Interview mit Grünen-Politiker Giegold: „Den Euro gibt es nur mit Solidarität“
Merkel und Macron schlagen einen Währungsfonds für Euro-Krisenstaaten vor. Dem Grünen Sven Giegold geht das nicht weit genug.
taz: Herr Giegold, Merkel und Macron schlagen einen Währungsfonds für Euro-Krisenstaaten vor. Stabilisiert das die Eurozone?
Sven Giegold: Nein. Wenn einzelne Staaten von einer starken Krise betroffen sind, dann bleibt ihnen auch künftig nichts anderes übrig, als Löhne und Sozialleistungen zu kürzen. Das betroffene Land bekommt Kredite nur für solche Reformen, die schon Griechenland, Portugal oder Spanien so tiefe zusätzliche Arbeitslosigkeit und Armut beschert haben. Das ist kein Ersatz zu dem, was die nationale Ebene stabilisiert, etwa eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung.
Merkel und Macron wollen einen gemeinsamen Haushalt für die Eurozone. Löst das das Problem?
Der Ansatz ist richtig, für einen stabilen Euro reicht es nicht. Macron hatte einen Haushalt in Höhe von drei bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorgeschlagen. Damit könnte man in Krisensituationen wirkungsvoll stabilisieren. Vor allem die Idee der Finanzierung war gut, nämlich die Unternehmensbesteuerung als Grundlage zu nehmen. Immer dann, wenn die Konjunktur in einem Land gut läuft, zahlen die Unternehmen mehr, läuft sie schlecht, zahlen sie weniger. Die Initiative, das Steuerdumping bei Großunternehmen durch eine gemeinsame Unternehmensteuer zu bekämpfen, ist richtig. Den Euro stabilisiert es jedoch kaum, wenn das eingenommene Geld nicht gemeinsam ausgegeben wird.
Sven Giegold
48, ist Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen im EU-Parlament. Im Jahr 2000 war er einer der Mitbegründer von Attac in Deutschland.
Ist das nicht der Einstieg in die in Deutschland gefürchtete Transferunion?
Das ist doch ein Kampfbegriff. Wer eine gemeinsame Währung und einen Binnenmarkt will, der braucht eine gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik. Das beinhaltet auch Transfers. Es ist befremdlich, dass CDU, CSU und FDP, die den Binnenmarkt mal geschaffen haben, jetzt an den Voraussetzungen dafür kratzen. Binnenmarkt und Euro gibt es nur mit Solidarität und Zusammenhalt.
Das Euro-Budget soll für Wettbewerbsfähigkeit, Konvergenz und Stabilisierung in der Eurozone eingesetzt werden. Recht so?
Es wäre besser, sich auf die solidarische Finanzierung von Gemeinschaftsgütern zu konzentrieren: Erasmus für alle, nicht nur für wenige Glückliche. Wir könnten in das europäische Eisenbahn- oder Digitalnetz investieren. Die Bürger müssen europaweit stabil über Grenzen hinweg telefonieren und surfen können. Oder wir finanzieren Start-ups, auch in Regionen, in denen die Banken nicht gut funktionieren. In einer Zeit, in der Populisten das europäische Einigungswerk fundamental angreifen, sind Ziele wichtig, die das europäische Gemeinschaftsgefühl stärken.
Wer soll über die Ausgaben entscheiden?
Der Vorschlag aus Meseberg ist richtig, dass die Entscheidungen innerhalb des europäischen Haushalts liegen sollen. Das fordern wir Grünen schon lange. Daraus folgt, dass die Länder, die diesen Teil des Haushalts speisen, also Eurozone und hoffentlich weitere Staaten plus das Europäische Parlament, entscheiden. Die Mitgliedstaaten werden von den nationalen Parlamenten kontrolliert.
Entsteht so nicht ein Europa der zwei Geschwindigkeiten?
Das Europa der zwei Geschwindigkeiten ist doch schon längst da. In vielen Bereichen schließen sich einige Länder zusammen, andere bleiben draußen, etwa beim Grenzregime Schengen. Wichtig ist, dass die Türen immer offen bleiben. Die Idee von einem Kerneuropa, das die Integration einiger vorantreibt und die anderen außen vor lässt, lehnen wir ab. Wir dürfen uns aber auch nicht von europaskeptischen Staaten bremsen lassen.
Was erwarten Sie vom Sondergipfel zur Migrationspolitik am Wochenende?
Auf dem Gipfel wird Einigkeit darüber bestehen, dass die EU ihre Verantwortung gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen auf Drittstaaten abschiebt. Diskussionen gibt es nur darüber, ob inhumane Flüchtlingspolitik national oder europäisch organisiert wird. Im internationalen Flüchtlingsrecht gilt aber das Prinzip der Nichtzurückweisung. Natürlich haben wir das Recht, Migration zu ordnen, aber wir haben nicht das Recht, Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende zurückzuweisen. Diese ganze Debatte ist auf eine Weise verroht, die ich erschreckend finde.
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