Israel im Nahost-Krieg: Netanjahus Kriegskabinett zerbröselt

Nach dem Rücktritt von Benny Gantz droht ein weiteres Zerwürfnis. Auch Verteidigungsminister Joav Galant könnte sich gegen Netanjahu stellen.

Israels Verteidigungsminister, Yoav Gallant, während eines Frontbesuchs im Mai 2024.

Vielleicht verlässt auch Verteidigungsminister Joav Galant das Kabinett Foto: Ariel Hermoni/Israel Mod/imago

JERUSALEM taz | Nach einem rund dreiwöchigen Ultimatum an Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat Benny Gantz am Sonntagabend die Reißleine gezogen: Seine Partei National Unity verlässt das Kriegskabinett – und damit auch er selbst sowie sein Parteikollege Gadi Eizenkot. Der gehörte dem Kabinett in beobachtender Funktion an. Aus dem Dreierbund der stimmberechtigten Mitglieder des Kriegskabinetts wird so ein Duo: Übrig bleiben Netanjahu und sein Verteidigungsminister Joav Galant.

Der Grund des Schismas: Zu sechs von Gantz als wichtig erachteten Punkten sollte Netanjahu eine Entscheidung treffen. Er tat dies aber nicht. Dass Gantz darauf besteht, dass Netanjahu einen Plan für den Gazastreifen nach dem beabsichtigten Sturz der Hamas vorlegt – wie es einer der Punkte vorsieht –, ist nachvollziehbar. Auch eine echte Strategie, die noch immer 120 Geiseln aus Gaza zu befreien, scheint weiter zu fehlen. Zwar hatte das israelische Militär am Samstag vier Geiseln retten können, doch dass dabei nach palästinensischen Angaben über 270 Menschen getötet wurden, sorgte wieder für Kritik, vor allem aus dem Ausland.

Neben fünf Punkten, die sich im weitesten Sinne auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern beziehen, stand auf Gantz’ Liste auch ein innenpolitisches Thema: ein Gesetz, das Männer der ultraorthodoxen Gemeinschaft in Israel de facto vom Militärdienst befreien würde. Davon sind sie im Normalfall ohnehin bereits ausgenommen. Die Einberufung, die sonst alle jüdischen Israelis sowie männliche Drusen betrifft, können sie durch den Besuch einer religiösen Schule wieder und wieder hinauszögern, bis sie schließlich das Alter erreichen, in dem sie von der Dienstpflicht ausgeschlossen werden. Diese Regelung soll nun mit weiter abgesenkter Altersgrenze Gesetz werden.

Die Opposition läuft Sturm. Laut Berichten der Times of Israel wollte aber auch Verteidigungsminister Galant noch am späten Montagabend, wenn das Gesetz zur Abstimmung in der Knesset vorliegt, entgegen der Regierungslinie mit Nein stimmen. Das käme laut einigen Analysten dem Beginn eines Zerbrechens der Regierung gleich.

Neben dem Ausdruck seiner Opposition zu Netanjahus Strategielosigkeit hat Gantz mit seinem Rücktritt auch mit dem Wahlkampf begonnen. Die Verfehlungen Netanjahus und seiner Regierung will er nicht weiter als Mitglied des Kriegskabinetts mittragen. Stattdessen will er wohl selbst Premier werden. In seiner Abschiedsrede am Sonntag rief er zu Neuwahlen auf.

Ben Gvir will ins Kriegskabinett

Bis diese stattfinden, hat Gantz’ Entscheidung wohl zunächst den gegenteiligen Effekt von dem, was er mit seinem Rücktritt beabsichtigte. Die rechtsextremen Kräfte in der Regierung gewinnen nun an Einfluss. Und die haben erst recht keinen Plan für eine Zivilverwaltung für die Palästinenser im Gazastreifen nach Ende des Krieges.

Der Times of Israel erklärte ein Vertrauter Gantz’: „Wir hatten keine Wahl, außer zurückzutreten. Kurzfristig wird nicht viel passieren, aber langfristig ist es der einzige Weg, die Regierung zu verändern.“ Doch dafür, dass sich kurzfristig eben doch einiges ändern könnte, möchte nun Itamar Ben Gvir sorgen, der extrem rechte Minister für innere Sicherheit. Sofort nach Gantz’ Ankündigung forderte er Netanjahu auf, den nun freigewordenen Posten im Kriegskabinett mit ihm zu besetzen.

In den vergangenen Monaten ist das Kriegskabinett zur wohl wichtigsten Entscheidungsmacht in Israel avanciert. Ben Gvir erklärte: Die Gründung des Kriegskabinetts habe „Macht von der Koalition und von den Ministern genommen“ und diese ausgeschlossen. Es sei nun an der Zeit, „mutige Entscheidungen“ zu treffen.

Diese beträfen wohl auch einen Geiseldeal mit der Hamas. Ben Gvir hatte angekündigt, einem solchen Plan nicht zuzustimmen. Ende Mai hatte US-Präsident Joe Biden einen Drei-Stufen-Deal vorgestellt. Sein Außenminister Antony Blinken ist derzeit erneut in der Region unterwegs, um für diesen zu werben. Zwar herrscht zwischen der Hamas und Israel noch immer Uneinigkeit beim Thema Waffenstillstand – doch so gering wie derzeit waren die Differenzen wohl schon lange nicht mehr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.