Innenminister schwächt AfD-Gutachten ab: Seehofers persönlicher AfD-Report
Horst Seehofer ließ als Innenminister offenbar ein Gutachten vom Verfassungsschutz, ob die AfD ein rechtsextremer Verdachtsfall ist, abmildern.
Vor ziemlich genau einem Jahr war das. Doch wie weit Seehofers Nichteinmischungswille tatsächlich reichte, darauf werfen jetzt Recherchen der Süddeutschen Zeitung ein neues Licht. Denn sie legen nahe, dass der CSU-Politiker ein Gutachten des Verfassungsschutzes noch einmal überarbeiten ließ – mit dem Ergebnis, dass Passagen des Schriftstücks abgemildert wurden – vor allem solche, in denen der rechtsradikalen Partei politische Aussagen vorgehalten wurden, die so oder ähnlich auch von Politikern der CSU getätigt wurden.
Demnach traf sich Seehofer am 19. Januar 2021 in Berlin mit Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang. Die Runde war klein und geheim, nur Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Innenministerium, war noch dabei. Tags zuvor habe das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Ministerium bereits sein Gutachten zustellen lassen. 800 Seiten, die Arbeit von Monaten. Das Schriftstück trug schon Haldenwangs Unterschrift, schließlich habe man die Freigabe des Ministeriums lediglich für eine Formalie gehalten.
Doch dann, schreibt die Süddeutsche Zeitung, habe sich Seehofer doch „eingebracht“. Interne Dokumente belegten dies. Die Folge: Das Gutachten wurde noch einmal überarbeitet und am 22. Februar in neuer Fassung vorgelegt. Diese soll sich zwar nicht grundlegend von der ersten unterschieden haben, aber die Zeitung, die beide Variante vergleichen konnte, entdeckte doch ein paar auffällige Unterschiede.
Aussagen zum Islam abgeschwächt
Beispiel sind etwa angeführte AfD-Aussagen über den Islam oder die Migration. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – den Satz führte das ursprüngliche Gutachten gegen die Thüringer AfD als Argument an: „Aus der Annahme, der Islam könne grundsätzlich nicht zu Thüringen gehören und dort nicht beheimatet sein, folgt, dass auch muslimische Bürgerinnen und Bürger nicht zu Thüringen gehören könnten.“ Damit sei eine Grenze überschritten, denn es verletze die Menschenwürde von Musliminnen und Muslimen.
Nun hatte man diesen Satz über den Islam jedoch auch schon aus christsozialem Munde gehört, etwa von Seehofer, als er noch CSU-Chef war. Im finalen Gutachten heißt es nun, die Aussage sei nur im Kontext mit anderen Abwertungen zur Diffamierung geeignet. Ähnliche Abschwächungen finden sich beispielsweise bei der Darstellung von extremen Positionen in der Debatte über Migration, die Seehofer einst als Mutter aller Probleme bezeichnet hatte.
Nach Ansicht des Verfassungsschutzes reicht aber auch das neue Gutachten für eine Einstufung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall. Die Partei sieht das erwartungsgemäß anders. Das Verwaltungsgericht in Köln hat nun über entsprechende Klagen der Partei zu befinden. Ein ursprünglich für letzten Sommer angesetzter Termin konnte wegen der Komplexität des Verfahrens und der späten Übersendung von Akten nicht eingehalten werden, nun soll im März eine Entscheidung fallen. Bis dahin gilt ein im März 2021 erlassener sogenannter Hängebeschluss, der dem Verfassungsschutz die Einstufung oder Behandlung als Verdachtsfall verbietet.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen