Ehrenamtliche Helferinnen im Lübecker Soli-Zentrum

Foto: Miguel Ferraz Araújo

Integration ukrainischer Geflüchteter:Ankommen im fremden Land

2015 bauten Aktivisten in Lübeck das Solizentrum auf. Jetzt werden Menschen aus der Ukraine unterstützt. Staat und Kommunen haben von damals gelernt.

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12.4.2022, 14:42  Uhr

Einst lagerte die Stadt auf der Wallhalbinsel im Zentrum von Lübeck Baumaschinen. Heute gibt es den „Kost-nix“-Laden, einen Veranstaltungssaal, Fahrradwerkstatt, ein Café, Sprachkurse, Beratung – eine Art all-inclusive der praktischen Solidarität mit Ankommenden: Willkommen im Solizentrum der Hansestadt.

Eine der Grün­de­r:in­nen ist Maria Brinkmann. Im Alltag berät sie für die Stadt Lübeck Menschen zum Thema Altenpflege, in ihrer Freizeit ist sie seit Jahren im Solizentrum aktiv. An einem Nachmittag sitzt sie im Café und erinnert sich an die ersten Monate des Projekts, damals vor knapp sieben Jahren, als Ak­ti­vis­t:in­nen das Gelände kurzerhand besetzten. „Damals wollten viele Ankommende nach Skandinavien“, sagt Brinkmann. Und in Lübeck legen die Fähren ab.

Schon am Bahnhof in Hamburg wurden die Geflüchteten damals registriert, vorangemeldet, in Lübeck erwarteten sie Freiwillige, die sie über den Stadtgraben vorbei am Holstentor zum Solizentrum geleiteten. Über 15.000 Menschen kamen hier an – anders als die Ukrai­ne­r:in­nen heute zunächst ohne Anspruch auf Sozialleistungen und ohne Aufenthaltsrechte, und teils nach einer mehrjährigen Flucht-Odyssee.

Sie schliefen auf Matratzen, bekamen Tickets für die Fähre, bezahlt aus privaten Spenden. „Bäcker brachten Brot, türkische Restaurants Essen. Ak­ti­vis­t:in­nen haben rund um die Uhr Schichten geschoben und Wache gehalten, aus Angst vor Nazi-Angriffen“, sagt Brinkmann. Das lief, bis Schweden Anfang 2016 die Grenze schloss.

Willkommensinitiativen wie das Solizentrum schossen damals überall in Deutschland aus dem Boden. Deutschland gefiel sich darin so gut, dass 2019 gar ein SPD-Politiker beantragte, die Unesco möge die deutsche „Willkommenskultur“ in ihre Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufnehmen. Im Solizentrum will man von so etwas selbstredend nichts wissen. Nicht einmal das Wort „Willkommensinitiativen“ gefällt den Aktiven hier.

„Wir sprechen lieber von Solidarität“, sagt Melissa Lindloge, eine junge Frau, die vor Jahren zum Studieren nach Lübeck kam und seither im Vorstand des Zentrums aktiv ist.

Das Soli-Zentrum steht den Ukrai­ne­r:in­nen offen

Das hat auch in den Jahren weitergemacht, in denen weniger Flüchtlinge kamen, auch während der Pandemie, in denen Cafébetrieb und Veranstaltungen nur schwer möglich waren. Das Gelände durften die Aktiven vorerst behalten.

Und so kann Lübeck heute angesichts der flüchtenden Menschen aus der Ukraine auf eine umfassende Infrastruktur zurückgreifen, in der Zivilgesellschaft und Verwaltung einander ergänzen und Ankommenden zur Seite stehen. Im Solizentrum ist jeder willkommen. Zwei Dutzend Freiwillige bieten Fahrradreparaturen, Hilfe im Alltag, Rechtsberatung, kochen Kaffee, übersetzen und halten den Umsonstladen offen.

Ein altes Haus mit weißen Wänden und einem roten Ziegeldach

Offen für Geflüchtete: Das Soli-Haus in Lübeck Foto: Miguel Ferraz Araújo

Weit mehr als 300.000 Ukrai­ne­r:in­nen sind in Deutschland seit Beginn des Krieges Ende Februar in Deutschland registriert worden. Es sind viel mehr Menschen in viel kürzerer Zeit als im Jahr 2015, als die Flüchtlinge über die Balkanroute kamen. Dennoch lässt sich heute auf den Erfahrungen aufbauen, die Länder und Kommunen, alte und neue Beratungsstellen, Tausende Gruppen und Hunderttausende Freiwillige damals sammelten.

Wie nach einem Winterschlaf finden sich viele von ihnen in diesen Wochen erneut zusammen. Sie reaktivierten Kontakte, Räumlichkeiten, Netzwerke. Was 2015 spontan entstand, baut heute vielfach auf Bestehendem aus dieser Zeit auf.

Melissa Lindloge, Soli-Zentrum Lübeck

„Wir haben Aufgaben übernommen, die der Staat nicht erledigt hat. Heute sagen wir da: Nee.“

Trotzdem geht es im Lübecker Solizentrum viel ruhiger zu als vor knapp sieben Jahren. Das liegt nicht nur an einer gewachsenen Routine oder daran, dass viele Ukrai­ne­r:in­nen von Landsleuten versorgt werden. „Wir haben damals Aufgaben übernommen, die der Staat nicht erledigt hat“, sagt Lindloge. „Heute sagen wir da deutlicher: Nee.“ Das heißt vor allem: Für Übernachtungen ist das Zentrum nicht geöffnet. „Das wollten wir nicht noch mal machen, 2015 ging das echt an die körperlichen Grenzen von allen, viele haben kaum geschlafen.“

Diesmal wolle man anders helfen als mit Matratzen. Um die Übernachtungen habe sich die Stadt zu kümmern, sagt Lindloge. Und das funktioniere auch. Neben den städtischen Unterkünften gebe es viele Angebote von Privatpersonen, die städtische Freiwilligenagentur koordiniere diese. „Bei denen haben sich auch viele Strukturen verbessert“, sagt Lindloge.

Das gilt nicht nur für die Erstaufnahme durch die Kommunen und für die Tausenden zivilgesellschaftlichen Initiativen im Land, die den Ukrai­ne­r:in­nen beim Ankommen helfen. Es gilt auch für jene, die den Menschen beim zweiten Schritt in ein möglicherweise neues Leben in Deutschland helfen – dem Weg auf den Arbeitsmarkt.

Vier Frauen sitzen in einem improvisierten Café

Café im Lübecker Soli-Haus Foto: Miguel Ferraz Araújo

Schon als die ersten Ukrai­ne­r:in­nen eintrafen, zeichnete sich ab: Die deutsche Wirtschaft hat angesichts von Fachkräftemangel und den in Rente gehenden Ba­by­boo­me­r:in­nen ein großes Interesse an den Menschen, die gerade vor Krieg und Zerstörung fliehen. Die Ankommenden profitieren dabei heute von einer Vielzahl an Institutionen, die ab 2015 ausgebaut wurden: Mit Fachsprachkursen, Weiterbildung, Nachqualifizierung, vor allem aber der Anerkennung mitgebrachter Abschlüsse. Mit Erfolg: Ab 2015 angekommene Flüchtlinge sind im Durchschnitt deutlich schneller erwerbstätig als solche, die in früheren Jahren nach Deutschland kamen, als es all diese Programme nicht gab.

Berufsausbildung leichter anerkennen

Eine dieser Institutionen ist das vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte BQ-Portal. Ende März organisiert die Plattform eine Onlineveranstaltung zur Anerkennung ukrainischer Berufsabschlüsse. Mehr als 250 Interessierte haben sich zugeschaltet, die Fragen im Chat trudeln im Sekundentakt ein. „Zurzeit kommen ja fast ausschließlich Frauen. Welche Berufe bringen diese mit?“ Oder: „Welchen Abschluss haben Pflegekräfte in der Ukraine?“ Oder: „Gilt das Mindestlohngesetz für ukrainische Beschäftigte?“

Zwei Referentinnen führen durch das ukrainische System der Berufsbildung und die deutsche Bürokratie. Sie erklären, dass es in Deutschland reglementierte Berufe gibt – etwa im medizinischen Bereich oder wenn es um Meister geht –, bei denen eine Anerkennung zwingend nötig ist. Und dass der Bildungsstand in der Ukraine vergleichsweise hoch sei und die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele der Geflüchteten berufliche oder Hochschulabschlüsse mitbringen.

Großherzigkeit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat die Deutschen aufgerufen, gegenüber den Flüchtlingen aus der Ukraine eine länger andauernde Hilfsbereitschaft zu zeigen, als sie es bei den syrischen Flüchtlingen 2015 getan haben. „Die Großherzigkeit muss diesmal länger tragen als ein paar Monate“, sagte Heil der Bild am Sonntag. „Dieser Krieg kann noch sehr lange dauern. Darauf müssen wir uns als Gesellschaft einstellen.“

Kita für jedes Kind Nach Angaben von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sind „die Hälfte der Geflüchteten Kinder und Jugendliche, von den Erwachsenen sind mehr als drei Viertel Frauen“. Angesichts dieser Zahlen appellierten beide Minister besonders an Eltern und Erziehungskräfte, trotz der knappen Betreuungsplätze Solidarität zu zeigen. „Jedes Flüchtlingskind soll sich in unseren Schulen und Kitas willkommen fühlen“, sagte Stark-Watzinger.

Hohes Bildungsniveau Beide Minister lobten das hohe Bildungsniveau der ukrainischen Geflüchteten. „Laut einer Befragung haben 73 Prozent der Flüchtlinge ein Studium abgeschlossen, zehn Prozent sprechen gut Deutsch“, sagte Stark-Watzinger. Die Menschen seien gut ausgebildet und müssten seitens der Arbeitgeber entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt werden. „Sie sind keine billigen Arbeitskräfte“, betonte die Ministerin. (afp)

Geflüchtete aus der Ukraine dürfen sofort anfangen zu arbeiten, sobald sie sich registriert haben. Viele Ar­beit­ge­be­r:in­nen legen Wert auf eine Anerkennung des ukrainischen Abschlusses. Die ist nicht immer einfach. Das duale deutsche Ausbildungssystem – betriebliche Ausbildung plus Berufsschule – ist recht einmalig. Komplex ist daher die Klärung, ob eine ukrainische Ausbildung gleichwertig ist und wenn nein, welche Zusatzqualifikationen nötig sind. Schließlich sind die in vielen Berufen nötigen Sprachkenntnisse eine Hürde für den schnellen Berufseinstieg.

Ende März beriet Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit Ver­tre­te­r*in­nen von Gewerkschaften und Ar­beit­ge­be­r:in­nen über die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter. Zuerst gehe es um die Versorgung derer, die jetzt vor Krieg fliehen, sagte Heil. Trotzdem müsse man sich rasch einen Überblick darüber verschaffen, mit welchen Qualifikationen die Menschen kämen, und man müsse „schneller werden, was die Anerkennung betrifft“. Auch Kita- und Schulplätze müssten rasch her, damit die Erwachsenen arbeiten können.

Andrang beim Verein Club Dialog

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine klingelt ständig das Telefon im Berliner Verein Club Dialog. Die Migrantenorganisation berät Menschen zur Anerkennung von Berufsabschlüssen. Sie ist Teil des IQ-Landesnetzwerks Berlin, eines von Heils Ministerium finanzierten Programms, das die Arbeitsmarktchancen von Eingewanderten verbessern will. Club Dialog hat seit jeher einen Schwerpunkt auf Osteuropa. „Uns rufen Leute an und fragen, was sie arbeiten können“, sagt Julia Merian, die Projektleiterin. Es rufen aber auch Leute an, „die am liebsten gleich Statistiken von uns haben wollen darüber, wie viele kommen und mit welchen Abschlüssen“. Doch dafür sei es noch viel zu früh.

Normalerweise muss man für eine Beratung im Club Dialog einen Termin machen, Formulare ausfüllen. Doch für aus der Ukraine Geflüchtete gibt es eine offene Sprechstunde: Von Montag bis Freitag können die Menschen einfach vorbeikommen. Von den sechs Be­ra­te­r:in­nen sprechen vier Russisch und Ukrainisch. „Und zwar auf Muttersprachniveau“, sagt Merian.

Unter den Ratsuchenden seien viele Akademiker:innen. Die meisten hätten ihre Diplome dabei. Das ist für die Anerkennung wichtig. Doch vieles sei noch ungewiss, sagt Merian. Zum Beispiel, ob und wenn ja wie lange die Menschen in Deutschland blieben. Und auch, wann sie bereit seien, sich tatsächlich um Berufseinstieg und Anerkennungsfragen zu kümmern. „Wir reden hier über Menschen, deren Kriegserfahrungen nicht Wochen oder Monate zurückliegen, sondern Tage oder Stunden“, sagt Merian. „Natürlich erklären wir ihnen, was sie brauchen und wie die einzelnen Schritte aussehen. Aber das ist alles perspektivisch.“

Das liege nicht zuletzt an der Sprachbarriere. In manchen Branchen sei es unkompliziert, etwa in der IT, wo meist ohnehin Englisch gesprochen wird. Aber: „Normalerweise kommen Menschen zu uns, die sich lange auf den Umzug nach Deutschland vorbereiten, mitunter jahrelang.“ Die machen dann teils vorher Sprachkurse. „Die Menschen jetzt haben sich innerhalb von Stunden entschlossen zu fliehen.“

In Merians Beratung sei bislang nur eine junge Frau aus der Ukraine gekommen, die gut Deutsch gesprochen habe. Um aber etwa als Ärztin in Deutschland arbeiten zu dürfen, ist Sprachniveau C1 vorgeschrieben. „Was soll ich den Leuten denn da sagen, wenn sie nach Aussichten fragen?“

Aufenthaltstitel ohne langes Asylverfahren

Dass sich diese Fragen für die Menschen aus der Ukraine überhaupt schon stellen, liegt an einer rechtlichen Besonderheit: Für sie wurde EU-weit erstmals die sogenannte Massenzustromsrichtlinie angewandt. So bekommen sie humanitäre Aufenthaltstitel – Arbeitserlaubnis inklusive –, ohne ein langwieriges Asylverfahren durchlaufen zu müssen.

Andere Geflüchtete dürfen in den ersten drei Monaten überhaupt nicht arbeiten. Läuft ihr Asylverfahren noch oder sind sie geduldet, brauchen sie die Erlaubnis der Ausländerbehörde – und die ist Ermessenssache. Müssen sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben, gilt ein striktes Arbeitsverbot. War dieser Zeitraum früher noch auf wenige Monate begrenzt, hat die Große Koalition ihn auf bis zu 18 Monate ausgedehnt. Viele Asylsuchende dürfen deshalb monate-, mitunter jahrelang nicht arbeiten.

Auch deshalb begrüßt Petra Bendel, die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Migration und Integration, die Regelungen für die Ukrai­ne­r:in­nen ausdrücklich. „Diese Richtlinie erlaubt es uns, sofort Schutz zu gewähren und die Menschen schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Bendel. Schon bei den Fluchtbewegungen im Jahr 2015 hätten viele, darunter auch Wis­sen­schaft­le­r:in­nen wie sie selbst, die Massenzustromsrichtlinie ins Gespräch gebracht. Auch damals seien die Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan vor Krieg und Unterdrückung geflohen. Trotzdem sei es nicht gelungen, die „EU-Mitgliedstaaten in Solidarität zu vereinen“, sagt Bendel. Dass es diesmal anders war, liege auch daran, dass der Krieg geografisch „sehr viel nähergerückt“ sei, glaubt sie.

„Wir haben seit 2015 beobachtet, wie zäh sich gesellschaftliche Teilhabe gestaltet, wenn Menschen lange in Asylverfahren stecken oder sich Duldung an Duldung reiht“, sagt Bendel. Dem habe man nun vorgebeugt. Doch schon vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine habe Deutschland aus 2015 Lehren gezogen. „Der Koalitionsvertrag verspricht hier Besserung. Kettenduldungen sollen durch ein ‚Chancen-Aufenthaltsrecht‘ ersetzt und ein Spurwechsel ermöglicht werden“, zählt Bendel auf. „Das war überfällig.“

2015 wurden im gesamten Jahr etwa 890.000 Schutzsuchende registriert. Nun sind es rund 320.000 allein in den ersten sechs Wochen. Für die Stadt Berlin bedeutete das streckenweise rund 10.000 Ankommende am Tag. Das Land schickte mehrfach Hilferufe an den Bund, Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) warf Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor, zu spät auf die Fluchtbewegung reagiert zu haben. Besonders die Ballungsgebiete, in denen sehr viele Menschen ankommen, forderten früh eine faire Verteilung der Menschen im Bundesgebiet.

Mit 2015 lässt sich diese Situation nur begrenzt vergleichen: Anders als damals dürfen die Menschen aus der Ukraine sich 90 Tage frei im Land bewegen. Sie konsequent nach dem Königsteiner Schlüssel zu verteilen, der die Aufnahme nach Bundesländern regelt, ist nur sehr begrenzt möglich. „Das wird sich aber ändern, sobald die Menschen sich registrieren lassen“, sagt Bendel. „Und das werden die allermeisten tun. Denn sonst bekommen sie keinen Aufenthaltstitel und somit auch keine Sozialleistungen und keine Arbeitserlaubnis.“

Ein Mann kocht

Essen für geflüchtete Menschen Foto: Miguel Ferraz Araújo

Bund, Länder und Kommunen hätten in den vergangen sieben Jahren viel gelernt, Strukturen aufgebaut und Expertise erlangt. „Die Rolle der Kommunen ist dabei ganz wichtig. Sie haben ein institutionelles Gedächtnis, haben Vernetzungen geschaffen innerhalb der Verwaltung, die es vor 2015 noch gar nicht gab.“ Wichtige Kooperationen zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft seien entstanden. Doch vieles davon wurde in den vergangenen Jahren, angesichts sinkender Flüchtlingszahlen und nicht zuletzt wegen der Coronapandemie, wieder zurückgefahren. „Was an Personal umverteilt oder an integrationspolitischen Maßnahmen in der Pandemie abgebaut wurde, muss schleunigst nicht nur wieder auf-, sondern ausgebaut werden“, sagt Bendel. Dafür sei es wichtig, dass es vom Bund schnell finanzielle Unterstützung gebe.

Pro Asyl lobt – und mahnt

Pro Asyl lobt den Umgang mit den Fliehenden aus der Ukraine. „Die Menschen können legal einreisen, werden nicht an den Grenzen aufgehalten und müssen sich nicht in die Hände von Schleppern begeben“, sagt die rechtspolitische Referentin Wiebke Judith. Sie erinnert an ein prägendes Bild aus dem Jahr 2015: den Körper des zweijährigen syrischen Jungen Alan Kurdi, angespült an einem Strand in der Nähe der türkischen Stadt Bodrum. Durch die jetzt geltenden Regelungen sei nicht nur die Flucht selbst sicherer, sondern die Menschen könnten auch dorthin reisen, wo sie Freun­d:in­nen oder Verwandte haben. Das helfe beim Ankommen – aber auch langfristig bei der Integration.

„So haben wir und viele andere auch schon 2015 argumentiert. Aber damals wollte niemand auf uns hören“, sagt Judith. Stattdessen hätten die EU-Staaten dafür gesorgt, dass Menschen „innerhalb Europas hin- und hergeschoben wurden und nie richtig ankommen konnten“.

Gerade gebe es eine „180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik“, sagt Judith. Diese Veränderung müsse auf die Flüchtlingspolitik generell übertragen werden. Tatsächlich umfasst die sogenannte Massenzustromsrichtlinie der EU nur Menschen, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben. Und sie unterscheidet zwischen ukrainischen Staats­bür­ge­r:in­nen und Menschen anderer Nationalität, die in der Ukraine lebten. Letztere bekommen nur unter bestimmten Bedingungen den gleichen Schutz wie Ukrai­ne­r:in­nen – wenn sie mit solchen verheiratet sind etwa oder wenn sie „nicht sicher und dauerhaft“ in ihre Herkunftsregion zurückkehren können.

Wiebke Judith, Pro Asyl

„Das klare Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz muss für alle gelten, ohne Unterscheidung“

„Das klare Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz muss für alle gelten, ohne Unterscheidung“, fordert Wiebke Judith. Das gelte für legale Einreisemöglichkeiten, für die freie Wohnortwahl, aber auch für die Frage, welche Sozialleistungen die Menschen beziehen sollen.

Obwohl Judith positive Impulse für eine humanere Flüchtlingspolitik sieht, mahnt sie zur Vorsicht. Auch 2015 seien richtige Entscheidungen getroffen worden, etwa dass nach Ungarn geflüchtete Menschen nach Deutschland einreisen konnten. Doch in den Jahren danach „haben wir gesehen, wie restriktive Gesetze verabschiedet wurden, etwa zur Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen oder zu Abschiebungen“. Das habe die Lage vieler Geflüchteter sehr erschwert – bis heute.

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