Israel und der IStGH: Von „Spiegel“ bis „Pleite“
Dass der IStGH-Chefankläger gegen Netanjahu vorgeht, spaltet Israel. Der Premier spricht von Antisemitismus, Linke begrüßen die Entscheidung.
Der Shitstorm in Israel ließ nicht lange auf sich warten: Khan geselle sich mit seiner Entscheidung zu den größten Antisemiten der modernen Zeit, erklärte Netanjahu in einem Videostatement. Auch Benny Gantz – eine gemäßigtere Stimme in der israelischen Regierung und Kritiker Netanjahus – nannte Khans Entscheidung eine „moralische Pleite“.
Außenminister Israel Katz erklärte, die Entscheidung sei ein „direkter Angriff“ auf die Opfer des 7. Oktober und die Geiseln, die noch immer in Gaza festgehalten werden. Er habe sein Ministerium sofort instruiert, eine „Kommadozentrale“ zu bilden, die gegen die Entscheidung vorgehen solle, so Katz.
Oppositionsführer Jair Lapid wählte hingegen einen eher pragmatischen Ansatz. Im Radio der israelischen Armee erklärte er am Dienstag: Nun sei für Netanjahu der Zeitpunkt gekommen, sich um Normalisierung mit Saudi-Arabien zu bemühen und einem Pfad zu einem palästinensischen Staat zuzustimmen. Der IStGH werde „keinen Ministerpräsidenten verfolgen, der inmitten eines historischen Friedensprozesses ist“.
Die Gleichstellung zweier israelischer Politiker mit Führern der Hamas sei zwar ärgerlich, schreibt die linke Zeitung Haaretz. Doch Netanjahu selbst habe strategische Fehler begangen, die ihn nun in diese Situation gebracht hätten. Er habe jahrelang alle Warnungen ignoriert, und den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern befeuert. Dass es nun soweit sei, dass ihm wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht werden könnte, müsse jeden Israeli beunruhigen.
Hadash sieht sich bestätigt
Deutliche Kritik an Netanjahu und Gallant sowie Zustimmung für das Vorgehen des IStGH kommt aus dem linken politischen Spektrum: Auf dem sozialen Netzwerk X erklärte Hadash, ein Listenverbund sozialistischer Parteien, der mit mehreren Abgeordneten in der Knesset vertreten ist: Die Entscheidung des Chefanklägers sei eine Botschaft an Israel.
Es könne nicht länger „auf seinem Pfad – Gewalt, Besatzung, Töten und Zerstörung – weitergehen“, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden. Auf Anfrage der taz erklärte Hadash weiter: Der IStGH sei „nichts als ein Spiegel“. Die israelische Gesellschaft müsse „hineinblicken und sich fragen: Sind wir bereit, weiterhin ein Komplize dieser Verbrechen zu sein?“
Israel scheint gespalten: Während das Vorgehen des IStGH auch einige scharfe Kritiker Netanjahus zu dessen Verteidigung eilen lässt, sehen andere bestätigt, wovor sie seit Langem warnen: dass Netanjahu und seine Verbündeten mit ihrem harten Vorgehen gegen die Palästinenser – ob man das nun als Verbrechen bewerten möchte oder nicht – ihr Land weiter und weiter in einen diplomatischen Abgrund reißen.
Noch sind die Haftbefehle aber nicht ausgestellt: Der Antrag von Chefankläger Karim Khan ist der erste konkrete Schritt, um ein IStGH-Verfahren in Gang zu bringen. Über deren Ausstellung muss die Vorverfahrenskammer des Gerichts entscheiden. Sollten die Richter zustimmen, wären alle Vertragsstaaten des IStGH – darunter Deutschland – verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen.
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