Interview Pornofilmerin Anna Span: "Heute weiß man, was eine Klitoris ist"
In ihrer Jugend war sie als Feministin noch gegen Porno. Doch sie hat ihre Meinung geändert, will sich nicht als Opfer sehen – und propagiert lieber einen eigenen weiblichen Porno-Stil.
taz: Frau Span, warum machen Sie Pornofilme?
Anna Span: Ich habe mich schon immer für Sex interessiert, außerdem wollte ich Frauen filmisch darstellen. Als ich Ende der 90er-Jahre die Kunsthochschule abschloss, konnten Männer aus einem riesigen Angebot an sexueller Unterhaltung wählen: Pornos, Lapdance, Sex gegen Geld. Für Frauen gab es so gut wie gar nichts. Als angehende Filmemacherin war es für mich aufregend, auf ein so unterentwickeltes Gebiet zu stoßen, ästhetisch wie politisch.
Sie bezeichnen sich selbst als Feministin. Wie passt Pornografie dazu?
In meiner Jugendzeit war ich als Feministin natürlich gegen Pornografie. Das änderte sich, als mir mit 16 Jahren klar wurde, dass meine Wut auf die Männer in Wirklichkeit eher eine gerechtfertigte Eifersucht war. In meinen Zwanzigern trat ich der 1989 gegründeten Gruppe Feminists against Censorship (FAC) bei. Die Mitglieder von FAC sind der Meinung, dass nicht pornografische Bilder, sondern realer Missbrauch zu sexueller Gewalt führt und dass Zensur das Problem nur verschärft. Außerdem schreibt Nietzsche in seiner "Genealogie der Moral": Die Sklavenmoral besteht darin, die Herren als böse und sich selbst im Gegensatz dazu als moralisch überlegenes Opfer darzustellen. Anstatt Männer davon abzuhalten, Pornos anzuschauen, entschied ich mich dafür, lieber denjenigen Frauen, die Pornos mögen, eine andere Pornografie anzubieten.
ANNA SPAN (37) studierte Film an der Londoner Kunsthochschule Central St Martin's. In ihrer Abschlussarbeit "Towards a New Pornography" (1998) entwickelte sie eine weibliche Sichtweise auf Pornografie. Seither hat sie mit ihrer Produktionsfirma Easy on the Eye mehrere preisgekrönte Hardcore-Filme produziert und 2003 das Buch "Erotic Home Video" veröffentlicht.
Anna Span hat folgende Regeln für ihre Pornofilme aufgestellt:
1. Die Darstellerinnen sind attraktiv, entsprechen aber nicht dem Pornoklischee "blond, langmähnig, Silikonbrüste".
2. Die Kamera ist nicht nur auf die Frau gerichtet, sondern zeigt häufig Gesicht und Körper des Mannes.
3. DarstellerInnen werden nicht nach Kategorien wie "schwarz", "alt" oder "dick" gecastet, sondern als reale Menschen gezeigt.
4. Filme zeigen viel Vorspiel für Frauen wie z. B. Oralsex.
5. Keine Fixierung auf bestimmte Praktiken wie Analsex oder auf den männlichen Orgasmus.
Woher wissen Sie denn, was Frauen sehen wollen?
"Die Frauen" gibt es nicht, deshalb kann man mit dem Versuch, "Pornos für Frauen" zu machen, auch total daneben liegen. Man muss Filme machen, die einem selbst gefallen - das ist im Porno nicht anders als im Autorenfilm. Meine Filme gefallen auch vielen Männern; Frauen zwischen 25 und 55 Jahren stellen nur 45 Prozent der Käufer. Ich mache also eher Pornos aus einer weiblichen Perspektive.
Wie kann sich eine "weibliche Perspektive" in der männerdominierten Pornoindustrie durchsetzen?
Allein in den USA erscheinen jedes Jahr 30.000 Porno-DVDs. Die meisten dieser Filme werden von Männern gedreht und sind alles andere als frauenfreundlich. Die Pornoindustrie orientiert sich eben immer dahin, wo es Geld zu verdienen gibt. Das heißt aber auch, dass, wenn mehr Frauen sich für Pornos interessieren, sich die Industrie verändern wird. Dass in Zukunft mehr Frauen Filme machen, dass dadurch die Sexszenen anders werden und sich der weibliche Blick auf die Sexualität stärker durchsetzt. Dann kann Pornografie unter Umständen sogar befreiend sein.
Wie unterscheidet sich der weibliche Blick von dem männlichen? Zeigt Frauenporno Blümchensex?
Überhaupt nicht, ich zumindest wollte schon immer Ständer sehen, Ejakulationen und Leute, die nicht zimperlich miteinander umgehen - also zeige ich das auch in meinen Filmen. Kinder und Tiere sind natürlich tabu. Aber der Unterschied liegt nicht darin, was man darstellt, sondern wie man Sex darstellt. Für mich ist die wichtigste Regel, niemals eine Frau zu zeigen, die so aussieht, als hätte sie die Situation nicht unter Kontrolle oder als würde ihr der Sex keinen Spaß machen. Die Frau kann sich auch dafür entscheiden, die Kontrolle an ihren Partner abzugeben - was zählt, ist ihr bewusstes Einverständnis. Alles andere ist reine Geschmackssache: S/M, Pinkeln oder Kacken zum Beispiel kommen in meinen Filmen nicht vor. Aber nicht, weil das unfeministisch wäre, sondern einfach nur, weil ich nicht darauf stehe.
Woran sehen Sie denn, ob eine Frau mit der sexuellen Handlung am Set einverstanden ist?
Wenn ich einen Film drehe, stelle ich zunächst sicher, dass jede Darstellerin einen Reisepass besitzt. Und ich gestatte niemand anderem Zutritt zum Set, so dass es nicht passieren kann, dass etwa ein Zuhälter anwesend ist. Falls eine Darstellerin dann sagt, dass sie etwas nicht machen will, versuche ich nicht, sie dazu zu überreden. Entweder ich drehe die Szene nicht, oder ich drehe eine andere Szene mit ihr. Zufriedene Models lachen am Set und unterhalten sich, unglückliche Models sind eher still - von ihnen habe ich aber wenige kennen gelernt.
Vielleicht täuscht der Eindruck?
Wenn man einen Pornofilm anschaut, dann sieht man doch, ob die Frau einfach nur fake erscheint und nicht wirklich Lust hat - oder ob sie das, was da gerade passiert, echt ablehnt. Natürlich ist das subjektiv und nur ein Eindruck, aber auf diese Weise beurteilen wir alle tagtäglich das Verhalten unserer Umgebung.
Ist die "Neue Pornografie" nur ein Medienhype oder hat sie reale Auswirkungen auf unser Sexleben?
In unserer Gesellschaft ist Sex immer noch mit vielen Ängsten verbunden, und Konservative machen Pornografie für alle möglichen Dinge verantwortlich, die zwischen den Geschlechtern schieflaufen. Den Vorwurf, Pornografie verrohe die Jugendlichen, finde ich zum Beispiel einseitig - wenigstens wissen junge Männer heute, was eine Klitoris ist. Dass Jugendliche durch Pornos vielleicht auch entdecken, dass sie auf Analsex stehen, finde ich per se nicht verwerflich. Ich habe durch Pornografie sehr viel über meinen Körper und meine Fantasien gelernt. Wer nicht ehrlich zu sich selbst ist und die eigenen Wünsche anerkennt, versagt sich einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit.
Das Porn Filmfestival Berlin findet bis zum 25. Oktober im Moviemento-Kino statt. Programm unter www.pornfilmfestivalberlin.de. Für den 24. Oktober ist die Paneldiskussion "Chicks with Guts" angekündigt; sechs Pornfilmregisseurinnen aus den USA, Europa und Australien äußern sich zum Thema Pornografie von Frauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde