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Initiatorin über Deportierten-Denkmal„Ein richtiger Ort des Gedenkens“

Die Forschung ist noch nicht abgeschlossen: In Flensburg erinnert nun ein kleiner Platz an deportierte Sinti und Roma – mit Platz für weitere Namen.

Noch war nichts zu sehen: Arbeit am Gedenkort auf dem Schulgelände Foto: Freie Wadorfschule Flensburg/Projekt Gedenkstelle
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Frau Hafner, was passiert am Nachmittag des 29. September?

Constanze Hafner: Wir weihen die Gedenkstelle Steinfelder Weg ein. Gewidmet ist sie 44 Flensburger Sinti und Roma, die 1935 zunächst zwangsumgesiedelt wurden innerhalb der Stadt, also an den Stadtrand. Man findet dazu zwei Adressangaben, die Valentiner Allee und den Steinfelder Weg. Die treffen sich da, wo heute unsere Schule steht. Man weiß nicht mehr genau, wo das Lager stand, wohl auch, weil nach 1945 Unterlagen vernichtet wurden.

Wie erging es den 44 Menschen dann?

Sie mussten dort unter erbärmlichen, menschenunwürdigen Bedingungen hausen. Und 1940, am 16. Mai, wurden sie mit dem großen Transport aus Schleswig-Holstein deportiert ins Zwangsarbeitslager Belzec im deutschen “Generalgouvernement“. Wir wissen: 22 von diesen 44 Menschen haben es nicht überlebt. Einige wenige sind später nach Flensburg zurückgekommen, um zu schauen, wer von der Familie vielleicht noch wiederzufinden ist. Diesen 44 uns heute namentlich bekannten Menschen ist diese Gedenkstelle gewidmet – aber natürlich auch allen anderen, von denen wir bis heute nichts wissen.

Diese Recherchen sind aber im Gange?

Bild: privat
Im Interview: Constanze Hafner

war bis 2022 Oberstufen­lehrerin für Deutsch und Geschichte an der Freien Waldorfschule Flensburg.

Die leistet der Historiker Sebastian Lotto-Kusche: Der ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni Flensburg in der Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und forscht gezielt zum Umgang mit Sinti und Roma in Schleswig-Holstein. Nachdem bei uns diese Idee entstanden war, diese Gedenkstelle zu schaffen, …

Sie meinen das Projektteam, also sich selbst und Ihre Kollegen Achim Langer und Sven Roevens …

… haben wir ihn kontaktiert und mit ihm zusammen sozusagen erst mal für uns die historischen Grundlagen gelegt. Achim Langer, Kunsterzieher und Künstler, hat die Gestaltung übernommen. Jetzt ist das ein richtiger Ort des Gedenkens geworden, zwar auf dem Schulgelände, aber öffentlich zugänglich.

Wie sieht er denn aus?

Der Platz ist rund angelegt, drei Bänke und Heckenrosen umfassen ihn. Es gibt eine Tafel, die dem Gedenken Ausdruck gibt, sowie zwei Skulpturen. Die eine ist in die Erde eingelassen, die andere steht auf einer Stele, auf der an drei Seiten umlaufend die 44 Namen zu lesen sind. Die Namen sind so angebracht, dass jederzeit weitere eingetragen werden können.

Was wissen Sie über die geehrten Menschen?

Da wäre noch Arbeit zu leisten. Wir wissen immerhin die Geburts-, von einigen auch die Todesdaten. Aber kaum die Umstände; das wurde in der Vergangenheit nicht sorgfältig dokumentiert. Von einigen wenigen wissen wir etwas mehr, weil es Angehörige gibt, Nachkommen. Aber bei ihnen, das mussten wir erst lernen, gibt es nicht selten eine große Scheu, sich zu erkennen zu geben. Oder auch davor, nun zur Einweihung zu kommen.

Wie lange war der Vorlauf, bis es nun zur Einweihung kommen konnte?

Der Termin

Einweihung der Gedenkstelle Steinfelder Weg, Flensburg: Fr, 29. 9., 16 Uhr, Freie Waldorfschule Flensburg, Valentiner Allee 1

2018 stieß ich im Rahmen eines historischen Stadtspaziergangs, den Ludwig Hecker von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten regelmäßig anbietet, auf eine Gedenktafel, die sechs Mitgliedern der Familie Weiß gewidmet ist und auf das Zwangslager verweist; auch diese Tafel entstammt einer privaten Initiative. Wir hatten in der Folge Kontakt zu Matthäus Weiß, dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Sinti und Roma in Schleswig-Holstein. Aber dann kam uns ­Corona in die Quere: Wir konnten uns nicht treffen und kennenlernen.

Und dann?

Das Projekt ruhte bis Anfang 2022, dann ging es richtig los, auch mit der Suche nach Spen­de­r*in­nen und Förderungen. Eine beflügelnde Tatsache war, dass die damalige Oberbürgermeisterin Simone Lange sehr berührt war von unserem Engagement und sich sofort an unsere Seite gestellt hat. Zudem gab es viel Mut machendes Engagement aus der Zivilgesellschaft. Irgendwann haben dann alle in der Ratsversammlung vertretenen Parteien der Übernahme von einem Drittel der Kosten der Gedenkstelle zugestimmt. Wir sind dafür sehr dankbar – das Gedenken an die Opfer eines sehr lange verdrängten Verbrechens hat nun seinen Ort am Steinfelder Weg gefunden.

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