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Interessen der jungen GenerationStaatsmacht gegen Jugend

Kommentar von Benno Schirrmeister

Junge Menschen werden im derzeitigen Machtsystem nicht nur vernachlässigt, die Politik richtet sich direkt gegen sie. Zeit für entschlossenen Protest.

Bei einer „Black Lives Matter“-Demo in Hamburg geht die Polizei hart gegen Jugendliche vor Foto: Christian Charisius

K inder an die Macht war mal ein grotesker Witz. Als der Slogan nach dem Ersten Weltkrieg im surrealistischen Drama geprägt wurde, war er noch nicht aufgeladen mit kitschig-klebriger Deutschpop-Utopie, sondern diente als Symbol einer totalen und total unmöglichen Revolte: Die Kinder, so die unerfüllbare Hoffnung, würden es durch bösartige Intelligenz und Unvernunft schaffen, die verhassten Institutionen des vergreisten Staates, Kirche, Militär und Familie, so richtig in die Scheiße zu reiten.

Natürlich hat das in Wirklichkeit nicht stattgefunden! In Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil passiert. Das gerontokratische System zwingt die Kinder dazu, ohnmächtig zuzusehen, wie es die Welt zerstört, die einmal ihre sein sollte. Es gilt als ausgemacht, dass die bevorstehende Wahl daran nichts ändert, wie könnte sie auch: Anders als vor 100 Jahren gäbe es keine Möglichkeit, eine juvenile Herrschaft demokratisch zu legitimieren. Die Demografie steht dem entgegen: Diejenigen, die aktuell als Ver­tre­te­r*in­nen der Jugend gelten könnten, stellen eine verschwindende Minderheit der Wahlberechtigten dar. Kinder haben keine Stimme. Und selbst wenn sie eine hätten: Sie fiele zahlenmäßig kaum ins Gewicht.

Wahlberechtigung ab Geburt?

Die Mehrheit ist also gegen sie. Und entsprechend macht sie – das ist ja nur recht und billig – Politik. Bloß: Sie verbaut der Minderheit die Zukunft. Das machen Rentenprognosen, klima­katastrophale Wetterereignisse, galoppierendes Artensterben und explodierende Wohnungslosigkeit schon jetzt sichtbar. Das weiß auch jeder: Während Gerechtigkeit nur synchron betrachtet worden war, als Frage, wie Konflikte in der und für die Gegenwart zu lösen sind, hat auch das Bundesverfassungsgericht das Recht auf einen diachronen Lastenausgleich anerkannt und es der Politik aufgegeben. Jetzt müsste es halt nur noch jemand wollen.

Ein sympathischer, aber demografisch betrachtet letztlich untauglicher Impuls, das Problem anzugehen, ist, das Wahlalter auf 16, 14, null zu senken – und die Stimmen von weder lese- noch schreibfähigen Kids auf ihre Erziehungsberechtigten zu delegieren: Das würde die lieben Kleinen nicht in ihrer Würde stärken, sondern instrumentalisieren. Sie würden eine Waffe zumal im Kampf darum, Wertvorstellungen jener durchzusetzen, die nach biblischem Imperativ fruchtbar sind und sich mehren.

Aus der Wucht des Vorgehens gegen Jugendliche, die einfach hier sind und laut, spricht die unterdrückte Einsicht, dass der Vorwurf, man klaue ihnen die Zukunft, zutrifft

Viele Jugendliche mucken auf. Das reicht von den Fridays for Future über die diversen autonomen Klimacamps in Oldenburg, Bremen, Hamburg, Hannover, über Braunkohle-Blockaden bis hin zur „Kidical Mass“-Fahrradtour an diesem Wochenende, die einen menschen-, also auch kindergerechten, klimaneutralen Verkehr fordert, oder den Aktionen der Generationen-Stiftung bei fossilen Wahlkampfveranstaltungen.

Und tatsächlich scheint ein starrsinniger Protest hier der politisch sinnvollere Weg als nur pragmatische Forderungen: Er lässt sich nicht durch kleine Maßnahmen beschwichtigen. Wenn ein Systemwechsel notwendig ist – und dafür spricht viel –, reicht es nicht, wenn ein Herr in Anzug ein paar Bonbons und Kugelschreiber verteilt. Und während dieser Protest viele ältere, die guten Willens sind, mitreißt – die Omas gegen rechts, die Scientists for Future treibt ja die Sorge um ihre Kinder und Enkel um –, ruft er oft genug brachiale Reaktionen hervor: Der maßlose Polizeieinsatz an der Hamburger Ida-Ehre-Schule ist ebenso ein Symptom davon wie das aggressive Vorgehen der hannoverschen Polizei gegen Transparente des örtlichen Klimacamps, die den Sonntagsfrieden gestört hätten.

Der Staat wirkt nervös

Der Staat wirkt insgesamt recht nervös, wenn es um junge Menschen geht: Mediale Eliten dreschen mit erbarmungslosem Unverständnis auf Lapsus von New­co­me­r*in­nen unter 50 ein, während Menschen mit Steuerhinterziehungsbeihilfe-Erfahrung die selbst zugeschriebene Kompetenz gern zugetraut wird. Zu Hass und Unverständnis wird aufgerufen, wenn Teens nach Wochen des Stubenarrests open air feiern. Nein, das darf auf keinen Fall passieren, wo kämen wir denn da hin. Die Häufung der Überreaktionen aber ergibt eine Frontstellung von exekutiver Macht und jungen Menschen.

Aus ihr scheint vor allem das schlechte Gewissen einer Politik zu sprechen, die Kindern in der Coronakrise bedenkenlos bedingungslose Solidarität mit älteren und vulnerablen Menschen abverlangt, keine Maßnahmen für eine sichere Beschulung ohne heftige Einschränkungen auf den Weg bringt – jede Lüftung eines modernen Schweinestalls ist besser, flexibler und leiser, als das, was in niedersächsischen Klassenräumen aktueller Standard ist – und sie dann vergisst, wenn es darum geht, gesellschaftliche Teilhabe möglichst infektionssicher neu zu organisieren.

Aus der Wucht des Vorgehens gegen Jugendliche, die einfach hier sind und laut, spricht die unterdrückte Einsicht, dass der Vorwurf, man klaue ihnen die Zukunft, zutrifft. Auch ein Slogan, der eine groteske Situation beschreibt, die aber nicht lustig ist und nicht utopisch. Sondern leider real.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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1 Kommentar

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  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    Wichtiges Thema - mit Interesse gelesen. Wie so oft entlädt sich Zorn über allgemeine strukturelle Missstände an gesellschaftlich schwächeren Gruppen, die dafür nicht verantwortlich sind. Es scheint als hätte der strukturelle und institutionelle Charakter des polizeilichen Rassismus neben migrantischen Milieus und working poor eine weitere Zielgruppe "entdeckt".