Interview zur Abtreibungspraxis: „Inakzeptabel, dass Frauen sterben“
Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Frauen zu zwingen, ein Kind auszutragen, sagt der österreichische Gynäkologe Christian Fiala.
taz: Herr Fiala, Sie setzen sich dafür ein, dass Frauen abtreiben können. Warum ist Ihnen das Thema so ein hohes Anliegen?
Christian Fiala: Ich habe im Lauf meiner beruflichen Tätigkeit auch in Ländern gearbeitet, wo der Schwangerschaftsabbruch verboten ist. Das sind Zustände, die man als Krieg gegen Frauen bezeichnen muss. Frauen werden nicht von alleine schwanger und deshalb sehe ich auch eine Verantwortung für uns Männer, nicht nur im Fall einer gewollten Schwangerschaft, das Kind ins Leben zu begleiten, sondern auch für die Partnerin da zu sein, wenn die Schwangerschaft, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich ist. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, damit Frauen eine Schwangerschaft ohne Hürden und medizinisch sicher beenden können. Wir müssen die historische Bevormundung überwinden, dass Frauen zum Wohl des Kaisers, des Führers oder auch der Pensionskassa, möglichst viele Kinder in die Welt setzen sollen.
Welche Probleme haben Frauen heute in Deutschland, wenn sie abtreiben möchten?
Frauen sind immer noch in einem großen Ausmaß einer Bevormundung unterworfen. Das beginnt schon vor der Abtreibung. Sie sehen das an der Pille danach, die in zahlreichen Ländern Europas schon seit vielen Jahren rezeptfrei erhältlich war, in Deutschland aber erst seit zwei Jahren. Sie sehen das auch an der Tatsache, dass Frauen immer noch, wenn sie die Pille nehmen, alle drei Monate zum Frauenarzt gehen müssen, um sich ein Rezept zu holen. Oder die Diskussionen über die Kostenübernahme für Hartz-IV-Empfängerinnen – da engagiert sich der Staat überhaupt nicht.
Sind die Gesetze in Deutschland zum Schwangerschaftsabbruch noch zeitgemäß?
Überhaupt nicht! Wenn eine Frau ungewollt schwanger geworden ist, dann ist sie unwürdigen Maßnahmen unterworfen, die darüber hinaus in keiner Weise die Zahl an Abtreibungen reduzieren. Es gibt eine Pflicht-„Beratung“ und danach eine Zwangswartefrist von drei Tagen. Die Beratung darf nicht einmal von der Institution oder Fachkraft durchgeführt werden, die den Abbruch macht, das ist total absurd! In Belgien ist es anders herum. Und in Kanada wurde ein ähnliches Gesetz bereits 1988 ersatzlos vom obersten Gerichtshof gestrichen, weil es mit den Menschenrechten nicht vereinbar ist.
Jahrgang 1959, ist ein österreichischer Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Weltweit setzt er sich für Frauen mit ungewollten Schwangerschaften ein.
Ist es nicht nachvollziehbar, wenn der Staat Rechte eines Ungeborenen schützen möchte?
Dieses Gedankengut stammt aus der Zeit der Monarchie und des Faschismus. Es verkennt vollkommen, was es bedeutet, Kinder verantwortungsvoll ins Leben zu begleiten. Das Bezeichnende ist ja, dass Hitler in „Mein Kampf“ formuliert hat, das Kind sei das höchste Gut des Staates. In erschreckend ähnlicher Weise haben dies 1993 die Richter des Bundesverfassungsgerichtes formuliert. Der Staat hat viele Aufgaben, wie zum Beispiel Menschen mit gewollten Kindern zu unterstützen, aber er kann nicht in den Körper der Frau eingreifen und sie zwingen eine Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Kliniken und ÄrztInnen gemacht? Schreiben Sie uns an abbruch@taz.de
Gibt es ein Vorbild in Europa?
In Frankreich wurde die Pflicht-„Beratung“ bereits 2001 ersatzlos gestrichen und 2015 dann auch die Wartefrist. Dafür übernimmt der Staat jetzt vollständig die Kosten für alle Frauen. Die Parlamentarier in Frankreich befanden, dass Pflicht-„Beratung“ und Wartezeit im Widerspruch zu den Menschenrechten stehen. Die meisten Frauen, die zu einem Abbruch kommen, haben schon eines oder mehrere Kinder, das heißt ein Schwangerschaftsabbruch ermöglicht diesen Frauen, beziehungsweise diesen Paaren, sich verantwortungsbewusst um ihre bereits existierenden Kinder zu kümmern. Insoweit ist ein Schwangerschaftsabbruch eine zentrale familienpolitische Maßnahme.
Rechtspopulisten wollen uns einheitlich und schwach: als deutsche, heterosexuelle Frau und Mutter. Wir halten dagegen: Wir sind People of Color, muslimisch, migrantisch. Wir sind hetero, queer, divers. Wir sind viele. Und wir sind stark.
Lesen Sie am 8. März 11 Sonderseiten der taz zum Internationalen Frauen*tag. Mit Texten u.a. von und mit: Christa Wichterich, Hengameh Yaghoobifarah, Amina Yousaf, Judy Gummich.
Sollte jeder Gynäkologe Abtreibungen anbieten?
Ja, und auch jede Hebamme! Unsere Aufgabe ist es, schwangere Frauen bestmöglich zu betreuen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Frauen danach zu beurteilen, ob sie die Schwangerschaft austragen oder beenden möchten. Ich finde es absolut inakzeptabel, dass Frauen in Europa wieder sterben, weil Ärzte sich weigern, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, wie dies vor drei Jahren in Irland geschah und letztes Jahr in Italien. Das darf nicht passieren.
Was tun Sie dagegen?
Wenn Frauen ungewollt schwanger werden, sind sie unvorbereitet und brauchen innerhalb kürzester Zeit viele Informationen. Ich habe alles, was Frauen wissen möchten, online gestellt. Dazu gehört auch eine Liste – die einzige mit Ärzten und Abtreibungskliniken in Deutschland, die im Netz steht. Nach der Veröffentlichung wurde ich von einem religiösen Fundamentalisten bedroht, und auch die Rechtsabteilungen von zwei deutschen Landesärztekammern haben mir gedroht, mich anzuzeigen. Außerdem fahre ich regelmäßig am Wochenende nach Salzburg, um dort Abbrüche in der Landesklinik vorzunehmen. Der Druck auf die Ärzte ist dort so groß, dass sie sich weigern, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.
Wie schätzen Sie die Chance ein, dass es eine Reform des Paragrafen 218 gibt?
Frau Merkel könnte die Rechte der Frauen ausweiten, wenn sie wollte. Ein Problem ist, dass der Richterspruch von 1993 Frauen eine „Rechtspflicht zum Austragen des Kindes“ auferlegt. Der Staat hätte, das behaupteten die Richter, eine Schutzpflicht für das Ungeborene, welche höher einzuschätzen sei als die Rechte der Frauen. Gegen diese skandalöse Interpretation gab es zu wenige Proteste. Und heute haben die meisten Menschen vergessen, in welchem Ausmaß Frauen immer noch einem Gedankengut aus der Vergangenheit unterworfen werden. Unnötig zu sagen, dass damals sieben von acht Richtern Männer waren und sich die einzige Frau unter ihnen bereits jenseits ihrer Fruchtbarkeit befand. Menschen in ihrer fruchtbaren Lebensphase werden also von Richtern Vorschriften gemacht, die davon gar nicht mehr betroffen waren.
Macht Ihnen Ihr Beruf Spaß?
Der Beitrag, den Ärzte leisten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist essentiell, um das Leben von Familien und Frauen mit gewollten Kindern zu ermöglichen. In dem Sinne ist es eine sehr befriedigende Tätigkeit. Ich habe sehr viele Dinge gemacht in der Medizin, aber nirgendwo anders wurde mir so tief empfundene Dankbarkeit entgegengebracht wie beim Schwangerschaftsabbruch.
Lesen Sie zu diesem Thema auch unsere Reportage „Die ungewollte Patientin“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“