Insa-Meinungsforscher und die AfD: Der Zahlenmacher
Die AfD schneidet in den Umfragen von Insa besonders gut ab. Hat der Chef des Instituts zu viel Nähe zu der Partei, die er berät?
Binkert ist Leiter eines Marktforschungsinstitutes, Insa. Verglichen mit den großen Traditionshäusern Allensbach, Forsa oder der Forschungsgruppe Wahlen, ein Neuling in der Branche. Der größte Teil seiner Arbeit besteht darin, Konsumenten nach ihrem Kaufverhalten zu fragen, Eltern nach der Zufriedenheit mit Schulen. Weil Binkert aber auch Wähler befragt, für welche Partei sie stimmen würden, sorgt er für Aufregung.
So wie damals, im November, nach den Anschlägen in Paris, als die AfD in seiner Sonntagsfrage über zehn Prozent kletterte – früher als bei allen anderen Umfrageinstituten. Oder diese Woche: Laut Insa liegt die AfD bei 12,5 Prozent, während sie in anderen Erhebungen auf höchstens elf Prozent kommt. Die Ergebnisse veröffentlicht Insa in der Bild-Zeitung.
Kann das sein, die AfD über zwölf Prozent? Warum messen andere Institute eine geringere Zustimmung? Liegt der vermeintliche Erfolg bei Insa-Umfragen an demjenigen, der sie durchführen lässt?
Farbige Akzente
An einem Tag im Dezember sitzt ein Mann mit Käppi hinter dem Empfangstresen von Insa, im ehemaligen Brauhaus in Erfurt, er verleiht dem Unternehmen ein alternatives Gesicht. Es ist eine der vielen studentischen Aushilfen, die für Insa Telefonumfragen machen. Binkert selbst könnte eher Typ Grüner, einer aus dem Prenzlauer Berg sein: Glatze, Brille, knallblaue Socken zu weniger knallig blauen Wildlederschuhen – ein irritierender Kontrast zu Holzkreuz und heiliger Maria, die hinter seinem Schreibtisch hängen.
Er sagt von sich selbst, er sei katholisch-konservativ. Deshalb passen die Socken besser als die Maria dazu, wie Binkert seine Sonntagsfragen präsentiert: modern und den anderen einen Schritt voraus. Binkert lässt online befragen, statt Menschen mühselig am Telefon oder im persönlichen Gespräch zur Teilnahme zu überreden.
Dafür arbeitet Insa mit Yougov zusammen, einem britischen Unternehmen. Wer an Yougov-Umfragen teilnehmen will, registriert sich bei dem Portal und bekommt für jede Umfrage Punkte gutgeschrieben. Die kann er sich später in Form von Geld auszahlen lassen. Befragte klicken sich durch Listen mit Lieblingseissorten, geben an, welche Werbespots sie kennen – oder welcher „Star Wars“-Charakter zu Angela Merkel am ehesten passt. Rund 200.000 Menschen haben sich laut Yougov in Deutschland registriert. Einmal pro Woche stellt Yougov für Insa die Sonntagsfrage. Und das führt zu Problemen.
Die Kritik fängt bei der Gesamtzahl der registrierten Personen an: Zieht man jene ab, die nicht wahlberechtigt sind oder aus anderen Gründen aussortiert werden müssen, bekommt rein rechnerisch jeder Angemeldete mindestens einmal im Jahr eine Sonntagsumfrage in sein E-Mail-Postfach gespült. Früher oder später werden also immer die gleichen befragt.
Trotzdem, sagt Binkert, sehe er Vorteile: Merkmale, wie beispielsweise jemand bei der letzten Bundestagswahl gewählt hat, sind als Profil bei Yougov hinterlegt – Aussagen sind damit leichter überprüfbar und werden im Zweifel aussortiert. Befragte hätten mehr Zeit, sich ihre Antwort zu überlegen, weil sie auf keinen Interviewer reagieren müssen. Und per Online-Umfrage lassen sich in gleicher Zeit mehr Personen befragen, trotzdem kosten sie weniger. Binkert setzt auch auf eine persönliche Komponente: „Ich glaube, dass wir die Sache liebevoller machen.“
Handwerkliche Vorwürfe von der Konkurrenz
Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen hält dagegen Onlinebefragungen bei der Sonntagsfrage „für unvertretbar“. Sie ließen keine tatsächlichen Zufallsstichproben zu, wie etwa Umfragen, für die Telefonnummern zufällig generiert werden. Ähnlich äußert sich Heinz Behme, Statistiker bei Allensbach: „Es handelt sich um einen massiv selektierten Querschnitt.“ Er geht nicht davon aus, dass die Auswahl, selbst mit einer ausgeklügelten Gewichtung von Alter, Herkunft oder Geschlecht, einen repräsentativen Querschnitt ergibt. Kurz gesagt: Die, die freiwillig Fragen über Merkels „Star Wars“-Pendant beantworten, spiegeln nicht unbedingt alle Bevölkerungsschichten der Gesellschaft wider.
Aber: Auch andere Erhebungsmethoden haben ihren Nachteil. So erreichen Telefonumfragen jene nicht, die nur ein Handy besitzen. Bei allen Befragungen sind bestimmte Bevölkerungsgruppen unterrepräsentiert, beispielsweise besonders Wohlhabende oder besonders Arme. Deshalb erschöpft sich die Kritik an Insa und Hermann Binkert nicht darin, dass er Online-Umfragen nutzt.
Gleich mehrere Gerichtsakten füllen die Frage, wie seriös Insa tatsächlich ist. Manfred Güllner, der Chef von Forsa, versucht das zu klären. Er macht handwerkliche Vorwürfe, wie etwa, dass die AfD in einem Fragebogen als einzige Partei mehrfach als Antwortmöglichkeit vorgegeben wurde. Oder eine andere Frage das Wort „Alternativ“ verwendete. Das sind für die Meinungsforschung nicht unerhebliche Schlampereien – weisen aber weder nach, dass Hermann Binkert seine Forschung nicht beherrscht, noch dass er seine Umfragen manipuliert. Und auch Forsa und andere Institute werden regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Daten so zu behandeln, dass ein bestimmtes Ergebnis erzielt wird.
Die Fragebögen hat Binkert überarbeiten lassen. Mit dem Image geht das nicht so leicht.
Politische Karriere in der CDU
Hermann Binkert ist kein Unbekannter im politischen Betrieb. Er gehört zum konservativen Flügel der CDU und machte damit auf Landesebene Karriere. Bis 2009 war er Staatssekretär unter dem thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus und unter anderem für politische Grundsatzfragen zuständig. Dann trat Althaus zurück. Binkert gab seine politische Karriere auf und verließ sogar die Partei. War sie ihm zu liberal geworden? Binkert sagt, eine Parteimitgliedschaft sei mit seiner Aufgabe als neutraler Beobachter in der Meinungsforschung nicht mehr vereinbar gewesen. Er hatte ja noch viel vor, mit seiner neuen Karriere.
Insa, und das ist Binkerts Ansage, heißt abgekürzt „Institut für neue soziale Antworten“. Und die will er geben, manchmal auch ungefragt. So wie beim Schriftverkehr mit Bernd Lucke damals, vor der letzten Bundestagswahl, eine dieser Sachen, auf die sich Kritiker bis heute stürzen. „Das würde ich nicht so gerne noch einmal lesen“, sagt Binkert und erzählt dann doch, wie es wirklich gewesen sein soll.
Binkert hatte dem damaligen Chef der neu gegründeten AfD eine E-Mail geschrieben, ungefragt. Binkert sagt, er habe Lucke Vorschläge machen wollen, wie er mehr Parteimitglieder werben könne. Inzwischen pflegt Binkert eine Geschäftsbeziehung mit der AfD: Er erstellt Umfragen, welche Slogans am besten bei Wählern ankommen, betreibt Wahlkreisforschung. Oder, das fand Spiegel Online jüngst heraus, ließ ein Tochterunternehmen von Insa das Fraktionsbüro der thüringischen AfD im Landtag organisieren.
Redenschreiber der AfD?
„Organisieren?“, fragt Oskar Helmerich, Abgeordneter im thüringischen Landtag, der früher der AfD-Fraktion angehörte. Für die Einrichtung des Büros seien andere zuständig gewesen. In seiner Wahrnehmung war Binkert als Berater und Redenschreiber tätig, mehrere strategische Treffen mit der Partei fanden in seinen Büroräumen statt. Binkert war auf wichtigen Parteitagungen anwesend. Als Meinungsforscher und Berater, nicht als Mitglied. Er hat in der Entstehung der Partei ein gutes Geschäft gesehen. Geht das zu weit für einen Meinungsforscher?
Binkert versucht es mit Offenheit. „Was soll das meinen Kunden bringen, wenn ich die Daten beschönige?“ Nun ja, könnte man antworten – recht viel. Denn sein Kunde ist nicht nur die AfD, die sich vor falschen Erwartungen hüten sollte, sondern die Bild-Zeitung. Und der sind unvorhersehbare Ausschläge mehr als recht. Binkert ist nicht der Wissenschaft verpflichtet, sondern dem Geschäft. So wie seine Mitbewerber auch. Nichtkommerzielle Institute beteiligen sich nicht an den Sonntagsfragen.
Gleich mehrere Stunden hatte Binkert sich Zeit genommen, um sich zu erklären. Er geht in die Offensive, bestätigt viel, rechtfertigt alles. Die Mails, die Rechnungen von der AfD, der Kontakt, alles nur fürs Geschäft. Wie gern er auch mal für jene arbeiten würde, die ihn heute kritisieren, sagt er mehrfach. Und dass er das Gerede über seine Arbeit für die AfD unfair finde: „Das ist eine absolute Diskrepanz, zwischen dem, was gearbeitet, und dem, was nach außen getragen wird.“ Er hält das für geschäftsschädigend.
Hermann Binkert ist so einer, der nicht versteht, was auf einmal alle von ihm wollen. „Ich bin doch kein Politiker“, sagt er. Dann muss er gehen. Die Politiker warten auf ihn.
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