Internationale Diplomatie: Zwischen Anstand und Ehrlichkeit
Bisweilen ist die Entscheidung zwischen dem offenen Wort oder mehr Diplomatie richtig schwierig. Das zeigt nicht nur das Beispiel Annelena Baerbock.
A ls Kind habe ich gelernt, dass man nicht lügen soll. Gleichzeitig wurde mir beigebracht, respektvoll mit anderen umzugehen. Sehr schnell war mir klar, dass beides bisweilen im Konflikt miteinander stehen kann. „Was hast du Furchtbares gekocht, das schmeckt wie…!“ ist vielleicht ehrlich, aber sehr unfreundlich. „Das ist gut, aber du brauchst es nie wieder zu kochen“ hingegen mag ein bisschen unehrlich sein, sagt aber in der Tendenz das gleiche aus und ist dafür viel gesichtswahrender.
Dinge zu sagen, es aber eigentlich etwas anders zu meinen, das ist der Kern von Diplomatie. Annalena Baerbock, Deutschlands Chefdiplomatin, hat sich für klare Ehrlichkeit entschieden. Gegenüber ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Ҫavuşoğlu legte sie eine erfrischende Deutlichkeit an den Tag, und zwar, bämm bämm bämm, gleich bei mehreren Themen: die türkischen militärischen Aggressionen in Nordsyrien, der Streit mit Griechenland um Inseln und in Wahrheit um Gasvorkommen im Mittelmeer, die Inhaftierung des Oppositionellen Osman Kavala.
Damit sorgte sie für Debatten. „Nicht hilfreich“ sei das, man solle „bestimmte Themen“ lieber „diplomatisch hinter verschlossenen Türen“ besprechen, sagt zum Beispiel Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland. Geholfen hat Diplomatie allerdings im Umgang mit der Türkei auch nicht. Offensichtlich verstehen Leute wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Leute nur klare Worte.
Man muss so reden, dass sie es kapieren – und in Kauf nehmen, dass sie anschließend beleidigt sind. Sind sie ja sowieso dauernd. „Zielgruppengerechte Ansprache“ nennt man das. Habe ich bei der Marine gelernt. Darf man eigentlich Freude über den Tod eines Menschen äußern? Grundsätzlich in einer zivilisierten Gesellschaft: nein. Punkt. Das heißt aber nicht, dass man da unterschiedlich empfinden darf.
So nahm sich kürzlich in Österreich eine Ärztin das Leben, nachdem sie monatelang massiv von Coronaleugnern und Impfgegnern bedroht worden war. Seither feiern manche im Netz geradezu ihren Tod. Abstoßend ist das, widerlich und inakzeptabel. Mag ja sein, dass das ihre ehrlichen Gefühle sind, aber diese Leute sollten mal ihren Wertekompass überprüfen.
Diese Woche wurde in Afghanistan Aiman Al-Sawahiri getötet, Mitgründer des Terrornetzwerks Al-Qaida und Nachfolger von Osama bin Laden als dessen Chef. Der US-Geheimdienst CIA hatte ihn aufgespürt und per Drohne getötet, als er auf dem Balkon seiner Wohnung in Kabul stand. Auch über seinen Tod äußern nun viele Menschen ihre Freude.
Ich gebe zu: Eine Kerze würde ich für diesen Terroristen nicht anzünden. Er hat sehr viele Menschenleben auf dem Gewissen, und dass er sein monströses Werk nicht mehr fortsetzen kann, finde ich gut. Klar, wäre super gewesen, ihn lebend festzunehmen und ihm den Prozess zu machen. Aber wie hätte das vonstatten gehen sollen? „Ding dong, guten Tag, wir sind von der CIA, Sie sind festgenommen, bitte begleiten Sie uns!“, mitten im von den Taliban beherrschten Kabul? Eben.
Übrigens hatte Angela Merkel nach dem Tod von Osama bin Laden 2011 gesagt: „Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten.“ Auch damals gab es große Aufregung. Ich kann die Bedenken verstehen. Die Frage ist eben, welche Worte man wählt, wie man also ehrlich bleibt und gleichzeitig anständig. Das alte Dilemma.
Auf peinliche Weise ehrlich ist diese Woche die „AfD“. Weil die US-Politikerin Nancy Pelosi die Insel Taiwan besuchte und damit die Volksrepublik China erzürnte, schreibt Parteichef Tino Chrupalla auf Twitter, Pelosi provoziere China „in seinem Vorhof“. Auch Baerbock mache mit und garantiere Taiwan Beistand. Das seien „Kriegsspielereien der Grünen“, „größenwahnsinnig“ und „brandgefährlich“.
Aber zu den Militärmanövern, die die Weltmacht China jetzt vor Taiwan veranstaltet, schweigt er. Wo auch immer in der Welt Feinde der Demokratie am Werk sind, ist die „AfD“ nicht weit. So viel ehrliche, unanständige Nähe zu Diktaturen ist selten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut