Internationales Sommerfestival in Hamburg: Wo aus Seifenblasen Träume platzen
Seit Anfang August läuft das Internationale Sommerfestival in Hamburg. Endlich gibt es wieder gemeinsames Schwitzen vor der Bühne.
S ie habe in Hamburg auf vielen Bühnen gelesen, aber diese sei die allerschönste, sagt Sasha Marianna Salzmann, bevor die nichtbinäre Dramatiker*in, Hausautor*in am Berliner Maxim Gorki Theater, ihren* Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“ vorstellt: auf der „Waldbühne“ unter einer großen Birkenbaumkrone unter einem noch größeren alten Fabrikkran.
Hier, im Avant-Garten hinterm Kulturzentrum Kampnagel direkt am Kanal, findet seit zwei Wochen wieder das Internationale Sommerfestival statt. Der Eintritt ist frei, nach der Salzmann-Lesung singt die ukrainische Musikerin Maryna Zarubina, die vor dem Krieg nach Hamburg geflohen ist.
Überhaupt ist alles frei und offen und wunderbar entspannt hier am warmen Samstagabend im Garten hinterm ehemaligen Fabrikgebäude mit seinen großen und kleinen Hallen. Auf kleinen Grashügeln unter Bäumen und zwischen Gebüschen sitzen Grüppchen. Vor dem Holzhaus des Projekts Migrapolis, in dem Geflüchtete und Nichtgeflüchtete neue Formen des Zusammenarbeitens, -lebens und -feierns erproben, haben Kinder und Erwachsene sichtlich Spaß mit Geschicklichkeits- und Gesellschaftsspielen.
Seifenblasen voller Nebel aus der Maschine tanzen bunt beleuchtet durch die Luft, bis sie in den Händen von Kindern zerplatzen, die zu Musik vom Kopfhörer tanzen. Überall ist hier Raum für Verspieltes: eine kleine Spiegelkabine oder eine handbetriebene Nebelkanone. Und über allem liegt der sanfte Marihuanageruch von der Gruppe Jugendlicher aus dem Stadtteil, die hier ihr Plätzchen zum Chillen für den Sommer gefunden haben.
Culture is healing
Die Kopfhörer sind übrig geblieben von den abgespeckten Corona-Ausgaben, als nur mit Abstand getanzt werden durfte. Und ein wenig spürt man noch, dass sich viele nach zwei Jahren Pandemie erst wieder gewöhnen müssen ans unbekümmerte Draußensein und den Trubel eines Festivals. Aber hier ist der Trubel unaufgeregt, gemütlich und fast schon familiär, überall sieht man strahlende Gesichter, ein paar von ihnen noch mit Maske.
Auch in den Hallen ist es wieder ein richtiges Festival und richtig voll: Fast ausverkauft ist die erste große Bühnenarbeit der irischen Choreografin Oona Doherty, „Navy Blue“. Vor zwei Jahren zeigte sie hier ein kleines Solo über die Zerbrechlichkeit männlicher Gesten, jetzt gibt es als Welturaufführung ein düsteres, fragiles und zugleich wütend-hoffnungsvolles Stück über Krisen und Erlösung.
Und am Schluss wird vor der Bühne wieder so richtig geschwitzt: Im ultrahocherhitzten Musikclub zeigt Festivalstammgast Kid Koala, der eben noch nebenan seinen Live-Animationsfilm „The Storyville Mosquito“ präsentiert hat, gemeinsam mit der Sängerin Lealani seine DJ-Künste.
Und spätestens wenn Jacques Palminger (Dackelblut, Studio Braun, Fraktus) dann für den Rest der Nacht die Plattenteller übernimmt, weiß man wieder mit dem ganzen pandemieirritierten Körper: Culture is healing.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!