Iran-Experte über US-Sanktionen: „Trump will den Iran destabilisieren“
Iraner protestieren gegen die Wirtschaftskrise, während die USA Sanktionen verhängen. Politikberater Adnan Tabatabai über den Druck auf Präsident Ruhani.
taz am wochenende: Herr Tabatabai, was hat dem iranischen Präsidenten Hassan Ruhani diese Woche mehr Kopfschmerzen bereitet: die neuen US-Sanktionen oder die Proteste auf den Straßen Irans?
Adnan Tabatabai: Beides zusammen. Auffällig war, dass sich Ruhani in seiner TV-Ansprache kurz vor Inkrafttreten der neuen Sanktionen auf außenpolitische Themen konzentriert hat. Viele Leute waren davon enttäuscht, dass er sich nicht an die eigene Bevölkerung wendet, sondern damit beschäftigt ist, Donald Trump zu antworten. Ruhani argumentiert elitenorientiert.
Die Demonstranten protestieren gegen die Wirtschaftskrise im Iran. Die Arbeitslosenquote ist hoch, und der Rial verliert an Wert. Sind die neuen US-Sanktionen schuld?
Nicht allein, aber ein sanktioniertes Land hat natürlich kein gesundes Wirtschaftssystem. Es gibt Einfuhrverbote, die umgangen werden müssen. Davon profitieren bestimmte Leute. Korrupte Netzwerke bereichern sich. Auf der anderen Seite hat der Iran aber auch hausgemachte Wirtschaftsprobleme: Missmanagement und Korruption sind nicht durch US-Sanktionen entstanden. Die Sanktionen verschärfen den ungesunden Wirtschaftskontext aber.
Dabei sind die Sanktionen doch erst am Dienstag in Kraft getreten. Die Wirtschaftskrise und die Protestbewegung hingegen sind viel älter.
Die US-Administration erzeugt schon lange eine wahnwitzig negative Stimmung gegen den Iran. Das fing schon während Trumps Wahlkampf 2016 an. So ein Klima wirkt sich auf die strategische Planung von Unternehmen aus. Lange vor Inkrafttreten der Sanktionen hat die Debatte Wirkung gezeitigt.
Was will Trump erreichen?
Die US-Administration will den Iran destabilisieren. Die Politik der Destabilisierung bedeutet nicht nur, dass man eine Partei, die sich an das Atomabkommen von 2015 gehalten hat, zu Unrecht bestraft. Sie läuft auch europäischen Sicherheitsinteressen fundamental entgegen. Die US-Politik kann über den Iran hinaus zu einer Destabilisierung der gesamten Region führen. Aus europäischer Sicht ist das eine große Bedrohung.
Adnan Tabatabai
Der Iran-Experte studierte Middle East Politics in London. Seit 2009 berät der selbstständige Analyst Politiker, Stiftungen und Forschungseinrichtungen.
Andersherum gedacht: Je schlechter es dem Iran geht, desto stärker wird sich der Protest gegen das Regime richten. Auf den Straßen waren schon Slogans gegen die Rolle des Iran in Syrien, Libanon und Palästina zu hören. Die Leute wollten, dass sich die Regierung um sie kümmert und nicht um Assad, die Hisbollah oder die Hamas. Vielleicht zieht sich ein schwacher Iran aus den regionalen Konflikten zurück.
Das glaube ich nicht. Früher waren die Sanktionen gegen den Iran viel härter als jetzt unter Trump. Der Westen stand geschlossen dafür ein. Damals hat sich der Iran in keiner Weise anders aufgestellt. Er beteiligte sich am Krieg in Syrien, die Verbindung zur Hisbollah besteht seit Anfang der achtziger Jahre, und die Präsenz im Irak baut der Iran seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 aus. Die Außenpolitik wird sich durch die Unzufriedenheit in der Bevölkerung nicht ändern. Vielmehr wird der Iran versuchen, in den Konflikten der Region seine Verhandlungsmasse gegenüber den USA zu stärken.
Was bedeuten die Sanktionen für die einfache Bevölkerung?
Iranische Unternehmer, die internationale Handelspartner haben, müssen Güter einführen oder exportieren. Dafür muss es Zahlungswege geben. Diese werden jetzt wieder kriminalisiert. Also muss es Umgehungsmechanismen geben, illegale Kanäle. Oft wird über einen Drittstaat gehandelt. In Malaysia oder der Türkei zum Beispiel platzieren sich dann geschickt agierende Unterhändler, die ihrerseits Geschäfte machen wollen. Am Ende werden dadurch Komsumgüter im Iran teurer, die Bevölkerung kann sich also weniger leisten.
Keine Smartphones mehr …
Es ist vielleicht nicht so tragisch, wenn sich jemand kein iPhone oder keine Markenklamotten mehr leisten kann. Wenn die Währung aber insgesamt an Wert verliert, dann sinkt die Kaufkraft drastisch. Es trifft dann auch Lebensmittel und Medikamente. Am Ende sind es die einfachen Bürger, die am meisten leiden.
Und wer profitiert?
Die alternativen Handelswege sind denen vorbehalten, die über die Grenzen des Landes hinweg Handel betreiben können – zum Beispiel dem Militär und den Revolutionsgarden sowie den Unternehmen, die mit ihnen gut vernetzt oder sogar in deren Besitz sind. Die haben einen unverhältnismäßigen Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Unternehmen.
Zurück zu den Protesten: Wer geht auf die Straße, und was konkret erregt den Unmut?
Arbeiter, Lkw-Fahrer, Taxifahrer und Fabrikarbeiter, deren Löhne nicht gezahlt wurden oder zu niedrig sind. Und auch diejenigen, die wirklich ums Überleben kämpfen und darunter leiden, dass die Lebensmittelpreise steigen. Der Anteil der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, liegt im Iran laut IWF bei ungefähr 9,5 Prozent. Und schließlich beteiligt sich eine schwer zu greifende Gruppe von zumeist jungen Leuten an den Protesten, die gegen die gesamte politische Struktur aufbegehrt und sagt: Ihr habt das ganze Land heruntergewirtschaftet!
Das klingt nach einer breiten Bewegung.
Ja, aber der Protest ist momentan recht diffus. Eine politische Programmatik ist nicht erkennbar. Es ist die Wut, die sich angestaut hat. Der Klimawandel verschärft die Not der Menschen noch: Hitze, Dürre, Stromausfälle, Klima- und Kläranlagen funktionieren nicht, der Wasserzufluss in den Haushalten ist defekt. Das zeigt die Bandbreite der Probleme im Iran.
Sind die jüngsten Proteste eine Fortsetzung der Demos um die Jahreswende? Damals erlebte der Iran die stärksten Proteste seit 2009. Es kam zu Zusammenstößen, mehr als 20 Menschen wurden getötet.
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Auch zu Jahresbeginn ging es um die alltägliche Lebenssituation und nicht in erster Linie – wie bei der Grünen Bewegung 2009 – um politische Teilhabe. Außerdem sehen wir heute wie schon im Januar, dass Gegner der Regierung Ruhani die Proteste anstacheln. Auch vergangene Woche war zu beobachten, dass ein einflussreicher Freitagsprediger seiner Gefolgschaft sagte, sie solle ihre Unzufriedenheit auf die Straße tragen. Und auch jetzt wird von außen versucht, Einfluss zu nehmen – sowohl von Exilgruppen als auch von der US-Regierung und regionalen Rivalen wie Saudi-Arabien oder Israel. Sie versuchen, aus einem genuin iranischen Protest Nutzen zu ziehen.
Ist das der Anfang vom Ende der Regierung Ruhani?
Die Proteste werden Ruhani nicht die Präsidentschaft kosten. Es ist zudem unwahrscheinlich, dass sie zu einem Massenphänomen werden. Ruhani muss auch nicht fürchten, abgesetzt zu werden. Gleichzeitig muss die Regierung anerkennen, dass sie so nicht weitermachen kann. Ihr fehlt der Bezug zum wirtschaftlich schwachen Teil der Bevölkerung.
Am Mittwoch hat das Parlament dem Arbeitsminister Ali Rabiei das Vertrauen entzogen. Ein klassisches Bauernopfer?
Es wurden Köpfe gefordert. Das zeigt, dass die Politik auf den Unmut zumindest reagiert. Ob ein neuer Minister die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung in den Griff bekommt, bleibt abzuwarten. Für den Moment ist das nur Symbolik.
Und die Zukunftsaussichten sind nicht gut: Die zweite Runde der US-Sanktionen tritt im November erst noch in Kraft. Dann soll der Ölsektor ins Visier genommen werden.
Die zwei Runden der US-Sanktionen dienen als weitere Eskalationsstufe. Zwischendurch will die US-Administration erreichen, dass der Iran sich zu Verhandlungen über ein neues Nuklearabkommen bereit zeigt. Entscheidend ist die Frage, wie Europäer und Chinesen sowie Irans Nachbarn auf das Ölembargo reagieren werden. Und ob die Amerikaner wirklich bereit sind, auch Maßnahmen gegen Europäer zu ergreifen, die mit dem Iran weiterhin Handel treiben. Je nachdem, wie hörig die anderen Länder den USA sind, wird der Effekt im Iran zu spüren sein.
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