ein positives Bild von Deutschland. Berlin ist heute nicht nur eines der beliebtesten Reiseziele, viele Israelis leben inzwischen in der deutschen Hauptstadt. Deutsche Produkte haben in Israel ein gutes Image, die Deutschen werden um ihre Kultur und ihre Kanzlerin beneidet. Immer mehr junge Israelis lernen Deutsch – vielleicht, weil sie sich davon mehr Chancen versprechen, vom Türsteher in den Berliner Club Berghain eingelassen zu werden.

Dieses vielschichtige Deutschlandbild schlägt sich auch in israelischen Schulbüchern nieder, wie die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission in ihrem Bericht schreibt, den sie nach fast fünf Jahren gemeinsamer Arbeit am Dienstagabend im Auswärtigen Amt vorgestellt hat. Die Forscherteams haben jeweils eine Auswahl von Schulbüchern der Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde des eigenen Landes untersucht. Israelische Schüler lernen etwa, dass in Berlin-Kreuzberg eine bunte Mischung von Leuten lebt, darunter viele, die einst als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland kamen.

Auf deutscher Seite sieht es anders aus. Die Kommission kommt zwar zum Schluss, dass in deutschen Schulbüchern meist „das Bemühen um eine objektive und ausgewogene Darstellung Israels erkennbar“ ist. Das ist die gute Nachricht. Das größte Problem besteht darin, dass Israel in allen drei Fächern stark im Kontext von Darstellungen des Nahostkonflikts betrachtet wird, dabei aber meist kein Raum für eine Entfaltung des komplexen Stoffes bleibt, wie die Kommission kritisiert.

Eine Ausnahme bilden die bayerischen Geschichtsbücher der Sekundarstufe II, die den Konflikt historisch einordnen. In bis zu 72 Seiten langen Kapiteln erfahren bayerische Schüler von den Auseinandersetzungen zwischen Römern und Juden, Muslimen und Kreuzfahrern, aber auch von der osmanischen Herrschaft, der britischen Mandatszeit, der Staatsgründung und von den Versuchen, Friedenslösungen zu finden. Allerdings sei auch diese Darstellung nicht ganz frei von sachlichen Fehlern, sprachlichen Ungenauigkeiten und tendenziösen Wertungen, hält der Bericht fest.

In deutschen Geschichtsbüchern erscheint Israel „primär als kriegführender Krisenstaat im Nahen Osten“. Mit anderen Worten zum selben Befund kommen die Arbeitsgruppen der Fächer Geografie und Sozialkunde. Diese Fokussierung ist nicht den Vorlieben der Redakteure und Autoren der Schulbuchverlage geschuldet, sondern ergibt sich aus den Vorgaben der Lehrpläne, in denen, so sagen die Wissenschaftler, Israel außerdem zu wenig ausführlich behandelt wird. Der Bericht beklagt daher eine „teleologische Engführung“ auf eine angebliche „Spirale der Gewalt“ genauso wie ein oft wiederkehrendes „resignatives Postulat eines unlösbaren Konflikts“.

Was man nicht liest

Bekanntlich ist das, was man nicht erfährt, mindestens so wichtig wie das, was man zu lesen und zu sehen bekommt. Der Bericht der Kommission listet eine Reihe von Themenfeldern auf, die kaum oder gar nicht behandelt werden, etwa die Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen. Wolfgang Sander, der Leiter der deutschen Arbeitsgruppe Sozialkunde, brachte das bei der Vorstellung der Empfehlungen auf den Punkt: Wenn Angela Merkel von der Verteidigung des Existenzrechts Israels als Teil der deutschen Staatsräson spreche, sollte man das den Schülern auch erklären.

Sander und seine Kollegen machen Themenvorschläge, die im Unterricht behandelt werden könnten: Die Start-up-Nation Israel, der demokratisch-pluralistische Charakter und die kulturelle Vielfalt Israels, aber auch der kontrovers geführte Diskurs innerhalb der israelischen Gesellschaft sowie die Stellung der großen arabischen Minderheit im Land.

Mit dem Fehlen solcher Themen korrespondiert, dass Gegenüberstellungen von israelischen und palästinensischen Positionen in den Schulbüchern zwar den didaktischen Geboten von Problemorientierung, Multiperspektivität und Kontroversität folgen, aber meist extreme Haltungen zu Wort kommen. Der gemäßigte Israeli, der normale Palästinenser, sie existieren in der Konfliktlogik der Bücher nicht, auch wenn sie demografisch große Gruppen repräsentieren.

Die überraschende Erkenntnis des Berichts der Schulbuchkommission ist, wie stark das Israelbild in deutschen Schulbüchern von der massenmedialen Darstellung des Landes geprägt ist. Zwar beschäftigen sich einige Schulbücher mit kritischer Medien- und Bildanalyse. Doch häufig reproduzieren sie unkritisch massenmedial verbreitete Klischees. Das zeigt sich etwa in der Verwendung von emotionalisierenden, polarisierenden Fotos und normativen, „gar effektheischenden“ Überschriften.

Gay Pride in Tel Aviv

Sieht man sich an, wie stark das Israelbild im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und der Presse von der Konfliktperspektive geprägt ist, klingt das spontane Gefühl der Überraschung schnell wieder ab. Die Schulbücher erscheinen dann als Spiegel eines weithin akzeptierten, sich selbst erhaltenden und immer wieder aufs Neue selbst bestätigenden Narrativs, das von der Ereignislogik, denen Medien folgen, genauso geprägt ist wie von tradierten Stereotypen und Klischees.

Wir Journalisten dürfen uns also auch angesprochen fühlen, wenn Wolfgang Sander von den Machern der Lehrpläne und den Redakteuren der Schulbuchverlage fordert: „Sucht euch neue Themen!“ Von der Gay Pride in Tel Aviv, wo vor zwei Wochen 180.000 Menschen durch die Stadt zogen, berichtete nur eine große deutsche Zeitung mit einer umfangreicheren Reportage: „Die Welt“. Conchita Wursts Teilnahme an der Parade in Tel Aviv hat die Nachrichtenagentur dpa dazu veranlasst, eine kleine Meldung zu versenden, die in einigen wenigen deutschen Zeitungen nachgedruckt wurde.

Die ZDF-Nachrichtensendung „Heute plus“ zeigte, was man selten sieht: Sie strahlte in der Nacht der Tel Aviver Gay Pride ein Porträt von Karam Dadu aus. Der junge Mann stammt aus einer arabischen Familie in der israelischen Hafenstadt Akko, die ihn verstieß, als er sich mit 14 outete. In Tel Aviv fühlt er sich willkommen und als Schwuler vollauf akzeptiert.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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9 Kommentare

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  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    So toll es auch ist, dass in Tel Aviv eine große Gay Pride hat, ist das nur Rosinenpickerei. Garantiert steht in keinem der Schulbücher, dass in der Israelischen "Demokratie" muslimische Israelis keine Ehepartner aus dem Ausland nach Israel Einheiraten dürfen und weiteren Diskriminierungsgesetzen ausgesetzt sind. http://www.adalah.org/en/law/index

     

    Ich habe mal in dem Report gestöbert und festgestellt, dass dieser gänzlich extrem oberflächliche Beispiele in nichtssagender Sprache verarbeitet.

     

    (Google:"edumeres deutsch-israel")

     

    Bezeichnend ist die Kritik(!) an

     

    "Projektionen in Arbeitsaufträgen (»Versetze dich in die Lage von ...«)

     

    wo bemängelt wird, dass die "vermutlich nachvollziehbare Argumentation" eines Plästinensers für seinen Einsatz in der Fatah der "vermutlich nicht nachvollziehbaren Argumentation" eines Siedlers, der den "jüdischen Anspruch auf das biblische Judäa und Samaria bekräftigt" entgegengestellt wird.

     

    Tja, wie sollen wir den biblischen "jüdischen Anspruch" auf Landraub laut dieser Kommission hier wohl in die Bücher schreiben. Um Verständnis werben, dass staatlich organisierte Siedlergewalt sich nur das holt, was Ihnen von Gott geschenkt sei?

     

    Die Landraubmauer sei zu bösartig dargestellt und würde ihren Selbstverteidigungsnutzen verschleiern. Dass dieser angebliche Selbstverteidigungsnutzen nach Bewertung des IGH(!!!) nur vorgetäuscht ist und der Verlauf nur Raubabsichten geschuldet ist, wird natürlich nicht berücksichtigt.

    http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=11292&Cr=palestin&Cr1#.VZJzPFLkcxO

     

    Also nur eine weitere Lobbyveranstaltung für Israel-Besatzungspropaganda, anstatt froh darüber zu sein, dass die Fakten der Nah-Ost-Geschichte

    http://www.lib-hilfe.de/mat/ausstellung/Ausstellung_Nakba.pdf

     

    nicht in unseren Büchern ausgearbeitet sind.

  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    Wie kann es normale Palästinenser geben, wo oftmals aus palästinensischen Trinkwasserleitungen das Wasser tropfenweise kommt und nebenan militärisch geschützt Hochleistungslandwirtschaft in Israel betrieben wird, das Wasser wird etliche Kilometer abgeleitet und mit Waffen gegen Palästinenser geschützt. Der Alltag ist nicht normal. Israel hat den Grenzverlauf nach Wasservorkommen bestimmt. Das ist eine ökologische Apartheidspolitik.

     

    Andererseits kommen gerade von Ayelet Shaked die besten Vorschläge, nämlich Jordanien und Palästina bilden einen Staat. Was megagut wäre, denn auch Jordanien geht das Wasser aus. Palästina könnte welches mitbringen, wenn Israel das Abgraben unterlassen würde.

     

    Israel tendiert nicht zu festen Grenzen, wie am Siedlungsbau zu sehen, das läßt ganz neue Kombinationen zu wie ein Zusammenschluss von Jordanien und Palästina. Schulbücher kommen solchen Vorschlägen kaum nach, die sind viel zu fixiert und lösungsresistent. Syrien und Israel sind sich säkular am Ähnlichsten, es liegt auf allen Seiten auch eine politische Unfähigkeit (ohne Assad ist die säkulare Ähnlichkeit weg), gehört das in Schulbücher?

  • Schulbücher können nie ein "wahres" Bild eines Landes zeichnen. Denn Wahrheit ist subjektiv. Zur Freundschaft gehört auch Ehrlichkeit über Gegensätze. Aus der Sicht vieler Deutscher ist die Politik Israels, gegenüber seinen arabischen Bürgern und seinen Nachbarstaaten, bedenklich. Manche nennen es gar menschenverachtend, aggressiv und imperial. Daran kann auch der Auftritt von Thomas Neuwirth bei einer Schwulenparade nichts ändern.

    Aber es ist durchaus berichtenswert, das sexuelle Orientierung in Israel kein Verfolgungsgrund ist ( im Gegensatz zu einigen Nachbarstaaten und natürlich solange es nicht Kinder betrifft).

    Israel ist im Nahostkonflikt nicht nur Opfer, sondern auch Täter! Dieses zu benennen ist notwendig. Ebenso wie die Reduzierung auf Krieg und Gewalt der israelischen Zivilgesellschaft nicht gerecht wird.

    Von daher wird kein Schulbuch je ein "richtiges" Israelbild zeigen können, denn es gibt nicht das eine Israel.

    • @Thomas Ebert:

      Ich befürchte, Sie tappen genau in die Falle, die in dem Kommentar beschrieben wird, nämlich Israel auf seine Rolle im Nahost-Konflikt und die historische, soziologische und geografische Analyse des Landes auf die politische Wertung dieser Rolle zu reduzieren. Das mag für einen vornehmlich politisch denkenden Menschen ausreichen, erfüllt aber nicht den Anspruch auf politisch möglichst neutrale Allgemeinbildung, den wir gemeinhin an Schulbücher stellen. Diese sollte nicht auf das wertende Hin und Her der Kritiker und Befürworter (die gibt's auch) der israelischen Poltik beschränkt bleiben.

       

      Denn gerade diese Wertung will wohlinformiert getroffen werden. Wenn man - überspitzt ausgedrückt - den Nahen Osten nur für eine religiös und ethnisch hochbrisante Gegend hält, in der einer den anderen am liebsten vertreiben oder ausrotten möchte und sich die Konfliktparteien hauptsächlich dadurch auszeichnen und unterscheiden, dass eine mit der Uzi, und die andere mit der Kalaschnikow bzw. der Semtex-Weste unter dem Kopfkissen schläft, fällt es schwer, eine realistische und differenzierte Meinung zu entwickeln. Gerade das nicht unmittelbar zum Konflikt gehörende Drumherum ist dafür unverzichtbar.

  • Israel existiert erst nach dem Vollzug der Teilung Palästinas? Soweit sind sie noch gar nicht.

    14. Mai 1948: Großbritannien beendet sein Palästina-Mandat und zieht seine Truppen ab. Darauf folgt die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel, der 56 Prozent Palästinas umfasst.

    29. November 1947: Die UN-Vollversammlung beschließt die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat sowie die Internationalisierung Jerusalems.

    Ich glaube, sie wollen keine Teilung?

  • "Kein Volk kann sich frei nennen, wenn es ein anderes Volk unterdrückt". Schrieb Rosa Luxemburg. Die vorwiegende Darstellung Israels im Zusammenhang mit den gewaltsamen Auseinandersetzungen im nahöstlichen Kontext beklagt die Schulbuchkommission. Ja: wovon soll denn sonst die Rede sein? Natürlich ist es notwendig, die Entstehungsgeschichte Israels mit allen seinen historischen Implikationen zu behandeln - aber diese Geschichte ist eben eine Gewalt-Geschichte - verbunden mit Vertreibung, Eroberung, Landraub und Diskriminierung der palästinensisch-arabischen Bevölkerung. Die Freiheitsrechte, die die jüdisch-israelische Bevölkerung genießt, stehen den palästinensischen Bewohnern Hebrons und Gazas gar nicht zur Verfügung - und den arabischen Bewohnern Jaffas nur sehr eingeschränkt. Es wird nicht helfen, demgegnüber den IT-Standort Israel in den Schulbüchern mehr zu berücksichtigen - auch der Auftritt von Frau Wurst beim Pinkwashing-Festival kann über Eines nicht hinwegtäuschen: Etwa der Hälfte der Bevölkerung des vom israelischen Staat kontrollierten Gebiets bleiben die wesentlichen Menschenrechte vorenthalten.

  • Man wird Israel doch in Schulbüchern gar nicht darstellen können, ohne den Nahostkonflikt, der das Leben der Menschen nicht nur dort maßgeblich prägt, in den Vordergrund zu rücken. Ebensowenig kann man Deutschland in Schulbüchern darstellen, ohne die nationalsozialistische Barbarei, die ihre Blutspur bis in die Gegenwart hinein zieht, angemessen und ausführlich zu erwähnen. Ich halte wenig von einer Allianz des Wegschauens und Beschönigens auf beiden Seiten. Bellizistische Länder bleiben bellizistische Länder, solange sie ihre Grundstrukturen nicht geändert haben. Mit Discos und Conchita Wurst wird man da auch nichts Grundlegendes ausrichten können.

    Nach wie vor gilt: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ (Adorno)

  • Sicherlich wahr, wie das Beispiel Gay Pride auch zeigt. Nur soll man das Land nun in einem Satz charakterisieren, ausgehend von umfangreicherem Wissen, ist es immer noch ein bellizistisches Problemland. Das liegt zum Glück nur indirekt an den Menschen, die sich so militaristische Menschen wie Scharon und Netanjahu an die Spitze wählen

    • @TV:

      Dieses "indirekt" ist immer noch schlimm genug, finde ich.

       

      Mag sein, dass Israel besser ist als der Ruf, den es in Deutschland hat. Leider ist es noch nicht gut genug. Es ist bei weitem nicht so gut, wie es sein sollte im Interesse seiner Bürger Ich schaue zwar kein israelisches Fernsehen, höre auch kein israelisches Radio und lese keine israelische Zeitung (scheiß Sprachbarriere!), würde mich allerdings nicht wundern, wenn die nächste Studie zum Thema belegen würde, dass das Wahlverhalten der Israelis mehr mit den eigenen Medien zu tun als mit deutschen Schulbüchern.

       

      Mag sein, das Bild, das Israelis sich von Deutschland machen, ist weniger problembehaftet und bellizistisch als jenes, das sie sich vom eigenen Land machen können. Man sollte also auch in Israel viel öfter danach fragen, wer und warum entscheidet, was gesendet oder gedruckt wird - und was nicht.