Israel-Kritik in Berlin: Demo ohne Denkverbote
Erstmals demonstrieren jüdische, palästinensische und deutsche Vereine zusammen für ein Ende des Gazakrieges. Sie üben harte Kritik an Israels Regierung.
BERLIN taz | Rund 2.000 Menschen haben am Samstag in Berlin für ein sofortiges Ende der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen sowie für eine Aufhebung der Blockade- und Besatzungspolitik demonstriert. Die Teilnehmer folgten einem Aufruf eines breiten Bündnisses von über 50 Organisationen, zu denen die Palästinensische Gemeinde in Deutschland, die Arbeitsgruppe Nahost der Berliner Grünen sowie der Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zählten.
Es war die erste Demonstration, bei der sich palästinensische, deutsche und jüdische Gruppierungen zusammengeschlossen haben, um gemeinsam für ein Ende des Gazakrieges zu demonstrieren. Seit dem Ausbruch des Krieges vor knapp fünf Wochen gingen in mehreren Städten propalästinensische Demonstranten auf die Straße. Immer wieder wurde ihnen Antisemitismus vorgeworfen.
Die Veranstalter der Berliner Demonstration am Wochenende distanzierten sich deshalb vorab von jeglichen rassistischen, antisemitischen und antimuslimischen Parolen. Und die Teilnehmer hielten sich daran. Das bestätigte auch ein Polizeisprecher. Mit harter Kritik an der aktuellen israelischen und deutschen Politik sparten sie dennoch nicht.
Iris Hefets vom Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ sagte zur taz, der Verein fordere die sofortige Aufhebung der Gaza-Blockade, die Einstellung deutscher Waffenlieferungen an Israel sowie die Anklage der israelischen Regierung vor einem internationalen Gerichtshof. Den Antisemitismusvorwurf an Pro-Palästina-Demonstranten bezeichnete Hefets als eine von deutschen Medien befeuerte Debatte. Damit sollten Demonstrationen gegen Israel delegitimiert werden.
Problem Zionismus
Raif Hussein von der Palästinensischen Gemeinde in Deutschland nannte die Politik der israelischen Regierung „puren Faschismus“ und forderte, „dass ihre Verbrechen verfolgt und die Verantwortlichen angeklagt werden“. Er verband seine Aussage mit einem Boykottaufruf gegen Israel. Gleichzeitig stellte er klar, dass das Problem „der Zionismus“ sei. „Nicht jeder Israeli ist ein Zionist. Nicht jeder Zionist ist ein Jude, und nicht jeder Jude ist ein Israeli. Wer das nicht verstehen will, gehört nicht zu uns und auf dessen Unterstützung verzichten wir.“
Anwesend war auch Martin Lejeune, freier Journalist und taz-Autor, der seit dem 22. Juli aus dem Gazastreifen berichtet. Unter den israelischen Angriffen seien gezielte Massaker gegen Männer, Frauen und Kinder gewesen, die nichts mit den Hamas-Kämpfern zu tun hätten, erzählte Lejeune, der am Montag wieder in den Gazastreifen fliegt. Israel hat nach Militärangaben seit Beginn des Kriegs 5.000 Ziele im Gazastreifen angegriffen, militante Kämpfer in dem Gebiet feuerten mehr als 3.000 Raketen auf israelisches Territorium ab. Mehr als 1.900 Bewohner in Gaza kamen ums Leben, auf israelischer Seite wurden bislang 67 Menschen getötet.
Auf der Abschlusskundgebung in Berlin wurde auch ein offener Brief von mehr als 350 deutschen Künstlern veröffentlicht. Darin fordern unter anderem der Regisseur Schorsch Kamerun, der Schriftsteller Rupert Neudeck und die Musikerin Nina Hagen die deutsche Bundesregierung dazu auf, sich für die elementaren Rechte und den Schutz der palästinensischen Bevölkerung einzusetzen. Die Bundesregierung steht fest an der Seite Israels. Die Welt am Sonntag berichtete, dass bis zu 250 Bundeswehrsoldaten im Häuser- und Tunnelkampf durch die israelischen Streitkräfte ausgebildet werden sollen, um für sogenannte asymmetrische Bedrohungsszenarien besser gewappnet zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin