Israel am Shoah-Gedenktag: Unübersehbare Spaltung
Auch wenn die israelische Führungsriege am Shoah-Gedenktag geeint zusammenkamen. Das Land und seine Politiker sind restlos zerstritten.
S elten hat man die israelische Führung so geeint gesehen wie bei der Zeremonie zum Gedenktag an die Schoah. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem saßen am Mittwochabend erklärte politische Gegner nebeneinander: Regierungschef Benjamin Netanjahu, Inlandsgeheimdienstchef Ronen Bar, der Rechtsextremist und Finanzminister Bezalel Smotrich und der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Jizchak Amit. Und doch war die Spaltung unübersehbar: Präsident Jizchak Herzog nutzte die Erinnerung an den Mord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten für eine deutliche Mahnung an die Führungselite: „Die Geschichte wird jenen nicht vergeben, die Israel von innen zerstören.“
Das Land ist eineinhalb Jahre nach dem Terrorüberfall der Hamas restlos zerstritten – über das weitere Vorgehen in Gaza, wo noch immer 59 Geiseln festgehalten werden; über den Frontalangriff der Regierung auf die demokratischen Institutionen; über die Legitimität des bis zum Hals in Korruptionsermittlungen steckenden Premiers.
Netanjahu jedoch schlug Herzogs Mahnung umgehend in den Wind: Israel sei „entschlossen, die Monster der Hamas zu vernichten“, erklärte er. Doch ebendiese Politik der militärischen Härte ohne klares Ziel spaltet das Land im Inneren und isoliert es international. Das zeigen Umfragen ebenso wie die beispiellos hohe Zahl an Reservisten, die nicht mehr zum Armeedienst erscheinen. Der global zunehmende Antisemitismus und die wachsende Abschottung Israels verunsichern viele Israelis. Netanjahus Worte machen wenig Hoffnung auf einen Kurswechsel: „Wenn wir alleine stehen müssen, werden wir alleine stehen“, sagte er.
Doch wer alleine steht, sollte sich zumindest einig sein. Stattdessen schwindet das Vertrauen in die Regierung, in Medien und Gerichte – auf beiden Seiten – und wird bewusst untergraben. Selbst die Sicherheitsbehörden, die eigentlich ganz andere Prioritäten haben sollten, werden in politische Grabenkämpfe hineingezogen. Der Zusammenhalt der israelischen Gesellschaft ist tief beschädigt.
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