Internet-Aktivist über Hatespeech: „Hetze muss bestraft werden“

Die Facebookgruppe #ichbinhier kämpft seit Ende 2016 gegen unsachliche und aufhetzende Kommentare in sozialen Medien. Ein Admin erklärt, warum.

Eine Frau steht mit dem Rücken zur Kamera. Auf ihrem Rücken hängt ein großes Plakat mit der Aufschrift "Hass ist keine Meinung".

Seit 2016 arbeitet #ichbinhier daran, Diskussionskultur im Internet zu verändern Foto: dpa

taz: Herr Urban, wie schlimm steht es um das Internet?

Alexander Urban: Für Facebook kann ich sagen: Es steht nicht wirklich gut. Es werden Desinformationen gepostet, Stimmung gemacht, gespalten und gegeneinander aufgehetzt. Und ehrlich gesagt ist keine Besserung in Sicht.

Ihre Gruppe #ichbinhier will Hass auf Facebook bekämpfen. Wie machen Sie das?

Wir haben uns Ende 2016 das Ziel gesetzt, die Diskussionskultur positiv zu gestalten. Wir agieren auf den Seiten großer Medien mit mehr als 100.000 Followern. In Ausnahmefällen, bei krassen Shitstorms etwa, gehen wir auch mal auf die Seiten von NGOs oder Personen des öffentlichen Lebens. Wir scannen fast rund um die Uhr die Kommentare unter den geposteten Artikeln. Wenn es besonders hässlich wird, starten wir eine Aktion.

39, ist Wirtschaftsingenieur. Er ist außerdem Administrator der Facebookgruppe #ichbinhier, deren rund 45.000 Mitglieder mit eigenen Posts auf Hass und Fake News auf Facebook reagieren. Privat nutzt er das Netzwerk kaum, am liebsten würde er sich abmelden.

Was passiert dann?

Dann rufen wir unsere Mitglieder auf, selbst unter diesem Post zu kommentieren und sachlich dagegenzuhalten. Inhaltlich machen wir keine Vorgaben, es soll jeder seine eigene Meinung sagen dürfen.

Wie viele Leute machen mit?

Wir haben ungefähr 45.000 Mitglieder, davon sind aber nicht alle aktiv. Das Modera­tionsteam besteht aus 20 bis 25 Menschen. Ein Teil davon übernimmt das Scannen und das Starten von Aktionen. Dafür haben wir einen festen Schichtplan.

Welche Medien sind besonders anfällig?

Auf jeden Fall Bild und Focus Online, aber auch „ZDF heute“ und die FAZ. Da starten wir die meisten unserer Aktionen.

Bild und ZDF heute – das sind sehr unterschiedliche Medien.

Bild und Focus machen Boulevard. Die spielen das Spiel, machen Clickbaiting und heizen dafür die Spekulation auch gerne mal an. Bei ZDF heute sind die Beiträge seriös, da wird eher gegen den Inhalt gehetzt.

Können Sie diesen Unterschied an Beispielen verdeutlichen?

Wenn die Bild etwa reißerisch den Artikel über eine Rentnerin ankündigt, die ins Gefängnis muss, weil sie Flaschen gesammelt hat, dann provoziert sie geradezu Kommentare, die sagen: „Unseren Rentnern wird nicht geholfen, aber wir haben 30 Milliarden Euro für Flüchtlinge“. Bei ZDF heute kommen die Leute eher hervorgekrochen, wenn zum Beispiel über Seenotrettung berichtet wird. Sie nennen Carola Rackete eine Verbrecherin, die ins Gefängnis gehört, während Salvini etwas für sein Volk tut. Und zwar in ziemlich üblen Tönen. Wir starten normalerweise eine bis vier Aktionen am Tag – als es um Rackete ging, waren es bis zu neun.

Haben Sie Kontrolle darüber, wer in Ihrer Gruppe ist?

Ja, denn unter den Moderatoren sind Türsteher, die die Beitrittsanfragen abarbeiten. Wer hetzt, beleidigt oder Verschwörungstheorien verbreitet, kommt nicht rein. Genauso offensichtliche Fake-Profile oder solche, bei deren Privatsphäreeinstellungen so streng sind, dass wir uns kein Bild machen können. Ich schätze, wir lehnen vier bis sechs von zehn Anfragen ab.

Und AfD-Fans?

Das war eine große interne Debatte, und ehrlich gesagt habe ich keine Antwort parat. Wir sind überparteilich, und die AfD sitzt im Bundestag. Insofern könnte man sagen, dass zumindest Gemäßigte nicht ausgeschlossen werden dürften. Andererseits: Gemäßigte AfDler sehe ich momentan keine. Aber die klopfen ohnehin nicht bei uns an …

Wie viel Zeit verbringen Sie damit, das Netz zu beobachten?

Das sind immer ein paar Minuten hier, ein paar da. Wir fangen morgens gegen 7 Uhr an, gegen 23 Uhr schaue ich das letzte mal rein. Da komme ich auf drei bis vier Stunden am Tag.

Eigentlich sollte das nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, oder?

Nein. Aber wir können auch nicht einfach rausgehen und denen das Feld überlassen, die die Stimmung vergiften wollen. Ich sehe uns da eher als Platzhalter für die, die mehr erreichen können.

Wer wäre das? Und wie?

Zum einen müssen die Medien vernünftig unter ihren Posts moderieren. Wenn Desinformation verbreitet wird muss das richtiggestellt werden. Und was eindeutig falsch oder Hatespeech ist, muss gelöscht werden. Und: Hetze muss endlich angemessen bestraft, Opfer müssen geschützt werden.

Und wie? Staatliche ­Ein­griffe in das Internet werden zu Recht auch kritisch beäugt.

Es geht darum, das geltende Recht im Netz durchzusetzen. Mit Eingriffen in die Mei­nungsfreiheit hat das nichts zu tun.

Ist das, was Sie da tun, nicht belastend?

Ja. Aber wir haben uns als Team, wir fangen uns auf. Wichtiger sind die Mitglieder: Für die haben wir jeden Abend einen „Absacker“, ein Musikvideo oder einen längeren Post, und die Mitglieder haben Raum, sich auszutauschen. Der Comic­zeichner Ralph Ruthe hat uns einen Comic gemacht, die Donots ein Video. Diese Wertschätzung ist total wichtig, damit die Leute mit einem positiven Gefühl schlafen gehen und morgens wiederkommen.

Wird Hassrede im Netz unterschätzt?

Ich denke, ja. Als #ichbinhier arbeiten wir nicht in Gruppen oder auf privaten Profilen, wo es noch viel übler abgeht. Aber einige von uns sind auch da ­unterwegs. Als Merkel jetzt so gezittert hat, hieß es da teils: Sie soll sterben. Bisher hätte ich nicht gedacht, dass dann ­jemand losgeht und versucht, sie zu erschießen. Aber nach dem Mord an Walter Lübcke sehe ich das anders. In den Echokammern radikalisieren sich Menschen. Und am Ende entscheidet dann vielleicht ­einer von 10.000, auch zu handeln.

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