Internierung zum Seuchenschutz: Seuchenhaus für Quarantänebrecher
Stadt und Landkreis Osnabrück wollen Corona-Quarantäneverweigerer in einem bewachten Isolierhaus unterbringen. Akuter Handlungsbedarf besteht aber nicht.
Auch Stadt und Landkreis Osnabrück haben Pläne dafür. Ihr Vorbild: Ein Haus in der nahen Bauernschaft Westladbergen, angemietet vom NRW-Kreis Steinfurt. Ein unscheinbar biederes, ehemaliges Lehrer-Wohnhaus, heute umgeben von einem bedrohlichen Doppelring aus hohen Metall-Sperrzäunen.
Es ist ein Lager, aus dem niemand so schnell entweicht, errichtet für einen Freiheitsentzug, für den Ordnungsämter und Polizei zusammenarbeiten. Im Einsatzfall abpatrouilliert durch Sicherheitspersonal, stellt es eine Drohkulisse dar, die Uneinsichtige, die sich ihrem zweiwöchigen Quarantäne-Hausarrest entziehen, gefügig machen soll. Für Kranke ist es nicht gedacht, nur für „Kontaktpersonen“ der Kategorie I, deren „höheres“ Infektionsrisiko durch längere Nähe zu Coronabetroffenen entsteht.
„Das war in unserem Krisenstab schon lange ein Thema“, sagt Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt Osnabrück. „Für eine solche Situation brauchen wir ja Handlungsfähigkeit.“ Hat es in Osnabrück denn so viele hartnäckige Quarantäneverweigerer gegeben? „Nein“, räumt Jürgensen ein, „nur sehr vereinzelt“. „Aber natürlich müssen wir ein solches Szenario durchspielen, um notfalls ‚vor der Lage‘ zu sein. Irgendwo müssten solche Leute ja hin, damit sie keine Verbreitungsgefahr darstellen.“
Kommune zuständig für Absonderung
Mitte Juni hat sich die Stadt Osnabrück im Schulterschlusss mit dem Landkreis deshalb an den Corona-Krisenstab der Hannoveraner Landesregierung gewandt, parallel an Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), per Brief. „Unserer Auffassung nach“, so Jürgensen, „ist das eine Landesaufgabe, keine der Kommune.“
Die Landesregierung sieht das anders. Stadt und Landkreis liegt zwar noch keine offizielle Antwort vor. Aber: „Die Anordnung einer Quarantäne erfolgt immer durch das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises oder der kreisfreien Stadt“, sagt Justina Lethen, Sprecherin des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, auf taz-Anfrage.
Diese seien zuständig zu überwachen, „dass die Anordnungen zur Absonderung seitens der Bürgerinnen und Bürger eingehalten werden“. Das umfasse auch „eine zentrale Unterbringung in geeigneten Räumlichkeiten, wenn es in Einzelfällen dazu kommen sollte, dass der Anordnung nicht Folge geleistet wird“. Niedersachsen habe „die Aufgabe, für Unterbringung zu sorgen, kommunalisiert“.
Handlungsdruck besteht in Stadt und Landkreis Osnabrück nicht. Aktuell ist die Covid-19-Lage sehr entspannt. Das ist sie schon seit Wochen. Nur 16 Infizierte gab es Ende der Woche, nur 154 Personen waren in Quarantäne. Die Situation ist so undramatisch, dass der Osnabrücker Krisenstab schon seit Mitte Juni aufgelöst ist.
Die meisten der rund 500 Stadtbediensteten, die in den Tagen steigender Zahlen in Sachen Corona tätig waren, verrichten längst wieder ihre normalen Jobs. „Aber wir müssen natürlich reagieren können, sollte es zu einer zweiten Welle kommen“, sagt Jürgensen. „Rechtlich sind die Hürden dafür natürlich ziemlich hoch.“
„Es ist grundsätzlich zweifelhaft, dass Behörden einen solchen Grundrechtseingriff überhaupt durchsetzen dürfen“, sagt der Hannoveraner Rechtsanwalt Paulo Dias auf taz-Anfrage, seine Kanzlei „Recht-Durchsetzen“ ist auf Asylrecht spezialisiert. „Es ist sehr fraglich, ob die Ermächtigungsgrundlage das hergibt, denn sie ist keineswegs hinreichend bestimmt. Das ist im Infektionsschutzgesetz viel zu vage formuliert. Meines Erachtens ist das mit der Verfassung nicht in Einklang zu bringen.“
Es gelte zudem, so Dias, die Verhältnismäßigkeit zu beachten: „Das muss man gegen das Grundgesetz abwägen, die Freiheit der Person, die körperliche Unversehrtheit.“
Hinzu kommt: Eine solche Unterbringung ist nicht nur eine juristische Frage, auch eine politische. Aber eine politische Diskussion hat in Stadt und Region Osnabrück dazu nicht stattgefunden.
Volker Bajus, Fraktion 90/Die Grünen, Mitglied im Rat der Stadt Osnabrück und im Niedersächsischen Landtag Sprecher seiner Partei für Soziales und Justizvollzug, sagt über „dieses Verwaltungsplanspiel“: „Mich irritiert die Debatte. Das mag rechtlich erlaubt sein, aber das wäre ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte. Auch in Pandemiezeiten darf das nur allerletztes Mittel sein.“
Internierungsplan nie öffentlich thematisiert
Bajus stört zudem, dass der Internierungsplan vor dem Brief nach Hannover nie öffentlich thematisiert worden ist – und das, obwohl in Stadt und Region keinerlei Gefahr im Verzug ist. „Wir sehen an den Infektionszahlen, dass die meisten Leute vernünftig sind und sich an die Regeln halten“, sagt Bajus. „Mir ist in Niedersachsen kein Fall bekannt, bei dem so ein ‚Corona-Arrest‘ bei Gericht beantragt oder gar umgesetzt wurde.
In den politischen Gremien war so eine Maßnahme daher auch nicht Thema.“ Dass eine Kommune darüber nachdenkt, wie sie auf Quarantäneverweigerung regiert, sei berechtigt. „Aber es gibt andere Möglichkeiten als ein solches Haus.“
Stadt und Landkreis teilen sich einen gemeinsamen Gesundheitsdienst. Osnabrücks Oberbürgermeister Wolfgang Griesert (CDU) und Landrätin Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) müssen sich also eine gemeinsame Lösung einfallen lassen. Das bedeutet nicht unbedingt ein eigenes Haus: „Denkbar wäre ja auch eine Kooperation mit anderen Kommunen“, sagt Stadt-Sprecher Jürgensen. Kommen also womöglich Osnabrücker nach Westladbergen?
„Jeglichen Zwang lehnen wir ab“, sagt Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der Linken Niedersachsen und Mitglied des Rats der Stadt Osnabrück. „Der Fokus muss darauf liegen, den Menschen die Notwendigkeit der Maßnahmen zu erklären und sie bei der Umsetzung zu unterstützen.“ Quarantäne-Häuser seien sinnvoll, „wenn erkrankte Personen aus einer Wohngemeinschaft mit ansonsten negativen Bewohnern in eine andere Unterkunft temporär umziehen können. Auch eine solche Maßnahme muss jedoch freiwillig bleiben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance