piwik no script img

Investitionen für bezahlbaren Wohnraum„Chronischer Burn-out“

Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt, der Bedarf steigt. Das Bündnis Soziales Wohnen fordert milliardenschwere Investitionen und will Baukosten senken.

Der Bedarf an Sozialwohnungen ist groß Foto: Marcus Brandt/dpa

Berlin taz | Von einem „chronischen Burn-out“ auf dem sozialen Wohnungsmarkt spricht Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts am Mittwoch in Berlin. Seit Jahrzehnten sinkt die Zahl der Sozialwohnungen. 2006 gab es in Deutschland noch gut 2 Millionen, diese Zahl hat sich bis heute nahezu halbiert. Dabei steige der Bedarf an günstigem Wohnraum. „In den nächsten zehn Jahren gehen viele Babyboomer in den Ruhestand, die teils nur mit einer kleinen Rente rechnen könnten“, erklärt Günther und spricht von einem „wohnungspolitischen Dilemma“.

Am Mittwoch stellte er mit dem Kieler Bauforschungsinstitut Arge eine Studie vor, wie Bauen und Wohnen sozial neu justiert werden kann. In Auftrag gegeben wurde sie vom Bündnis Soziales Wohnen, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie die Baugewerkschaft IG BAU angehören.

Aktuell fehlen laut Studie bundesweit 550.000 Wohnungen, insbesondere bezahlbare. Für eine Trendwende bis 2030 müssten pro Jahr mindestens 210.000 Sozialwohnungen neu geschaffen werden, vor allem per Neubau, aber auch durch Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten. „Nur so kann es gelingen, in fünf Jahren die Zielmarke von zwei Millionen Sozialwohnungen zu erreichen“, sagte Günther.

Dafür müssten Bund und Länder den sozialen Wohnungsbau mit 11 Milliarden pro Jahr fördern. Die Summe solle in einem haushaltsunabhängigen Sozialwohnungs-Fonds bereitgestellt werden. Die Neubauziele der Bundesregierung wurden zuletzt weit verfehlt, insbesondere bei den Sozialwohnungen. Von anvisierten 100.000 wurden 2023 nur etwa 23.000 neu gebaut.

Baukosten senken als Lösung?

Um den Wohnungsbau weiter anzukurbeln, hält das Verbändebündnis auch eine Senkung der Baukosten für nötig. „Diese ließen sich bei Sozialwohnungen „um bis zu ein Drittel senken“, erklärte Arge-Chef Dietmar Walberg. Man müsse sich dafür stärker auf Mindeststandards konzentrieren. Gemeint sind etwa dünnere Wände und Decken, kleinere Balkone, der Verzicht auf Garagen oder Kellerräume. Walberg versichert aber: „Sie werden Ihren Nachbarn nicht hören.“ Auch beim Klimaschutz sieht er überzogene Vorgaben. Die Klimaziele könnten aber trotzdem erreicht werden.

Das Bundesbauministerium versteht die Studie als „Rückenwind für unseren starken Fokus auf bezahlbares Wohnen“. Bis 2028 plane der Bund, knapp 22 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau zu geben, erklärte eine Sprecherin der taz. Die Länder kofinanzierten „das um ein Vielfaches“. Das Ministerium wolle Anfang März eine eigene Bedarfsprognose vorstellen. Diese liege „deutlich unter der des Pestel-Instituts“.

Die nächste Bundesregierung müsse „dringend in bezahlbaren Wohnraum investieren“, sagte der grüne Bundestagsabgeordnete und Bauingenieur Kassem Taher Saleh der taz. Sie müsse aber auch den Bestand nutzen und die Gebäude effizienter machen, um Ver­brau­che­r*in­nen vor steigenden CO2-Kosten „zu schützen“. Die wohnungspolitische Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag, Caren Lay, forderte eine „echte Wohngemeinnützigkeit“ und „eine Investitionsoffensive mit 20 Milliarden jährlich für den Bau dauerhaft bezahlbarer, gemeinnütziger Wohnungen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Wieso neu bauen. Es stehen in Deutschland 2 Millionen Wohnungen leer. Sogar in Berlin 40.000ä



    www.tagesschau.de/...leerstand-100.html

    • @Stoffel:

      Unglaublich. Danke für den Link.

  • Hier in Nürnberg werden fleißig neue "Sozialwohnungen" (EOF) gebaut (wenn auch in einem lächerlichen Umfang im Vergleich zum Bedarf). Und jedes einzelne neue Projekt das fertig wird, erweist sich als sozialer Brennpunkt. Sicherheitsdienste werden gebraucht, ein Teil der Bewohner ist schnell von Dreck und Vandalismus genervt und will nur wieder weg.

  • MehrSteuern, mehr Steuern, mehr Steuern, wie wäre es mit billiger bauen?



    Es muss kein 40% Haus sein (Was ohnehin Unsinn ist), und Tiny Häuser passen nicht zur Klientel also lasst Vernunft einziehen.



    P.S. und nicht dauernd von Enteignung reden, dann baut niemand - den keiner will enteignet werden!

  • Wen die Ursachen für die Wohnungsbaumisere interessiert möge mal hier nachschauen:



    de.wikipedia.org/wiki/Neue_Heimat



    www.deutschlandfun...ekulanten-100.html

    Und nebenbei bemerkt: Die CDU war stets ein erklärter Feind der NH ...

    Man darf nicht vergessen, dass die NH als Rückgabe der von den Nazis beschlagnahmten Gelder der Arbeiter dienen sollte.



    Und wo ist das Moos jetzt ?



    Na, da wo das Moos halt hinwandert, nicht wahr ?

  • Ich halte überhaupt gar nichts von den Ideen zum billigen Bauen!



    Wer Schrott baut, kann den Mist in 30 Jahren wieder abreißen. Das bringt uns nicht weiter und ist ökonomischer und ökologischer Blödsinn. Stattdessen sollten wir einfach Dörfer aus Wohncontainern bauen. Die sind billiger, besser und wiederverwendbar, optimal z. B. als Studentenbuden.

    • @Aurego:

      Warum gibt es eigentlich nur noch Entweder - Oder?



      Von unseren oft überzogenen Standards bis zum Schrott gibt es einen riesigen Zwischenraum, innerhalb dessen die Baukosten spürbar gesenkt werden könnten.



      Nicht gesenkt werden kann wohl leider die Gier der Konzerne und Banken, nicht nur im Zusammenhang mit Bauen.

  • Man konnte früher gut in die sozial gebundenen Wohnung investieren. Heute schaut das ganz anders aus. Wenn die Bindung entfällt, muss u.a. energetisch saniert werden, damit ordentlich (damit meine ich vertretbar) vermietet werden kann.

    Dass rechnet sich? Ich denke, die Verunsicheurng ist z groß. Geld ist genug da.



    Und sicher ein Problem: ja, der Mietendeckel....hält die Falschen in den billigen Wohnungen, verhindert Umzug in erstellte, aber teuerere Wohnungen, Leerstand, keiner kauft die alten Bestände weil unrentabel etc. Dann lieber an den Staat vermieten, der die höheren Kosten für Hilfeempfänger bezahlt ? :-/ So viel Ehrlichkeit muss sein!

    Soli-Vorschlag wäre ein Weg, Verlängerung der Förderung/Sozialbindung im Bestand mit angepassten Auflagen zur energetischen Sanierung ggf. auch ein kostenangepasster und schneller Vorschlag, der den Bedürftigen hilft?

  • Ganz einfache Kiste: Den Soli erhalten und die 12 Milliarden in den Wohnungsbau. Unsere Spitzenverdiener werden schon nicht am Hungertuch nagen, auch wenn ihr Gejammer so klingt.