Initiative von Schleswig-Holstein: Kein Kind in Abschiebehaft
Schleswig-Holstein hat eine Bundesratsinitiative gestartet, um Abschiebehaft für Kinder zu verbieten. Dem Vorschlag werden kaum Chancen eingeräumt.
Wie es aussehen kann, wenn eine Familie im Knast landet, hat der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch auf der Homepage der Hilfsorganisation Pro Asyl beschrieben. Eine Mutter mit vier Kindern, das jüngste drei Jahre alt, war in Transithaft am Flughafen Frankfurt/Main gelandet. „Sieben Bundespolizisten führten sie der Haftrichterin vor“, schilderte der Anwalt. „Die Richterin hat auch den Kindern die Haftanträge verkündet, danach wurden sie allen Ernstes belehrt und befragt. Das dreijährige Kind sagte dazu nur:,Mama’.“
Abschiebehaft ist schwierig für einen Rechtsstaat. Wer dort untergebracht wird, hat kein Verbrechen begangen. Es besteht nur der Verdacht, dass in Zukunft eine rechtswidrige Tat geschehen könnte, nämlich eine Flucht, um einer Abschiebung zu entgehen. Besonders kritisch wird es, wenn Minderjährige betroffen sind. Sie hinter Gitter zu bringen, widerspreche der UN-Kinderrechtskonvention, sagt Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein: „Eine Inhaftierung von Minderjährigen ist unverhältnismäßig.“
Die Landesflüchtlingsräte, Pro Asyl und weitere Hilfsorganisationen unterstützen daher die Initiative aus Schleswig-Holstein – trotz eines Schönheitsfehlers: Kinder und Familien an Flughäfen festzusetzen, sei weiter möglich, auch wenn der Antrag durchkäme. Die Organisationen wünschen sich daher eine noch weitergehende Lösung, die jede Haft von Kindern und Jugendlichen verbietet, seien sie allein unterwegs oder mit ihren Eltern.
Martin Link, Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein
Der jetzige Antrag aus Kiel hat eine Vorgeschichte, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. So befasste sich der Bundesrat 2019 mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, mit dem das CSU-geführte Innenministerium mehrere Fragen rund um Abschiebungen regelte. Schon damals gab es im Bundesrat Kritik, weil das Gesetz die Belange von Kindern und Familien zu wenig im Blick habe.
Auch im Kieler Landtag diskutierten die Fraktionen mehrfach über die Abschiebung – mit gegenseitigen Vorwürfen, vor allem zwischen Grünen und SPD. Beide hatten als Koalitionspartner die Abschiebehaft in Rendsburg geschlossen. Die Jamaika-Regierung einigte sich auf einen Neubau in Glückstadt, der nun kurz vor der Eröffnung steht. Denn zurzeit werden Geflüchtete, für die Abschiebehaft angeordnet ist, in andere Bundesländer gebracht. Wenn die Haft schon sein müsse, dann lieber in der eigenen Verantwortung, entschied Jamaika: „Wir wollen und werden den Vollzug im Rahmen der rechtsstaatlichen Möglichkeiten menschenwürdig gestalten“, sagte die CDU-Innenexpertin Barbara Ostmeier bei der Landtagsdebatte 2019.
Doch Kinder im Knast? „Es gibt hier offenbar eine breite Mehrheit von Abgeordneten, die der Auffassung sind, dass Minderjährige nicht in Haft gehören“, sagte Serpil Midyatli (SPD) damals in der Debatte und forderte eine Bundesratsinitiative. Die Jamaika-Koalitionäre warfen ihr daraufhin„Scheinheiligkeit“ vor. So verwies Aminata Touré, Grünen-Sprecherin für Migration und Flucht, auf einen Erlass auf Landesebene, der den Ausländerbehörden des Landes quasi verbietet, Kinder in Haft zu nehmen. Das Problem ist nur: Für einen Teil der Geflüchteten ist der Bund zuständig, und wenn Bundesbehörden eine Haft anordnen, kann ein einzelnes Land nichts dagegen tun.
So sprach sich auch Jamaika für eine Bundesratsinitiative aus, wollte allerdings vorher eine Abfrage in den anderen Bundesländern. „Das hat eine Weile gedauert, und es gab weitere interne Beratungen“, erklärt Touré auf taz-Anfrage, warum die Koalition zwei Jahre brauchte, bis der Bundesrat sich mit dem Thema befasst. Die Abfrage in den Ländern habe ergeben, dass kaum Minderjährige in einer Abschiebehaft landen. „Dennoch ist es wichtig, dass wir die Debatte führen“, sagt Touré. „Alle Länder betonen, sie wollten die Kinderrechtskonvention einhalten, also könnten sie das Verbot der Haft auch beschließen.“ Denn es gebe Alternativen: So sei eine Unterbringung in Räumen ohne Gefängnischarakter möglich.
Die FDP tut sich schwer
Unter den Koalitionspartnern tut sich die FDP generell am schwersten mit dem Thema: Vor Kurzem hatte die Bundestagsfraktion der Liberalen mehr Abschiebehaftplätze gefordert. Der Innen- und Rechtsexperte der FDP im Kieler Landtag, Jan Marcus Rossa, betont auf Anfrage: „Die Freien Demokraten in Schleswig-Holstein treten dafür ein, dass Kinder und Jugendliche grundsätzlich nicht in Abschiebehaft kommen.“ Die Abfrage im Bund habe keine Klarheit gebracht, daher sei „im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob überhaupt ein Bedarf für eine gesetzliche Regelung zur Inhaftierung Minderjähriger besteht“.
Die oppositionelle SPD sieht die Initiative mit gemischten Gefühlen: „Natürlich unterstütze ich, dass Minderjährige nicht in Abschiebehaft genommen werden sollen“, sagt Serpil Midyatli. „Aber einerseits die Abschaffung der Abschiebehaftanstalt für Kinder zu fordern und andererseits eine neue Haftanstalt zu bauen, ist ein Widerspruch.“
Sehr wahrscheinlich kommt die Initiative aus Kiel im Bundesrat nicht durch, das vermutet Stefan Schmidt, der Flüchtlingsbeauftragte der Landesregierung. Aber auch er findet den Vorstoß wichtig: „Das kann die öffentliche Diskussion über das Inhaftieren von Minderjährigen und Familien mit Kindern sowie anderen vulnerablen Personen voranbringen.“ Er hoffe, dass sich „aus dieser Initiative eine Aussage über das künftige Verwaltungshandeln ableiten lässt und Schleswig- Holstein keine Minderjährigen in der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt inhaftieren wird“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance