Interview über russische Medien: „Auch ein Informationskrieg“
Der Medienpolitiker Thomas Hacker fordert ein deutsches Gegenmedium zu Russia Today auf Russisch. Auch wünscht er sich mehr Förderung von Exil-Journalist*innen.
taz: Herr Hacker, demnächst könnten Hunderte ukrainische und russische Journalist*innen im deutschen Exil leben. Die einen flüchten vor Krieg, die anderen vor Gefängnisstrafen für Berichterstattung. Was müssen wir tun, damit diese Kolleg*innen hier schnell ihre Arbeit aufnehmen können?
Thomas Hacker: Entscheidend ist, dass sie hier in Deutschland ohne bürokratischen Aufwand aufgenommen werden, eine Unterkunft finden und sich ohne Sorge um ihr Leben schnellstmöglich auch wieder ihrem Beruf widmen können. Zweitens muss das größer werdende Informationsdefizit schnell ausgeglichen werden, damit die Menschen in Russland und der Ukraine erfahren, was Putins Staatsmedien eben nicht berichten. Dieser Krieg ist auch ein Informationskrieg, Informationen in ukrainischer und russischer Sprache müssen die Menschen dort weiterhin erreichen.
ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestags und dort der medienpolitische Sprecher der FDP sowie Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien.
Reporter ohne Grenzen und die Journalistenverbände fordern humanitäre Visa mit einer Arbeitserlaubnis. Unterstützen Sie das?
Ganz klar! Es geht darum, die Pressefreiheit aufrechtzuerhalten und der Kremlpropaganda mit Journalismus entgegenzutreten. Journalistinnen und Journalisten im Exil müssen die Möglichkeit haben, hier zu arbeiten – egal ob für deutsche oder für ausländische Medienunternehmen.
Das Staatsministerium für Kultur und Medien plant eine Förderung von Exiljournalist*innen. Wie können Fördergelder zielgenau und unabhängig verteilt werden?
Reporter ohne Grenzen pflegt Kontakte zu Medienschaffenden auf der ganzen Welt, kennt die Mechanismen vor Ort und Bedürfnisse. Auf solche etablierten Organisationen kann man direkt zurückgreifen, ohne neue Bürokratie aufzubauen. Zudem laufen bereits Programme der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und auch bei der Deutschen Welle.
Das Staatsministerium hatte 2021 schon ein Förderprogramm für Journalismus gestartet – in Höhe von einer Million Euro. Das klingt nach viel, aber viele Projekte könnte man mit einem solchen Betrag nicht ausstatten.
Diese Förderung versteht sich als strukturelle Förderung für unabhängigen Journalismus, also als gezielte Unterstützung der Arbeit von Journalist*innen, damit sie ihre Recherchen durchführen und Themenideen verfolgen können. Die grundsätzliche Finanzierung der Lebenshaltungskosten umfasst sie nicht – dafür gibt es ergänzende Angebote.
Die russischen staatsnahen Sender RT und Sputnik sind in der EU seit Anfang März verboten. In Deutschland wurde schon vorher dem deutschsprachigen RT die Rundfunklizenz verweigert. Manche Provider blockieren derzeit die komplette Website des Nachrichtenportals rt.com. Ist das Sperren von Medien angemessen? Zumal man die kremlnahe Sicht im Netz weiter unschwer findet, wenn man möchte.
Die Frage ist berechtigt! Das EU-Verbot für RT und Sputnik ist in der aktuellen Situation sicherlich ein effektives Mittel, um im Informationskrieg Putins gezielt gegen einzelne Verbreitungsformen vorzugehen. Klar ist aber: Es wird natürlich als Zensur gewertet und schwächt unsere Argumentation als freie demokratische Welt. Wenn wir diesen Schritt gehen, liefern wir Argumente für den Kreml, uns als Feinde des russischen Volkes zu diskreditieren.
Die Folge: Die Deutsche Welle und andere Auslandssender werden für die nächsten Jahre dann keinen Zugang mehr zu Russland bekommen, um durch ihre Berichterstattung in die russische Zivilgesellschaft wirken zu können. Der Informationskrieg wird heute vor allem über soziale Netzwerke geführt. Es ist gut und wichtig, dass vor allem Google und Meta als private Unternehmen entschieden gegen die Desinformationen vorgehen. Tiktok ist ein Fall für sich …
Müssen Medien in russischer Sprache ausgebaut werden, für die Menschen in Deutschland, die vielleicht lieber russischsprachige Nachrichten konsumieren?
Diesen Ansatz verfolgen wir als Freie Demokraten schon länger. Migrationsströme führen die nationalen Grenzen ad absurdum, immer mehr Menschen reisen beruflich oder kommen als Flüchtende in andere Länder. Wir hatten vor 30 Jahren einen relativ großen Zuzug von Russlanddeutschen, die teils in ihren Familien heute noch vorwiegend Russisch sprechen. Da braucht es valide Informationen in der eigenen, hauptsächlich gesprochenen Sprache. Wir sehen insbesondere Chancen durch die Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle, die jetzt schon russischsprachige Programme für das Ausland produziert.
Die Deutsche Welle hat nach einigen Fällen antisemitischer Äußerungen einen inneren Kulturwandel versprochen. Hat sie damit Ihr Vertrauen zurückgewonnen?
Die Deutsche Welle ist mit dem Antisemitismusvorwurf in den arabischen Redaktionen und bei den arabischen Kooperationspartnern sehr offen, transparent und entschieden umgegangen. Neben der internen Aufarbeitung durch den Expertenbericht gibt es intensive Gespräche, um aus den Fehlern und Versäumnissen zu lernen. Die Deutsche Welle hat uns im Kulturausschuss versichert, dass dies auch konsequent umgesetzt wird. Ich habe großes Vertrauen, dass das geschehen wird.
Bei Ihrem Vorschlag würde die Deutsche Welle über die Hintertür im Inland senden, was eigentlich nicht vorgesehen ist.
Über die rechtlichen Hürden müssen wir natürlich reden und diese gegebenenfalls auch verändern. Die Zielgruppen der Deutschen Welle in der digital vernetzten Welt verändern sich. Nationale Grenzen verschwimmen. Wenn die Deutsche Welle im Ausland für die europäischen, demokratischen Werte der Bundesrepublik werben soll, kann sie dies auch im Inland bei den Menschen tun, die unsere Sprache nicht sprechen.
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