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Instrumentalisierung von JugendarbeitAuftrag zum Ausforschen

Die Hamburger Sozialbehörde will von Trägern der Jugendarbeit wissen, ob ihre Be­su­che­r*in­nen (links)extremistische Tendenzen haben.

Ein Fall für den Fragebogen: Jugendliche An­ti­fa­schis­t*in­nen Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Die Grenzen verschwimmen. Einrichtungen der Offenen Kinder und Jugendarbeit (OKJA) sollen der Sozialbehörde über die politischen Einstellungen ihrer Be­su­che­r*in­nen Auskunft geben. So will Hamburgs Senat „linker Militanz“ unter Jugendlichen vorbeugen.

Gefragt aber wird nicht nur nach der Gewaltbereitschaft, sondern auch nach dem Kleidungs- und Sprachstil oder dem Gedankengut der Heranwachsenden. „Die Einrichtungen werden instrumentalisiert, um Jugendliche auszuforschen“, sagt die Fraktionschefin der Linken, Sabine Boeddinghaus.

Stein des Anstoßes ist eine Umfrage der Sozialbehörde, über die die taz Anfang Januar berichtet hat. An 150 Einrichtungen der Jugendarbeit – vom Jugendclub bis zum Bauspielplatz – wurde voriges Jahr ein Fragebogen zu möglichen „extremen Haltungen“ der Be­su­che­r*in­nen verschickt. Erstmals wurde dabei auch nach der „linksradikalen Ausrichtung“ der Jugendlichen gefragt. Frühere Umfragen hatten nur nach einer möglichen rechtsradikalen, fundamental-konfrontativ-islamischen oder allgemein „menschenfeindlichen Ausrichtung“ geforscht.

Die Erweiterung des Fragenkatalogs ist eine Folge der Auseinandersetzungen während des Hamburger G20-Gipfels 2017. Der Senat richtete danach eine „überbehördliche Arbeitsgruppe“ ein, an der neben der Sozialbehörde auch die Polizei und der Verfassungsschutz teilnehmen, um sich über „linke Militanz“ und staatliche Gegenmaßnahmen auszutauschen.

Senatskonzept gegen linke Militanz

In seinem Konzept zur Bekämpfung linker Militanz hatte der Senat 2019 noch „ausdrücklich“ darauf hingewiesen, dass es dort ansetze, „wo Grenzen legitimen Protestes und der radikalen Meinungsäußerung überschritten werden und er in gewaltbereites, gewalttätiges und militantes Verhalten umschlägt“. Doch die Praxis hat das Konzept längst überholt.

Der innenpolitische Sprecher der Linkspartei, Deniz Celik, beklagt, dass „der Fragenkatalog nicht, wie im Konzept vorgesehen, auf Gewalt bezogen ist, sondern auf die politische Einstellung.“ Sein Fazit: „Der Senat versucht stümperhaft seine wahre Absicht, Erkenntnisse über den Linksextremismus zu sammeln, zu verschleiern“. Die Linke fordert, dass „diese Praxis unverzüglich eingestellt wird“.

Boeddinghaus und Celik wollten nun in einer Kleinen Anfrage an den Senat wissen, wieso „Jugendliche, die ein T-Shirt mit Antifa-Emblem tragen oder Flyer zu einer linken Demo auslegen, ein Fall für Präventionsarbeit“ sein sollen.

Die Antworten bleiben allgemein: Es könne „erforderlich sein, dass pädagogische Fachkräfte auf junge Menschen einwirken, die sich gegen die demokratische Ordnung wenden“. Weiter heißt es: „Meinungsäußerungen durch das Tragen von T-Shirts oder Emblemen, das Auslegen von Flyern oder sprachliche Äußerungen sind gemeinsam mit weiteren Verhaltensweisen entsprechend zu interpretieren.“

Träger boykottieren Umfrage

Fast alle Träger der offenen Kinder- und Jugendarbeit ließen den Fragebogen unbeantwortet. Sie dürfen gespannt sein auf eine von der Sozialbehörde auf den 3. Februar terminierte Online-Fachtagung mit dem Titel „Linke Militanz – Bedarfe und Möglichkeiten der OKJA“, zu der sie eingeladen wurden.

Die Interessenvertretung Offene Arbeit Hamburg (IVOA) fragt in einer bislang unveröffentlichten Stellungnahme: „Aus welchem Grund werden zunächst diverse extremistische Orientierungen junger Hamburger Bürger abgefragt, in der Fachveranstaltung aber konzentriert ausschließlich das Thema ‚Linksradikalismus‘ erörtert und diskutiert, wo rechter und islamistischer Terror zunehmen?“

Die IVOA sieht in dem Fragebogen „die Instrumentalisierung der Offenen Kinder-und Jugendarbeit“ und betont mit Blick auf die Arbeitsgruppe von Polizei, Verfassungsschutz und Sozialbehörde: „Soziale Arbeit kann nie Teil der Ermittlungsbehörden sein und der Exekutive zuarbeiten.“

Vor allem aber wehrt sich das Gremium gegen eine „mögliche Diffamierung junger Menschen, die sich etwa für mehr Klimagerechtigkeit einsetzten, als Linksextremist*innen“. Sein Credo: „Wenn junge Menschen begreifen, dass ihre Ziele nicht in der derzeitigen Wirtschaftsordnung und Orientierung an Gewinnmaximierung erreichbar sind, sind sie nicht linksradikal, sondern entwickeln ein politisches Bewusstsein.“

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6 Kommentare

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  • "Die IVOA sieht in dem Fragebogen „die Instrumentalisierung der Offenen Kinder-und Jugendarbeit“ und betont mit Blick auf die Arbeitsgruppe von Polizei, Verfassungsschutz und Sozialbehörde: „Soziale Arbeit kann nie Teil der Ermittlungsbehörden sein und der Exekutive zuarbeiten.“"

    Sozialarbeiter sind Agenten des (kapitalistischen) Staates, die vor allem auf junge Männer und männliche Jugendliche losgejagt werden, um diese zu 'normalisieren' = in den Arbeitsmarkt kriegen, delinquentes Verhalten beenden.

    Das ist nix neues, die Frage ist jetzt, warum der Staat sich selber derart plump demaskiert und die Karten - ausnahmsweise direkt auf den Tisch legt. Hier steht es ja mal direkt: Wer gegen den Staat ist, auf den jagen wir Sozialarbeiter los. Und wenn die dann am Mann (Frau) sind, forschen sie ihr Klientel aus. Ach, das tun sie die ganze Zeit, aber das interessiert auch kaum, aber Hamburgs Jugendämter sind zugemüllt mir Akten, da steht so einiges drinnen. Akribisch notiert von den Trägern ...

    Und diese Träger ... die Helfer sind immer die Guten? Oder?

    Ich denke, dass das Problem ist, dass Sozialarbeit immer staatlich finanziert wird, der Staat ist der zentrale Punkt der Sozialarbeit

    ... und meistens treffen Sozialarbeiter weder auf Rechtsradikale noch auf Linksradikale.

    Aber die Richtung ist dennoch klar: Hier sollen Menschen mit den Normen der Gesellschaft verbunden und versöhnt werden, also zu Arbeitskräften für den Markt gemacht werden. Darum geht es.

    Bisher war die Problembeschreibung von Sozialarbeit so auch nie veröffentlicht worden, sondern es heiß XYZ sollte diese Verhaltensweise ablegen, sich in Zukunft so verhalten ... einen geregelten Tagesablauf annehmen, seine Schule / Ausbildung besuchen und ...

    Aber was passiert, wenn jetzt die Sozialbehörde Infos bekommt? Erhöhen Sie die Budgets, gibt es dann ein Programm für die 'Linksradikalen'? Müssen die zu Klienten gemacht werden?

  • "Problematische Enstellung"

    Auch ich habe insbesondere aus der Sicht der Miethaie und solcher "Geschäftleute", die ihre Kunden abzocken, und solcher, die ihre Geschäfte damit machen, daß sie die Umwelt zerstören, eine sehr problematische Enstellung.

    Bin ich deswegen ein Linksextremist? Wenn ja, dann bin ich stolz darauf.

  • Unter linksradikal verstehe ich, dass die Zielsetzung vielleicht im Dienste von Minderheiten stehen oder sich vor allem gegen die Bekämpfung von Rechtsextremismus richtet, aber die Mittel die eingesetzt werden, gehen auch mit Gewalt einher. In einer Demokratie gibt es Möglichkeiten wie Demonstrationen, Wahlen oder das Engagement in Vereinen, Parteien u.s.w. um seine Ziele zu erreichen. Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen ist abzulehnen und es die Aufgabe des Rechtsstaates gegen alle gewalttätigen Gruppierungn vorzugehen. Die Gewalt beginnt bei problematischen Einstellungen, daher ist diese Vorgehensweise durchaus begründet wie bei Rechtsextremismus und Islamismus.

    • @bleibzuhaus:

      Die Bestimmung des Radikalismusbegriffs entlang der Gewaltfrage ist aber eben ihre höchst-private Definition, die so weder von offiziellen Stellen (bpb), Sicherheitsbehörden (VS) noch in der Politikwissenschaft genutzt wird.



      "Gewalt beginnt bei problematischen Einstellungen"



      Wer hat die Definitionsmacht darüber was als "problematische Einstellung" gilt? Und wenn "problematische Einstellungen"=Gewalt sind und Gewalt=Radikalismus, wären ja auch "problematische Einstellungen"=Radikalismus und weil "es die Aufgabe des Rechtsstaates [ist] gegen alle gewalttätigen Gruppierungn vorzugehen", müsste der Rechtsstaat also auch gegen Leute mit "problematischen Einstellungen" vorgehen. Orwell nannte diese Art von Delikten 'Gedankenverbrechen' und zum rechtsstaatlichen Minimalstandard gehört immer noch ein konkreter Tatvorwurf und nicht gegen Leute vorzugehen weil sie vom Gottesstaat oder vom Kommunismus träumen.

      • @Ingo Bernable:

        Hier ein Beispiel damit ich Ihnen verdeutlichen kann, was ich meine. Nicht jeder Salafist wendet Gewalt an oder ist ein Mörder, aber die Islamisten, die Gewalttaten begingen, kamen alle aus dem salafistischen Milieu. Der Salafismus zeigt beispielhaft, dass entsprechende Einstellungen zu Ideologien werden können und diese können zur Gewalt führen. Es gibt vermehrt an Berliner Schulen, Kinder und Jugendliche die auffallen wegen antisemitischen Sprüchen oder problematischen Aussagen gegenüber Mädchen oder weiblichen Lehrkräften. Dort wird dann auch Präventionsarbeit geleistet, damit es nicht zu problematischen Einstellungen kommt. Es geht also darum, schon mit Präventionsarbeit der Radikalisierung zu begegnen.

        • @bleibzuhaus:

          Was die Prävention angeht wird aber schon im Artikel richtigerweise festgestellt: „Soziale Arbeit kann nie Teil der Ermittlungsbehörden sein und der Exekutive zuarbeiten.“ Wie soll man denn mit gefährdeten Jugendlichen zur Deradikalisierung ins Gespräch kommen wenn diese befürchten müsssen bei einer 'falschen' Antwort sofort ins Visir der Sicherheitsbehörden zu geraten? Und wenn Aussagen die auf ein regressives Geschlechterbild schließen lassen nicht einfach nur scheiße sind, sondern Anlass für sozialpädagogisch-präventive Interventionen, müsste man diese dann nicht auch größeren Teilen der Union angedeihen lassen?