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Islam-Erklärer Tibi malt schwarz„Man bekommt es mit der Angst“

Der Politologe und Islamexperten Bassam Tibi beschwört ein apokalyptisches Bild seiner Heimatstadt Göttingen herauf

Migrantengangs und Verbrechenssumpf: Für Bassam Tibi (l.), gern gesehener Islam-Erklärer auf deutschen Bildschirmen,versinkt Göttingen absehbar im Chaos. Foto: Marcel Mettelsiefen/dpa, Martin Schutt/dpa

GÖTTINGEN taz | Jahrzehntelang war er ein gern gesehener Talkshow-Gast und Interview-Partner. Viele Journalisten, die einen Kommentar zum Islam einholen wollten, fühlten sich bei dem Göttinger Politikprofessor Bassam Tibi an einer guten Adresse – so eloquent den traditionellen Islam und den Islamismus verurteilen, das konnte kaum ein anderer Experte. Viele Islamfunktionäre in Deutschland seien integrationsunwillig und akzeptierten keine europäischen Werte, konstatierte Tibi beispielsweise. Er trat für eine Reform des Islam ein und forderte die Christen auf, im interreligiösen Dialog Rückgrat zu zeigen: Täten sie das nicht, so Tibi, würden sie Verachtung ernten.

Islamkritisch also, aber nicht islamophob: Eine solche Einstellung kam gut an, gerade auch im deutschen Meinungsmainstream. Und sie wirkte umso authentischer, da Tibi selbst gebürtiger Syrer ist, der im Alter von 18 Jahren nach Deutschland kam.

Seit seiner Emeritierung im Jahr 2009 wurde es dann stiller um den Wissenschaftler, der parallel zu seiner Göttinger Tätigkeit auch den USA lehrte und vor dem letzten Irak-Krieg auch die US-Armee beriet. Jetzt aber hat sich Tibi mit Verve zurückgemeldet: In der Juni-Ausgabe des Magazins Cicero erschien ein Artikel Tibis unter dem Titel „Ich kapituliere. Der Kopftuch-Islam hat den Euro-Islam besiegt“. Und zu Wochenbeginn ging er in einem Interview auf welt.de scharf mit der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ins Gericht: Durch ihre Entscheidung, eineinhalb Million Menschen ins Land zu lassen, verändere sich Deutschland immens. „Das sehen Sie schon an Göttingen“, sagte Tibi weiter: Die einst studentisch geprägte und „idyllische“ Stadt sehe heute „aus wie ein Flüchtlingslager. Da laufen die Gangs, ob afghanisch oder eritreisch, durch die Straßen, und man bekommt es mit der Angst. Das Göttinger Gemeinwesen ist erschüttert.“

„Unerträglich“ sei die Lage in der Stadt, in der er seit 1973 lebt: „Da kommen Menschen mit keiner Ausbildung und wenig Geld. Und sie erleben eine prosperierende Gesellschaft. All das ist hart erarbeitet. Das kann man nicht einfach verschenken.“Mit der Zeit würden „aus diesen Gruppen Gangs, die sich das dann holen“, will Tibi beobachtet haben. „Göttingen wird in einem Jahr eine Stadt voller Kriminalität. Und das verdanken wir Frau Merkel.“

Bassam Tibi

geboren am 4. April 1944 in eine sunnitische Damaszener Gelehrtenfamilie. Schon als Kind soll er den gesamten Koran auswendig gelernt haben.

In die Bundesrepublik kam Tibi 1962, seit 1976 ist er deutscher Staatsbürger.

An der Göttinger Universität war er von 1973 bis 2009 Professor für Internationale Beziehungen. Er hatte zahlreiche Lehr- und Forschungsaufenthalte auch an ausländischen Hochschulen und wurde über Buchveröffentlichungen sowie – nicht zuletzt– Medienauftritte bekannt.

Tibi war Gründungsmitglied der Arabischen Organisation für Menschenrechte und beteiligte sich am „Cordoba-Trialog“ für den jüdisch-islamisch-christlichen Austausch.

Die Empörung ist groß: Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) sagt, für seine „vorurteilsvollen Aussagen“ bleibe Tibi „jeden Nachweis schuldig“. Göttingen sei stolz darauf, in den vergangenen Jahren rund 1.400 geflüchteten Menschen angemessene Unterkünfte geboten zu haben. Es gebe in der Stadt keine Zeltlager und keine Containerdörfer, niemand lebe in Turnhallen. Eine ganze Reihe von Geflüchteten habe eigene Wohnungen, da gebe es „keine Spur von Lagerleben“.

Auch Köhler sagt, auch unter Flüchtlingen gebe es welche, die auf Abwege gerieten oder geraten könnten. Dennoch nennt er das von Tibi gezeichnete Bild von der „Stadt voller Kriminalität“, in der „afghanische oder eritreische Gangs“ Angst und Schrecken verbreiteten, „ungeheuerlich“.

Für den Göttinger Grünen-Bundestagsabgeordneten Jürgen Trittin belegen Tibis Äußerungen, „dass die Verrohung des politischen Klimas, das Befördern von Vorurteilen kein Privileg von Benachteiligten ist“. Es seien die gesellschaftlichen Eliten, es seien Professoren wie Bassam Tibi, die solche Bilder hoffähig machten: „Wer von einer demografischen Lawine schwadroniert, die über uns schwappt, wer prophezeit, dass Göttingen in einem Jahr eine Stadt voller Kriminalität wird und dafür Frau Merkel die Schuld gibt, der bedient rassistische Klischees“, so Trittin weiter. „Er sät mit Horror-Geschichten Hass gegen Menschen, die bei uns Zuflucht vor Krieg und Zerstörung suchen.“

Trittins christdemokratischer Parlamentskollege Fritz Güntzler sagt, von einem Wissenschaftler hätte er sich „zumindest eine empirische Grundlage für diese gewagte These“ erwartet. Thomas Oppermann, SPD-Fraktionschef und ebenfalls in Göttingen zu Hause, räumt ein, dass sich das Stadtbild verändert habe. Doch „wenn man es richtig angeht, kann das eine Bereicherung sein.“

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15 Kommentare

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  • Von linken und grünen Kreisen wird er oft geschnitten und geschmäht, obwohl er vor allem die erzkonservativen Islam-Verbände kritisiert, gegen die sich seltsamerweise wenige Journalisten der linksgrünen Presse wehren, obwohl man doch erwarten müsste, dass eine kritische Haltung ihnen gegenüber auch eine originär link(sliberal)e Position sein müsste.

     

    Anstelle dessen werden kritische und liberale Muslime wie Tibi, Kelek, Ates und Abdel-Samad im Diskurs an den Rand gedrängt. Ich sehe darin eine gleichermaßen absurde wie gefährliche Anbiederung an den politischen Islam.

     

    In diesem taz-Beitrag wird Bassam Tibi zwischen den Zeilen als apokalyptischer Spinner diffamiert, während seine differenzierten Analysen so stark verkürzt werden, bis sie mit seinen eigentlich getätigten Aussagen nicht mehr viel gemeinsam haben und es werden ausschließlich Stimmen wiedergegeben, die mit Tibi äußerst hart ins Gericht gehen, ohne auch nur einen einzigen Fürsprecher seiner Thesen zu zitieren.

  • Er hat auch noch einiges anderes gesagt, was aus dem Mund eines Gelehrten der beide Denkweisen kennt plausibel klingt.

     

    Ich verstehe aber auch nicht, warum (vermeintlich) Linke Medien unbedingt eine Erzkonservative Kultur verteidigen möchten?

     

    Diese Art der Religion ist und war schon immer bedrückend und menschenverachtend. In Mitteleuropa hat 300 Jahre gedauert, dass die Unterdrückung durch oder mit Hilfe der Religion beendet wurde. Bis in 1970 war der Einfluss für die Menschen noch spürbar.

     

    Aber warum in drei Teufels Namen wollen wir unbedingt den Einfluss durch genau so menschenverachtenden und erdrückenden Religionen zulassen?

     

    Wir Opfern Freiheit zum Schaden von (vor allem) Minderheiten und Frauen, weil ...?

    • @Struppi:

      Ausgezeichnete Antwort! Bin 47. Halb Deutscher, halb Grieche. Meine Eindrücke Abends in Göttingen an Werktagen: Ab 21h sehen Sie keine Frauen auf der Straße! Warum wohl???

  • "All das ist hart erarbeitet. Das kann man nicht einfach verschenken"

    Wer spricht denn von verschenken. Ich denke eher, wir müssen diesen Menschen etwas von diesem Reichtum zurückgeben, der teils auf Kosten ihrer Heimat erwirtschaftet wurde. Vertrieben durch Krieg, mit unseren Waffenexporten. Vertrieben durch die Wirtschaftsmacht von unseren Großkonzernen.

    "hart erarbeitet." wenn ich das lese, bekomme ich mal wieder Sodbrennen. Meins, Meins, Meins, Meins, Meins....

    • @Neinjetztnicht:

      Zwei Gruppen werden gern immer wieder bei passender Gelegenheit durcheinander- bzw. zusammengewürfelt.

       

      1) Die internationalen Industriekomplexe, die zur reinen Selbstbereicherung Ihrer Aktionäre sprichwörtlich über Leichen gehen und jedes Land verwüsten, wenn man sie lässt. Viele davon haben Niederlassungen in Deutschland.

      2) Die deutschen Bürger, an denen der Produktivitätsgewinn der letzten 20 Jahre so gut wie vollkommen vorbeigegangen ist und dieser sehr viele Deutsche sogar ärmer gemacht hat.

       

      Nicht Deutschland ist reich, sondern die deutsche Großindustrie. Wer etwas anderes denkt, der sollte sich weiterbilden. Das Land Deutschland ist mit mehr als 2.000.000.000.000€ verschuldet, die meisten Deutschen haben ebenso Schulden. Immer mehr Menschen leben und arbeiten allein zum Wohl der Industrie in prekären Verhältnissen, so wie es ihnen (der Industrie) einst Schröder nach dem Fall der Mauer versprochen hatte.

       

      Der allergrößte Teil der Deutschen hat nichts zu sagen bei Entscheidungen der Industrie oder der Politik. "Wir" (das Volk) sind nicht in andere Länder eingefallen, lassen dort deren Wälder abholzen oder beliefern sie mit Waffen. Wir sind großteils gegen jede Entscheidung gewesen, die sich als Fehler herausstellte.

       

      Nach dem 2. WK haben die Deutschen in der Tat sehr hart dafür gearbeitet, wieder ein erfolgreiches und produktives Land zu werden, und sie haben es schneller erreicht, als es dem Ausland lieb war.

       

      Wer angesichts der enormen Aufbauleistung "Sodbrennen bekommt", der kennt die Geschichte nicht oder ist vermutlich allgemein ein Deutschenhasser.

  • Herrn Prof Tibi - und vor allem seinen Lesern - sei von einem ebenfalls in Göttingen lebenden Kollegen, der viel in der Stadt und der Uni unterwegs ist, gesagt, dass er mit seiner Sicht und seinen Eindrücken sicher ziemlich allein dasteht. Verstörend und empörend ist dabei am meisten, dass Tibi ex cathedra Unwahrheit verbreitet.

    Von all dem, was er da beschreibt, entspricht nichts den wahren Gegebenheiten:

    - Die immer noch "studentisch geprägte und „idyllische“ Stadt" sieht heute keineswegs aus „wie ein Flüchtlingslager". "Da laufen" keine "Gangs, ob afghanisch oder eritreisch, durch die Straßen, und man bekommt es" nicht "mit der Angst". "Das Göttinger Gemeinwesen ist" auch keineswegs "erschüttert.“

  • für meistkommentiert steht hier aber wenig drin

  • 3G
    34420 (Profil gelöscht)

    Belege für die Aussagen wären eine seriöse Sache.

  • Auf Grund seiner besonderen Vita begrüße ich, dass Prof. Tibi sich zu dem

    Thema auch ohne "empirische Studie" öffentlich zu Wort zu meldet. Am ende

    griffe er sonst noch auf die berühmte Bertelsmann-Studie zurück, mit der seinerzeit (Nov 2014) belegt wurde, das jeder Einwanderer die deutsche Steuer- und Sozialsysteme

    mit durchschnittlich 3300€ p.a. bereichert. (http://www.taz.de/!5027572/)

    Da lese ich doch lieber die konkreten Eindrücke und Erfahrungen von Hr. Tipi,

    auch wenn das, empirisch gesehen, alles nur Einzelfälle sind.

  • 3G
    34420 (Profil gelöscht)

    Es wäre sicherlich hilfreich, wenn sowohl die eine als auch die andere Partei ihre Belege auf den Tisch legen würden. Ist doch bemerkenswert, dass es offensichtlich beide nicht tun. Warum wohl?

  • "Kopftuch-Islam", "Gangs" und "Eritrer" - das klingt alles ganz schön banal. Außerdem finde ich die Problembeschreiber weniger attraktiv als diejenigen, die an eine Lösung denken. Dass Göttingen zu einem Hort des Bandenwesens und der Kriminalität wird, bezweifele ich. Außerdem ist das ganz schön daneben, als geborener Syrer nur die anderen Flüchtlinge anzuprangern. Und was bitte ist denn der "Kopftuch-Islam"? Da müsste er schon mehr leisten, als so einen Begriff wie ein Messer einzusetzen. Man hätte 1963 auch Tibi mit allerlei Adjektiven und Vorurteilen belegen können, als er hier her kam. Für mich ist das alles zu plat und zu pessimistisch, schließlich kann auch Göttingen oder irgendein Ort in Deutschland etwas tun. Es muss nicht negativ verlaufen. Vielleicht kann es das gar nicht, weil nicht jeder Mensch kriminell wird, wenn er Wohlstand sieht und daran nicht teilhaben kann. Das ist auch ein ziemlich schlichter Gedankengang.

  • Mit solchen Beiträgen untergräbt Herr Tibi sein Ansehen und seinen Ruf. Schade, enttäuschend - Wasser auf den Mühlen derer, deren Meinungen geprägt sind von dem was sie wahrhaben wollen.

  • ja, Herr Oppermann - wenn man es "richtig angeht, kann es eine Bereicherung sein". Wenn man es falsch angeht, kann es aber so enden, wie Tibi befürchtet. Und derzeit droht einfach, dass man es falsch angeht, weil alle Behörden mit der großen Zahl überfordert sind, unter den Eingewanderten zahlreiche Leute sind, die eben nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern vor Armut und Perspektivlosigkeit in Tunesien, Marokko usw. geflohen sind. Diese werden keine Chance haben zu blieben, sehen den Wohlstand, von dem sie ausgeschlossen bleiben - das von Tibi bezeichnete Risiko besteht also durchaus.

  • 3G
    34420 (Profil gelöscht)

    Wenn von Prof. Bassam Tibi Belege für seine Aussagen gefordert werden, dann sollten von Trittin u.a. doch sicher auch Belege für deren Aussagen vorzeigbar sein. Und die entsprechenden Kriminalstatistiken könnten deren Belegen zur Seite gestellt werden. Ist doch eigentlich ganz einfach.

    Bleibt trotzdem die Frage:Warum die Kanzlerin diesen unsäglichen Vertrag mit Erdogan abgeschlossen hat, wenn es mit den Flüchtlingen so gar keine Probleme gibt? Und warum so stolz die sinkenden Flüchtlingszahlen vermeldet werden? Das Ganze ist von einer Verlogenheit, die alle Grenzen sprengt. Die, und nicht die Kosten oder die Mühen der Aufnahme der Flüchtlinge etc., ist es, die unsere Gesellschaft beschädigt.

  • Es wird kälter werden in der Gesellschaft . Das weiß jeder ,der eins und eins zusammenzählen kann. Vielleicht gibt es ein paar Sozialromantiker, die das nicht sehen wollen, weil sie weit genug davon weg sind. Das sind für mich Heuchler und wenns drauf ankommt Egoisten.