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Integration von FlüchtlingenRuf nach der Hausordnung

In Flüchtlingsheimen häufen sich gewalttätige Konflikte. Konservative Politiker instrumentalisieren das für ihre Zwecke.

Eine Notunterkunft für Flüchtlinge in einem Hangar des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof. Foto: Björn Kietzmann

Berlin taz | In den letzten Tagen häuften sich Berichte über Gewalt in deutschen Flüchtlingsunterkünften. Berlin war dabei ein besonderer Brennpunkt. Am Sonntag waren in den Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof mehrere Hundert Flüchtlinge zum Teil mit Messern und Stangen aufeinander losgegangen.

Bei der Essensausgabe war es zum Streit gekommen, die Polizei nahm rund 20 Menschen fest. Am Abend zuvor kam es in einer Flüchtlingsunterkunft in Spandau zu einer Massenschlägerei, bei der Stühlen flogen, Fenster zerstört und Feuerlöscher entleert wurden. Etwa die Hälfte der 1000 Bewohner floh ins Freie und wartete, bis die Polizei wieder für Ruhe sorgte.

Vergleichbare Szenen ereignen sich aber auch in der Provinz. Bei einer Schlägerei zwischen jungen Männern aus Syrien und Afghanistan in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Itzehoe in Schleswig-Holstein wurden in der Nacht zum Montag fünf Beteiligte verletzt.

In einer Sporthalle in Hattersheim im Main-Taunus-Kreis, die als Notunterkunft dient, gingen am Sonntag rund 30 Bewohner aufeinander los; die Polizei nahm zwei Männer im Alter von 17 und 23 Jahren fest. Und in einer Unterkunft in Dresden kam es am Montag Mittag zwischen sechs jungen Männern aus dem Irak und aus dem Iran zum Streit, dabei wurde ein Iraker schwer verletzt.

Es gibt Regeln in unserem Land. Wer sich nicht daran hält, für den gibt es bei uns auch andere Unterkünfte. Mit verriegelten Türen und Fenstern

Frank Henkel, CDU

Konservative Politiker sehen sich dadurch in ihren Klischees bestätigt. Die Fälle zeigten, dass die Flüchtlinge „teilweise religiöse und kulturelle Vorstellungen mitbringen, die zu Konflikten untereinander führen“, erklärte die CDU-Politikerin Erika Steinbach. Dies bekämen „vor allem zum Christentum konvertierte Muslime zu spüren“, behauptete die menschenrechtspolitische Sprecherin der Union. Und Berlins CDU-Innensenator Frank Henkel sprach von einer „Gefahr für den sozialen Frieden“: „Es gibt Regeln in unserem Land. Wer sich nicht daran hält, für den gibt es bei uns auch andere Unterkünfte. Mit verriegelten Türen und Fenstern“, drohte er.

Prompt handelte er sich Widerspruch vom Flüchtlingsrat ein. „Dass eine solche extrem beengte und völlig unzureichend ausgestattete Massenunterkunft Aggressionen fördert, war absehbar“, erklärte der. Und Bernd Mesovic von Pro Asyl hält die Zustände in der Hauptstadt für einen „besonderen Problemfall“. Ballungsgebiete und Stadtstaaten hätten es per se schwerer mit der schnellen Unterbringung so viele Flüchtlinge.

Die Lage hat sich beruhigt

Die Union will auf ihrem Parteitag Mitte Dezember eine „Integrationspflicht“ für Einwanderer beschließen. Die Idee stammt von der rheinland-pfälzischen CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner, die sie jüngst auf einer Konferenz zur Integrationspolitik konkretisierte: Neuankömmlinge müssten sich etwa dazu bekennen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu akzeptieren und den Vorrang deutscher Gesetze vor der Scharia anerkennen, sonst drohen ihnen Bußgelder oder gar die Abschiebung.

Die SPD dagegen präsentierte am Dienstag ein eigenes Konzept zur Integration der Flüchtlinge, das vor allem zusätzliche Milliarden für Bildung vorsieht. So solle der Bund für 80.000 zusätzliche Kitaplätze sorgen und dafür zwei Milliarden Euro für Erzieher bereitstellen und mehr bezahlbaren Wohnraum für alle Bürger zu schaffen. Außerdem will die SPD geduldeten Migranten mit abgeschlossener Ausbildung einen Aufenthaltsanspruch erteilen, damit sie sich eine Arbeit suchen könnten.

In Berlin hat sich die Lage nach den Schlägereien vom Wochenende wieder beruhigt. In der Spandauer Notunterkunft kehrten Mitarbeiter der Berliner Stadtmission gemeinsam mit den Flüchtlingen die Scherben auf und veranstalteten schon am nächsten Tag in der ehemaligen Fabrikhalle ein „Fest des Friedens“.

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11 Kommentare

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  • Es gibt ein ganz, ganz böses Wort in diesem (und vielen anderen Kommentaren), und zwar „Instrumentalisierung“. Das Heranziehen von von Tatsachen, um daraus irgendwelche Folgerungen oder Forderungen abzuleiten, wird als unzulässig erklärt. Eigentlich tut man das ja dauernd: Schlüsse ziehen aus Geschehnissen. Täte man es nicht, wäre jede Meinung unbegründet. Auch das kann einem vorgeworfen werden. Aber über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Schlüsseziehens entscheidet neuerdings, wer als erster „Instrumentalisierung“ ruft."

    • @Nicky Arnstein:

      Ich instrumentiere Ihren Kommentar einmal so, daß ich ihm zustimme!

  • Haben die Flüchtlinge sich abgesprochen und gleichzeitig an allen möglichen Orten angefangen, zu randalieren? Das klingt ja fast schon konspirativ!

    BND, Verfassungsschutz, übernehmen Sie!

  • Die ganzen konservativen A*löcher sollten mal im Feldversuch herausfinden, wie sich ein Haufen von 1000 "deutschen Christen" in so einem Lager verhält... und damit wären dann schon alle Argumente der Idioten widerlegt. Natürlich liegt das großenteils an den Wohnverhältnissen...

    • @Neinjetztnicht:

      Dieser "Großversuch" hat im Rahmen der Bundeswehr über Jahre und Jahre stattgefunden. Zig junge Männer, unterbeschäftigt und gelangweilt oder vom Alltag zutiefst frustriert, wenn nicht sogar durch die Behandlung von Vorgesetzten oder Kameraden traumatisiert, auf engstem Raum kaserniert, mit Zugang zu Alkohol und immanentem Aggressionspotential. Diese Erfahrungen, studiert, erfasst und ausgewertet sind zugänglich und nutzbar. Auch prognostisch. So man will. Nur versetzen uns unsere Politiker derzeit in die desaströse Lage, dass selbst Können und Wollen nicht mehr ausreichen.

    • @Neinjetztnicht:

      Ich kann Ihnen nicht zustimmen.

       

      Selbstverständlich sind bedrängende Lebensbedingungen in Flüchtlingseinrichtungen und das unmittelbare Kriegserleben Ursachen der Gewaltausbrüche.

       

      Syrische und irakische Flüchtlinge wuchsen aber auch in den Diktaturen der Arabischen Sozialistischen Partei der Wiedererweckung, der bis heute in (Rest-)Syrien und vormals im Irak unter Saddam herrschenden Baath-Partei, auf. Die Baath-Partei schuf in beiden Ländern eine an der Scharia orientierte, menschenrechtsferne Rechtssprechung. Selbstverständlich importieren syrische und irakische Flüchtlinge diese Erfahrungen und erlernten Verhaltensweisen. Und: niemand sollte in den Irrglauben verfallen, dass ausschließlich die Opfer dieser Diktaturen auf den Flucht sind. Im deutschen Einwanderungschaos reisen Täter wie Opfer ein. Die Vorstellung das am Münchner Hauptbahnhof auch diese Täter mit ‚tosendem Applaus, Teddybären und Luftballons‘ begrüßt wurden, hat schon was.

       

      Daher ein Vorschlag an die TAZ: recherchiert doch zum Thema arabischer Linksnationalismus. Ein guter Einstieg wäre die sehr aktuelle Frage, warum ausgerechnet Russland sich als natürlichen Verbündeten des linken Diktators Baschar al-Assad sieht.

      • @pillar:

        Na sicher spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Kriegserfahrungen hinterlassen Spuren, welche bei manch einem nie ganz verschwinden.

         

        Ich wollte auch lediglich verdeutlichen, dass es in dieser Art von Lagern auch unter nicht traumatisierten Menschen sicherlich zu schweren Problemen kommen würde.

         

        Nicht zustimmen wiederrum kann ich Ihrer Definition von Assad und Russland. Für mich sind weder Putin/Russland, noch Assad auch nur im Ansatz linkspolitisch einzuordnen.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Warum macht man nicht einfach beides? Beides scheint sinnvoll.

  • "Integrationspflicht" - Da sieht man mal wieder die 'Weitsicht' und Naivität konservativer Politik.

     

    Integration passiert nicht dadurch, dass man jemanden dazu zwingt etwas zu sagen, oder zu tun.

    Integration, oder besser Inklusion funktioniert nur durch Aktivität verschiedener Akteure und beschreibt einen zweiseitigen Prozess der Öffnung und Aufnahme, sowie des Ankommens und Anpassens.

     

    Wer jedoch viele Menschen in einem gefährlichen Religions&Ethnien-Cocktail auf engem Raum, mit mangelhafter Versorgung sich mehr oder weniger selbst überlässt, (Und so sieht die Realität in vielen Geflüchtetenunterkünften leider tatsächlich aus) braucht sich nicht über Ausschreitungen wundern.

     

    Es ist eine Frechheit, dass die Verwaltungsstrukturen nicht geschaffen werden um eine effektive Hilfe und Unterstützung herzustellen.

    Initiativen zerlaufen sich im Treibsand der Bürokratie und Motivation wird durch schleppende Verfahren und willkürliche Urteile geraubt.

  • Ich weiß nicht, ob es wirklich ein sehr konservativer Gedankengang ist, wenn man nichts davon hält, dass auch beschissene Wohnverhältnisse kein Grund sein dürfen, Gewalt gegen Mitbewohner auszuüben, die für diese Zustände nicht verantwortlich sind.

     

    Ich war mal wieder in meinem Kotten am Moor fernab der Zivilisation und habe keine deutschen Nachrichten gehört. Insofern lese ich gerade zum ersten Mal von den Zwischenfällen. Dass jemand wie Steinbach darauf abfährt, verwundert nicht. Nur kann sie das nur dann machen, wenn uns nicht klar mitgeteilt wird, wie die Gewalt dort entstanden ist. Tatsächlich hat weder ein sächsischer Nazi noch ein irakischer Flüchtling das Recht, jemand anderen einfach was aufs Maul zu hauen.

    Die taz sollte die Vorgänge ruhig mal genauer recherchieren, um der Reaktion keine Möglichkeit zu geben, Unsinn darüber in die Welt zu setzen.

    • @Age Krüger:

      Wahrscheinlich ist es genau wie bei Zänkereien unter Kindern schwierig, hinterher den Schuldigen zu finden. Man sollte die Leute nicht wie Vieh zusammenpferchen, und wenn die Stadtstaaten das mangels Platz nicht hinbekommen, dürfen da halt keine hin.

       

      Das muss man sich mal vorstellen, da werden nur 20 Leuties festgenommen, aber 500 flüchten nach draußen in die Kälte - das waren bestimmt die Frauen und Kinder, die jetzt noch ein bisschen traumatisierter sind.