Islam in Deutschland: 100 deutsche Imame pro Jahr
Die Entsendung von Imamen aus der Türkei soll schrittweise enden. Aber wie genau? Das Innenministerium verkündet die Details.
Jahrelang hat Deutschland mit der Türkei über dieses komplizierte Thema verhandelt. Den Durchbruch verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November bei seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin. Man habe sich geeinigt, die Entsendung von Imamen aus der Türkei zu beenden, hieß es. Nun sind die Details geklärt. „Wir mussten warten, bis die Papiere fertig waren“, sagte Jörn Thießen, der zuständige Leiter der Abteilung Heimat im Innenministerium, am Donnerstag der taz. „Es fehlten nur noch die Unterschriften.“ Jetzt ist die Tinte trocken, die Arbeit kann beginnen.
Der Plan ist, dass die DITIB jedes Jahr 100 Imame in Deutschland ausbildet, die künftig in den Moscheen des Verbands predigen sollen. Die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“, wie der volle Name der DITIB auf Deutsch lautet, ist die deutsche Zweigstelle der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara, und mit bundesweit rund 900 Moscheegemeinden zugleich der größte Islamverband in Deutschland.
Die Imame, die in den DITIB-Moscheen predigen, werden bisher von der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Ankara bezahlt und in der Regel für vier Jahre nach Deutschland entsandt. Sie reisen mit Arbeitsvisa ein, die Religionsattachés in den türkischen Konsulaten sind für sie zuständig. Auch Moscheen, die der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB) oder Milli Görüs angehören, greifen auf das Angebot aus Ankara zurück.
Langer Anlauf für den Kurswechsel
Weil diese Imame als türkische Staatsbeamte den Weisungen aus Ankara unterliegen und zum Teil nur wenig über das Leben in der deutschen Gesellschaft wissen, bevor sie nach Deutschland kommen, steht dieses Modell schon seit langem in der Kritik. Nun soll sich das System ändern. Dafür brauchte es ein Abkommen mit der Türkei.
Der Kurswechsel wurde lange vorbereitet. Vor drei Jahren hat die DITIB im Eifel-Ort Dahlem eine eigene Akademie eingerichtet, um Imame in Deutschland auszubilden. Die ersten 25 Teilnehmer schlossen im vergangenen Jahr ihre zweijährige Ausbildung ab. Aktuell nehmen laut Akademieleitung 35 islamische Theologen am zweiten Lehrgang teil – elf Männer und 24 Frauen.
Um das Tempo zu beschleunigen, will die Bundesregierung die Ausbildung der Imame im Inland finanziell fördern – mit insgesamt 500.000 Euro im Jahr. Ihre Ausbildung soll Deutsch-Unterricht, islamische Religionslehre sowie deutsche Geschichte, gesellschaftspolitische Fragen und Werte umfassen und auch Absolventen der Studiengänge für Islamische Theologie an deutschen Universitäten offen stehen.
Wechsel in der Personalaufsicht
Dafür soll die DITIB-Akademie künftig mit dem Islamkolleg Deutschland (IKD) zusammenarbeiten, das eng mit der Universität Osnabrück verbunden ist. Das Islamkolleg wurde 2019 gegründet, um islamische Geistliche und Seelsorger auszubilden, und wird vom Bundesinnenministerium gefördert. Im September 2022 verließen die ersten 26 Absolventen das Islamkolleg mit einem Zertifikat.
Bis die rund 1.000 von der türkischen Religionsbehörde Diyanet entsandten und bezahlten Imame vollständig durch in Deutschland ausgebildete Prediger ersetzt worden sind, wird es viele Jahre dauern. Unklar ist etwa noch, wer die Vorbeter künftig bezahlt. Bereits im nächsten Jahr soll die DITIB aber die Fachaufsicht über ihre Imame übernehmen. Die Zentrale in Köln wird dann die Verantwortung für ihr religiöses Personal übernehmen.
Lamya Kaddor, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, begrüßt diese Weichenstellung. Zwar bliebe die enge Verbindung der DITIB mit der Regierung Erdogan weiter bestehen. Dennoch sei es „ein wichtiges Signal“, dass die direkte Einflussnahme des türkischen Staats zurückgedrängt werde. Kaddor fordert, „dass zusätzlich liberale, progressive Kräfte des Islams in Deutschland ebenfalls als Partner*innen anerkannt und gefördert werden“.
Positiv äußerte sich auch die religionspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Sandra Bubendorfer-Licht: „Hier wird deutlich, dass wir auch im Gespräch mit schwierigen Partnern zu wichtigen und guten Ergebnissen kommen, die unionsgeführte Regierungen in 16 Jahren nicht erzielen konnten“, sagte sie. Nur die DITIB selbst äußerte sich nicht zu dem Plänen. Weder gab sie eine eigene Presseerklärung heraus, noch war sie am Donnerstag für Fragen zu erreichen.
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