Interview mit „Guardian“-Autor Harding: „Trump ist kompromittiert“
Luke Harding hat das groteske Bündnis zwischen Trump und Putin in seinem Buch „Collusion“ beleuchtet. Zeit für ein Gespräch über Macht und Verschwörung.
taz: Herr Harding, können wir kurz auf Ihre Erlebnisse eingehen, als Sie das Moskau-Büro für den Guardian geleitet haben?
Luke Harding: Sicher.
taz: Welche Umstände führten dazu, dass Sie 2011 ausgewiesen wurden?
Harding: Als ich in Moskau – 2007 – ankam, war ich so naiv zu glauben, Russland sei eine Semi-Demokratie, die sich langsam, aber unweigerlich dem Liberalismus zuwendet. Aber ich habe – natürlich – schnell gemerkt, dass das Gegenteil der Fall war: Es war ein Staat, in dem es immer zwielichtiger zuging, der zurückkehrte zu sowjetischen, autoritären Methoden. Er wurde in Wirklichkeit vom KGB geführt, nicht nur von Putin, sondern von Kräften um ihn herum. Das war nicht nur im Inland bedrückend, es war auch international abenteuerlich. Es gab Kräfte, die nicht davon überzeugt waren, die Länder der ehemaligen Sowjetunion seien tatsächlich souverän; der Krieg in Georgien bewies das 2008. Darüber habe ich im Guardian berichtet.
Dann passierte es – warum, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen –, dass Sicherheitsdienste wie der FSB anfingen, mir überallhin zu folgen. Sie sind in meine Wohnung eingebrochen. Sie haben Wanzen installiert, auch Videokameras im Schlafzimmer. Sie äußerten verschiedene Drohungen, einige direkt, andere indirekt gegen mich, meine Kinder, meine Frau. Das alles gipfelte darin, dass es im Herbst 2010 hieß, sie wollten mich abschieben. Dann änderten sie ihre Meinung oder es schien, als ob sie es machten. Als ich im Februar 2011 von London nach Moskau zurückgeflogen bin, wurde mein Visum annulliert und ich saß im Flugzeug fest. Das war’s. Ich habe also nie ganz herausgefunden, warum.
taz: In einem Interview mit der Zeit sagte der ehemalige Vizekanzler Joschka Fischer, die Konfrontation neulich zwischen US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj habe „das Ende des Westens besiegelt. Der Westen war nie nur eine rein machtpolitische Realität, er gründete vor allem auf gemeinsamen Werten.“ Fischer wiederholte, der Westen sei „beendet“, und hier wird es spannend, nämlich „von innen heraus, nicht durch eine auswärtige Macht.“
Harding: Was Fischer als Außenminister machte, habe ich für den Guardian in Berlin verfolgt. Ich respektiere ihn, mag ihn, und ich denke, er hat zur Hälfte recht. Es ist wirklich das Ende gemeinsamer Werte, sicherlich zwischen Trumps Amerika und den Europäern. Eindeutig befinden wir uns in einer neuen und düsteren, chaotischen Epoche – fast einem neuen Zeitalter von Imperien –, wo aus der Sicht von Trump – und von Putin und vielleicht sogar Xi – die Welt einzuteilen ist in Großmächte und mindere Mächte. Den Großmächten steht es zu, ihren Einfluss auf gewisse Zonen geltend zu machen. Für China betrifft das Taiwan und Ostasien. Für Putins Russland ist es Europa – ausbuchstabiert: wir – und für Amerika geht es um Kanada, Grönland, auch Panama und morgen vielleicht noch ein ganz anderes Land. Das wäre ein großer Witz, fast eine Farce, wäre es nicht so ernst.
Da, wo ich gerade bin, in Kyjiv, wurden gerade letzte Nacht bei jüngsten Raketenangriffen fünfzehn Menschen getötet. Jeden Tag sterben Menschen. Russland bombardiert die Ukraine unerbittlich. Zugleich stoppt Trump Waffenlieferungen, nachrichtendienstliche Erkenntnisse, Satellitendaten und haut stattdessen selbst auf die Ukraine. In der Hinsicht denke ich daher, dass Fischer recht hat. Wo er sich irrt, ist zu sagen, der Wandel käme von innen heraus. Die Russen haben enorm viel Zeit, Ressourcen und strategisches Geschick investiert, in ihrem Bemühen, Europa und Amerika zu untergraben. Das Aufbauen, dieses Kultivieren von Donald Trump, das sie seit den 1980er Jahren betreiben, ist nur eine Facette davon – wahrscheinlich die spektakulärste und gruseligste.
taz: Dieses Aufbauen haben Sie 2017 beschrieben, in Ihrem Buch „Collusion – Verrat: Geheime Treffen, schmutziges Geld und wie Russland Trump ins Weiße Haus brachte“.
Harding: Mit Trump habe ich mich schon länger beschäftigt, und in meinem Buch geht es um seine Beziehung zu Russland. Doch das Tempo, mit dem Trump jetzt vorgeht, hat mich wirklich überrascht. Ich war davon ausgegangen, dass er die Militärhilfe für die Ukraine einstellen würde; dass er versuchen würde, die Ukrainer zu hintergehen. Aber das Tempo, mit dem er den Ukrainern ins Gesicht geschlagen hat, während er Putin lobte und die Desinformation des Kremls wiederholte – Selenskyj als Diktator und so weiter –, dann dieser demütigende öffentliche Showdown im Oval Office: das ist außergewöhnlich.
taz: Ungeheuerlich.
Harding: Fast so, als säße da in seinem Arbeitszimmer in Moskau ein pensionierter KGB-General und hätte jetzt einen wirklich plumpen geopolitischen Thriller hingekritzelt, in dem es um einen US-Präsidenten geht, der im Wesentlichen gelenkt wird vom russischen Geheimdienst. Ich meine, mehr oder weniger ist es das, worauf es hinausläuft. Es lässt sich nicht beweisen, dass Trump im Dienst der Russen agiert oder als nützlicher Idiot. Was wir aber feststellen können: In der Geschichte der USA war kein Präsident dermaßen kremlfreundlich. Und das ist eine äußerst alarmierende Situation, sowohl für Amerikaner als auch für die armen Europäer.
taz: Ist die Reaktion der EU auf diese Bedrohung adäquat?
Harding: Ich glaube, dass es inmitten dieser Düsternis eine Chance gibt für Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Klar, es gab viel Kritik und Klagen über Deutschlands Abhängigkeit von russischem Öl und Gas und wie sehr dies der größte strategische Fehler der Nachkriegszeit sei, verantwortet von Merkel und Schröder et cetera. Das ist nicht fair, denn es ist nur ein Teil der Geschichte. Er lässt außer Acht, wie süchtig wir im Vereinigten Königreich nach russischem Geld geworden sind, wo wir es zugelassen haben, dass russische Milliardäre unsere Fußballvereine aufkaufen, unsere Villen und Häuser, auch unsere Politiker. Und wo stehen wir jetzt, 2025?
Ich finde es ziemlich wunderbar zu sehen, wie Keir Starmer (Anm. d. Red.: der englische Premierminister) und Scholz an einem Strang ziehen und dann mit Merz und Macron. Es scheint eine Art gegenseitiges Verständnis zu geben, worum es hier geht, als habe jeder begriffen: Das ist ein Denkzettel. So sehen wir nach einigen Jahren der Desintegration jetzt diesen Prozess, beinahe einer Wiedereingliederung; vielleicht nicht auf institutioneller Ebene, aber mit pragmatischer Politik, auch Emotionen, Empathie und allem, was dazugehört, auch der Unterstützung Selenskyjs – was sehr, sehr wichtig ist. Jetzt, wo die Amerikaner versuchen, ihn zu delegitimieren; und wo die Russen, wie ich glaube, versuchen, ihn zu töten. Wir befinden uns also in einer finsteren Zeit, aber … mein Gott, zu sehen, wie Berlin und London und Brüssel und Paris an einem Tisch sitzen, das wärmt mir mein kleines Remainer-Herz.
taz: Können Sie noch mal zusammenfassen, wie das Verhältnis von Trump und Russland sich darstellt?
Harding: Tatsache ist, dass Donald Trump enorme Geldsummen mit Russland verdient hat, selbst konservativ-reaktionäre Medien wie The Sun haben das bestätigt; finanzielle Verflechtungen sind erwiesen. Das ist Punkt eins. Zweitens wurden in seiner ersten Amtszeit viele Leute ohne sichtbare Qualifikationen eingestellt oder angeheuert, die mit Russland Verbindungen pflegten. Drittens gibt es überzeugende Beweise dafür, dass Trump kompromittiert worden sein könnte. Die interessanten Dokumente hierzu finden sich im Bericht des überparteilichen Geheimdienstausschusses des Senats. Der wurde abgenickt von beiden Parteien, Republikanern und Demokraten. Neben anderem kam dabei heraus, dass der russische Geheimdienst FSB das Ritz-Carlton-Hotel betreut hat mit Personal und versteckten Kameras in Schlafzimmern für Gäste. Mit einem Offizier, rund um die Uhr im Haus, beim Ausspionieren aller Gäste. Das ist nicht Hokuspokus, das ist eine Erkenntnis des Senats.
Die Konsequenz daraus und die Schlussfolgerung ist, dass es in Moskau, im Ritz-Carlton und anderswo Tonaufnahmen von Donald Trump gibt, die bis zu seinem ersten Besuch im Jahr 1987 zurückreichen. Das dürfte eine enorme Menge Material sein, einiges davon abgehört und gefilmt, anderes mit Wanzen gemacht, mal von russischen Geheimquellen, mal verfälscht. Wie ich anfangs sagte, in unserem Schlafzimmer wurde eine Videokamera installiert, als ich mit meiner britischen Frau und Kindern in Moskau lebte. Daher existieren mit Sicherheit Aufnahmen mit mir in irgendwelchen Archiven. Selbstverständlich auch Aufnahmen mit Donald Trump. Und von wegen Verschwörungstheorie: Man muss nur hinschauen, was Trump ganz offen in der echten Welt anstellt.
Beim Krieg in der Ukraine hat er die Seiten gewechselt. Jetzt behindert er nicht nur die Ukraine, sondern er unterstützt Russland aktiv dabei, zu gewinnen und sogar Menschen zu töten. Ab und an denke ich da an ein Gespräch mit Alex Goldfarb, dem besten Freund von Alexander Litwinenko, dem russischen Dissidenten, der mit einer radioaktiven Tasse Tee ermordet wurde. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihm 2015, als er in London bei einer öffentlichen Untersuchung zum Mord an Litwinenko aussagte – und da sagte er zu mir: „Ich hätte nie an Verschwörungen geglaubt, bis ich in eine geraten bin.“
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