Interreligiöses Zeichen in Neukölln: Stadtrat verbietet Gebetsruf
Dar-Assalam-Moschee und evangelische Genezarethgemeinde wollten ein „Zeichen des Zusammenhalts in der Corona-Krise“ senden. Ein Wochenkommentar.
Das House of One etwa streamt über die sozialen Medien fleißig religiöse Orientierung ins allgemeine Tohuwabohu (hebräisch: wüst und leer). Und der RBB übertrug kürzlich ökumenische Krisen-Gottesdienste, in die auch jüdische und muslimische Stimmen integriert waren.
Während beim ersten dieser Gottesdienste die Herren Bischöfe noch sehr auf ihren katholisch-evangelischen Sendeprivilegien beharrten, gelang die liturgische Gleichberechtigung beim zweiten Mal schon besser. Mit den Vertreterinnen des Christen- und Judentums betete in der Gedächtniskirche Mohamed Taha Sabri, der Imam der Dar-Assalam-Moschee.
Doch solche abrahamitische Gemeinschaft kann nur blühen, wo nicht Rechtskonservative wie der Stadtrat Falko Liecke (CDU) das Sagen haben.
Sabris Moschee war es nämlich, die gemeinsam mit der evangelischen Genezarethgemeinde auch in Neukölln ein „Zeichen des Zusammenhalts in der Corona-Krise“ setzen wollte. Die Glocken von Genezareth und der Muezzin von Dar Assalam sollten täglich mit einem gemeinsamen Ruf zum Gebet „Hoffnung, Zuversicht und Solidarität vermitteln“.
Fehler der evangelischen Kirche?
Dass sich beim ersten Gebetsruf am 3. April spontan Menschen vor der geschlossenen Moschee einfanden – der Imam bestritt, dass es sich um Gemeindemitglieder handelte –, war dem Stadtrat für Gesundheit und Jugend ein willkommener Anlass zu einem grundsätzlichen Schlag auszuholen.
Er halte es für einen schweren Fehler der evangelischen Kirche, mit der Moschee in der Flughafenstraße „gemeinsame Sache zu machen“, schrieb er auf Facebook. Dar Assalam gäbe sich „nach außen liberal, predigt aber nach innen die Scharia“. Der legalistische Islamismus sei eine der größten Gefahren für die Demokratie, wie auch linksextremistische Gruppen. In Bezug auf die Sozialdemokrat*innen Franziska Giffey, Martin Hikel und Michael Müller ließ Liecke sich noch zu dem Satz hinreißen: „Berlin hat ein Islamismusproblem bis in die höchsten politischen Ebenen.“
Mit dem einmaligen Vorfall begründete der Stadtrat am Montag schließlich ein Verbot des Gebetsrufs – als ob das geltende Versammlungsverbot nicht ausreichen würde.
Mensch muss der Dar-Assalam-Moschee nicht anhängen, um entsetzt darüber zu sein, wie Liecke versucht, rechtes politisches Kapital aus der aktuellen Einschränkung des Grundgesetzes zu schlagen. Das, nicht der öffentliche Ruf zum Gebet, ist eine Gefahr für die Gesundheit der Demokratie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS